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# taz.de -- berliner szenen: Bibliothek wurde verschluckt
Die Helene-Nathan-Bibliothek in Neukölln befand sich einst in einem
Sechzigerjahrebau. In meiner Erinnerung ging es vom Trottoir direkt durch
eine Tür, schon war man im großzügigen Foyer. Nebenan Lesesäle mit Büchern
und Zeitungen. Holz, Glas und Tageslicht! Architektur, die auf eine bessere
Welt verwies; dabei ging es um Demokratie, menschliches Maß und
Volksbildung. Gerne hielt ich mich dort auf.
Irgendwann haben sie dort ein Einkaufszentrum errichtet. Jetzt ging's um
Shopping-Glück. Das alte Gebäude wurde abgerissen, und die Bibliothek wurde
ins oberste Stockwerk im Einkaufszentrum einquartiert, ganz modern. Wer
hinwill, muss erst mal die Fahrstühle finden. Direkt neben den Bankomaten!
Man klickt auf einen Metallknopf und wartet. Und wartet. Irgendwann macht's
bing und die Fahrstuhltür öffnet sich. Groß wie eine Garage. Dann fährt der
Fahrstuhl ein bisschen hoch und runter. Leute steigen ein und aus, mit
Einkaufswagen, groß wie Kleinwagen, darin Berge von Konsumgut. Bei den
Parkdecks rollen die Einkaufswagen zu den Abgaswagen. Die Bibliothek ist
dem Parkdeck benachbart.
Mit Corona wurden mir die Fahrstühle suspekter, ich ging lieber auf anderen
Wegen zur Bibliothek. Musste erst eine Rolltreppe nehmen, dann ein Stück
laufen, um die nächste zu nehmen. Die Rolltreppen hören nun im Nirgendwo
auf, beim Multiplex, wo auch keine Läden mehr sind. Und jetzt?
Beim ersten Mal brauchte ich eine Weile, um die nichtrollenden Treppen zu
finden, hinten in der Ecke. Das ist dann das letzte Stück zum
bibliothekaren Bildungsglück oben. Rein kommt man – keuchend hinterm
Mund-Nasen-Schutz –, wenn verkürzte Öffnungszeiten es zulassen. Dort kann
man nachlesen, wie Bildung und Kultur Teil der kapitalistischen Warenwelt
werden.
Giuseppe Pitronaci
20 Aug 2021
## AUTOREN
Giuseppe Pitronaci
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