# taz.de -- Grüne bescheiden – vor allem die Frauen | |
> Warum soll Joschka Fischer eigentlich einziger Spitzenkandidat sein? Die | |
> Grünen leisten sich auf ihrem Parteitag eine kuriose Personaldebatte – | |
> und einen leichten Schwenk nach links. Allzu teure Versprechen werden aus | |
> dem Wahlprogramm gestrichen | |
AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF | |
„Schade eigentlich“, sagt eine Grüne aus Berlin, die nach dem | |
temperamentvollen Auftritt von Bärbel Höhn das Rednerpult betritt. „Das war | |
gerade eine tolle Rede einer starken Frau.“ Aber leider, leider wolle die | |
frühere NRW-Umweltministerin ja nicht zweite Spitzenkandidatin neben | |
Joschka Fischer werden. Wie Verbraucherschützerin Renate Künast und | |
Parteichefin Claudia Roth hatte Höhn gerade Fischers | |
Alleinvertretungsanspruch akzeptiert. „Das können wir nicht verstehen“, | |
sagt die Delegierte und bekommt dafür viel Beifall. | |
Wir – das sind die Grünen aus dem Kreisverband in Berlin-Pankow. Bei diesem | |
Parteitag fungieren sie als Gastgeber und als Störenfriede. Gleich zu | |
Beginn belästigen sie die Führung mit einem Antrag auf eine unerwünschte | |
Führungsdiskussion. Es könne doch nicht angehen, dass die CDU mit einer | |
Frau als Kanzlerkandidatin antritt, so ihr Argument, und gleichzeitig die | |
Grünen, die Quotenpartei schlechthin, nur einen Mann ganz vorne | |
präsentieren. Darüber müsse man jetzt reden. | |
Alle wissen, wer hinter diesem Antrag steckt: Der prominenteste Grüne von | |
Berlin-Pankow, Werner Schulz, der schon vor einer Woche die | |
„Schmierenkomödie“ bei der Abstimmung über Gerhard Schröders | |
Vertrauensfrage im Bundestag gegeißelt hatte – sehr zum Ärger seiner | |
Parteifreunde, die sich den Vorwurf nicht gefallen lassen wollten, bei | |
„einem Stück Volkskammer“ mitgespielt zu haben. Diesmal hält sich Schulz | |
diskret zurück. Den Antrag bringen andere ein, vielleicht deshalb mit | |
Erfolg. „Nichtbefassung“ hatte der Bundesvorstand vorgeschlagen, doch etwa | |
die Hälfte der 850 Delegierten möchte diskutieren. Sie wollen sich nicht | |
einfach so gefallen lassen, dass die Parteispitze direkt nach der | |
Neuwahlentscheidung Schröders verkündet hatte, Fischer sei grüner | |
Spitzenkandidat, Punkt, Ende, Abstimmung nicht vorgesehen. Damit hatte die | |
Führung gleich gegen zwei hehre Prinzipien verstoßen: | |
Geschlechtergleichheit, Basisdemokratie. Da reicht es auch nicht aus, dass | |
die frauenpolitische Sprecherin der Partei, Katja Husen, nun erklärt, eine | |
Nachnominierung „wäre für jede Frau, die dafür in Frage kommt, eine | |
Zumutung“ und eine Debatte darüber „kontraproduktiv“. | |
Ein gut Teil sieht das anders, und so kommt es im Berliner Velodrom, wo | |
normalerweise Radrennfahrer ihre Runden drehen, zu einem kuriosen | |
Politschauspiel: Die potenziellen Spitzenkandidatinnen Künast, Höhn und | |
Roth steigen hintereinander in die Bütt, um wortreich zu erklären, warum | |
sie es richtig finden, dass Fischer allein antritt. „Wir stellen den | |
stärksten Mann nach vorne“, sagt Künast. Mit dem Außenminister, der sein | |
Visa-Tief in den Beliebtheitsskalas überwunden hat, habe man sogar „den | |
stärksten Spitzenkandidaten von allen Parteien“, behauptet Künast kühn. Wer | |
das immer noch nicht für plausibel hält, bekommt das Versprechen: „Bei der | |
nächsten Wahl ist eben wieder Doppelspitze.“ Niemand nennt den wichtigsten | |
Grund für Fischers Solo: Fischers Ego. | |
Was bleibt, ist eine große Mehrheit, die sich schließlich fügt – und eine | |
kleine Demütigung für beide Seiten auf dem Podium: für die Frauen, die sich | |
schwächer machen, als sie sind. Aber auch für Fischer, dessen Führungsrolle | |
öffentlich angezweifelt wurde. Daraus ergibt sich ein Vorgeschmack auf das | |
grüne Konkurrenzgerangel nach der Wahl. Fischer, der die gesamte | |
Personaldebatte schweigend verfolgt, sagt später: „Ich freue mich über | |
diese Entscheidung.“ Künasts Ankündigung, wonach er zum letzten Mal allein | |
ran dürfe, lässt er abprallen: „In vier Jahren bin ich über 60.“ | |
Das Schaulaufen der grünen Schattengewächse, die auf einen Platz neben | |
Fischer hoffen oder auf seinen Abgang warten müssen, setzt sich auch bei | |
der Programmdebatte fort. Da kämpft Fraktionschefin Krista Sager für eine | |
Erhöhung der Mehrwertsteuer, Wahlkampfmanager Fritz Kuhn dagegen. Kuhn | |
gewinnt. Künast will eine „Kinderkarte“ als staatlich finanzierten | |
Gutschein für Sport-, Musik- und Kulturaktivitäten. Eigentlich eine der | |
„frischen Ideen“, die das Parteitagsmotto über der Bühne anpreist. Doch | |
Künast verliert. Ihre Idee kommt den Delegierten zu teuer (oder zu | |
bürokratisch) vor. Die Delegierten halten sich überhaupt recht | |
diszipliniert an die Ansage von Parteichefin Roth: „Wir versprechen nicht | |
Füllhorn und heile Welt.“ Auch ein einkommensabhängiges Elterngeld kommt | |
nichts ins Programm – ebenso wenig wie „ein Investitionsprogramm in | |
zweistelliger Milliardenhöhe“, das Christian Ströbele gefordert hatte. Der | |
Parteilinke ist trotzdem zufrieden: Er fühlt sich in seiner Reformkritik | |
bestätigt – und freut sich über einige Korrekturen. So soll, nach den | |
rot-grünen Steuersenkungen, der Spitzensatz wieder auf 45 Prozent steigen. | |
Die Grüne Jugend setzt im Bürgerversicherungsplan eine Erhöhung der | |
Beitragsbemessungsgrenze durch. Und dann rutscht auch noch eine | |
Feststellung ins Programm, wonach man die Regelsätze beim Arbeitslosengeld | |
II „deutlich“ anheben müsste, „damit sie vor Armut schützen“. Entsetz… | |
eine Schwäbin: „Das hat bisher nur die PDS gesagt.“ Die Mehrheit lässt’s | |
geschehen. | |
meinung und diskussion SEITE 11 | |
11 Jul 2005 | |
## AUTOREN | |
LUKAS WALLRAFF | |
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