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# taz.de -- Weil die kleinen Hoffnungen fehlen
> Das Stück „Adam und die Deutschen (Die Mühle)“ von Tine Rahel Völcker …
> der Anderen Welt Bühne in Strausberg
Bild: Adam (Thomas Schimanski), verfolgt von der Vergangenheit und beobachtet v…
Von Annika Glunz
„Stellen Sie sich vor, ich würde einen Stapel Holz tragen. Und stellen Sie
sich vor, vor der Bühne wäre ein dicker roter Samtvorhang, auf den ein Spot
gerichtet ist. Nun stellen Sie sich einen Verfolger vor. Einen typischen
weißen Deutschen.“ Mit diesen Worten betritt die „Ansagerin“ Tereza die
Bühne und läutet damit die Premiere von „Adam und die Deutschen (Die
Mühle)“ von Tine Rahel Völcker ein. Der Ort der Aufführung, die Andere Welt
Bühne, befindet sich mitten im Wald, im Wasserwerk einer alten Bunkeranlage
in Strausberg.
Der Appell Terezas an die Fantasie bereitet das Publikum vor auf das, was
folgt: Das komplette Stück spielt in einer Traumwelt. Der Aufbau der
hölzernen doppelstöckigen Drehbühne ist schlicht: Lediglich zwei Kisten mit
Wasserflaschen und drei Holzkästen befinden sich dort, welche abwechselnde
Einrichtungsgegenstände darstellen.
Doch zurück zum Stück. Schnell stellt sich heraus, dass Tereza (Ines
Burdow) die Mutter von Adam (Thomas Schimanski) ist, mit dem sie sich eine
Wohnung in Polen teilt. Tereza ist Jüdin; ihre Familie wurde im Zweiten
Weltkrieg im Rahmen der sogenannten Polenaktion nach Polen ausgewiesen und
dort von hilfsbereiten Mitbürger:innen in einer Mühle untergebracht,
bevor ein Jahr später Deutschland Polen überfiel. Sie überfrachtet Adam
regelmäßig mit Bigos, dem aus Sauerkraut und Fleisch bestehenden polnischen
Nationalgericht. Adam ist Schauspieler und arbeitet als Müllmann
(„lukrativer als die Schauspielerei“). Nachts feiert er in Kneipen mit
deutschen Tourist:innen, die er mit zu sich nach Hause nimmt.
Die Person, die uns im ersten Traum vorgestellt wird, ist Henriette
(Melanie Seeland). Sie reiste nach Polen, um Archive nach der
Kriegsvergangenheit ihres Vaters zu durchsuchen. Man sieht Adam und
Henriette verkatert erwachen.
Im Laufe eines langen, hochdramatischen Dialogs schildert Henriette ihre
Situation: Ehefrau und Mutter, überfordert mit den ihr zugeschriebenen
Rollen: „Als Mutter ist erlaubt, was man als Geliebte nicht darf:
grenzenlos lieben. Aber ich ertrinke in dieser Liebe.“ In der Beziehung zu
ihrem Ehemann wolle sie immer erobern, alles sei ein Kampf.
All das findet unter der permanenten Beobachtung Terezas statt, die auf dem
oberen Bühnenteil umherwandert und dort von Zeit zu Zeit auf sich
aufmerksam macht, offensichtlich um einen Keil in die sich anbahnende
Beziehung zwischen Adam und Henriette zu schlagen. Am Ende geht Henriette
zurück zu ihrer Familie.
## Gefangen im Familiengespinst
Im zweiten Traum geht es um Adam und Rudi (Chris Eckert). Rudi,
Anästhesist, wollte ursprünglich an einer Rettungsaktion an der ungarischen
Grenze teilnehmen, merkte aber, dass er es nicht konnte, und landete in
einer polnischen Kneipe. Während Rudi beständig versucht, Adam zum
Verlassen seines Zuhauses zu bewegen, scheint dieser immer stärker dort
gefangen zu sein – auch weil seine Mutter immer kränker wird, weiterhin
Adams Beziehungen kommentiert und ihn laufend zwingt, sich mit der
Vergangenheit seiner Familie auseinanderzusetzen.
Adam geht es zusehends immer schlechter; Rudi hingegen scheint ihn um sein
Schlechttgehen zu beneiden und beteuert traurig: „Ich könnte niemals länger
als zwei Tage am Stück unglücklich sein. Ich schaffe es einfach nicht!“
Dramatische Musik, Blitzlichter und Geschrei treiben das Bühnengeschehen
anschließend immer weiter in Richtung Eskalation, bis Rudi aufgibt und geht
und das Getöse jäh abbricht.
Obwohl sie so unterschiedliche Hintergründe und Geschichten haben, ist
allen Figuren im Stück gemeinsam, dass sie sich immer nur in ihren eigenen
Mühlen um sich selbst drehen, ohne Aussicht auf Ausbruchsmöglichkeit
und/oder Vorankommen. Man möchte die Geschichte gern als dystopisches
Gespenst abtun, doch bedauerlicherweise ist das Stück sehr nah an der
Realität.
Es ist natürlich unbefriedigend, mit einem Ende konfrontiert zu werden, in
dem keine der Personen in irgendeiner Form weiterkommt. „Weil die kleinen
Hoffnungen fehlen, klammern wir uns an die großen Visionen“, sagt Adam an
einer Stelle am Ende des Stücks. Die kleine Hoffnung, die „Adam und die
Deutschen“ vermittelt, ist vielleicht die, durch einen vorgehaltenen
Spiegel besser reflektieren zu können.
Beim Verlassen der alten Betonhalle stand man nach dem Stück wieder mitten
im Wald. Es duftete nach frischer Luft – und nach Bigos. Das nämlich
spendierte das Theater seinen Gästen zum Abschied.
Wieder am 6., 7. und 13. August 2021, jeweils 19.30 Uhr, [1][Andere Welt
Bühne Strausberg]
4 Aug 2021
## LINKS
[1] https://wasserwerk-theater.com/
## AUTOREN
Annika Glunz
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