# taz.de -- Ding Dang Dong | |
> Die Immanuelkirche auf der Veddel hat das Glockengeläut abgestellt und | |
> durch Musik ersetzt | |
Bild: Glockenturm ohne Glocke: auf der Veddel schallt aufge- zeichnete Musik vo… | |
Von Pascal Luh | |
„Different Times“ steht auf dem Schild an der Fassade der Immanuelkirche | |
auf der Veddel – und tatsächlich haben sich die Zeiten geändert. Zur | |
Schonung des instabilen Kirchengebäudes läuten Glocken hier nur noch aus | |
dem Lautsprecher. Das ist schon länger so, doch schleichen sich inzwischen | |
immer wieder auch ganz andere Klänge in das aufgenommene Geläut. Klangturm | |
heißt das Projekt, bei dem über ein Jahr die Musikstücke von 12 | |
Künstler*innen anstelle von Glockentönen abgespielt werden. Gerade ist | |
im Viertelstundentakt die Gitarre des Berliner Musikers Andrew Pekler zu | |
hören. Zu jeder vollen Stunde spielen sie ein bisschen länger, um 18 Uhr | |
gibt es ein Special. | |
Nika Son, die in Hamburg als Musikerin arbeitet und ihr Studio gleich um | |
die Ecke hat, ist dann ab Anfang August für einen Monat zu hören. „Ich bin | |
sehr dankbar, dass ich Andrew Pekler jetzt schon hören konnte“, sagt sie. | |
So habe sie sich bereits ein Bild von dem Projekt machen können. „Ich bin | |
sehr gespannt, wie meine Klänge wirken werden.“ Die Musikerin erzählt von | |
ihrem Schaffensprozess: „Man könnte natürlich provozieren, aber hier leben | |
ja auch Menschen.“ Die Beschallung sei ja wirklich ein konstanter Begleiter | |
im Alltag. Die Künstlerin, die sich besonders mit Sprachen und Stimmen in | |
ihrer Musik auseinandersetzt, komponiert neue, kurze Stücke für das | |
Projekt. Sie will die Plansprache Esperanto darin einbauen, „die | |
gescheiterte Weltsprache“, wie sie sagt. Das würde besonders gut passen, | |
weil auf der Veddel so viele Sprachen aufeinanderstießen. In ihren Stücken | |
„spielen elektronische Sounds eine Rolle und ein verstimmtes Klavier“. Aber | |
mehr wolle sie noch nicht verraten. | |
Diakonin Uschi Hoffmann lehnt entspannt an der Mauer vor dem Café Nova, dem | |
Begegnungs- und Veranstaltungsort der Gemeinde. Ihr gefallen die neuen | |
Kirchentöne. „Am Anfang ist das schon überraschend gewesen, weil man mit | |
der Glocke gerechnet hat.“ Inzwischen habe sie sich aber daran gewöhnt. Sie | |
freue sich vor allem darüber, mit der Kirchenarbeit wieder etwas Neues | |
machen zu können. In diesem Moment schallt ein surreal klingendes | |
Gitarrenriff vom Turm herab und unterbricht das Gespräch. Hoffmann fährt | |
routiniert fort. „Kirche muss sich an vielen Stellen verändern und andere | |
Wege gehen und nicht so sehr an dem Alten festhalten, was bisher | |
traditionell das Richtige war“, sagt sie. „Die Gesellschaft hat sich | |
einfach verändert, es treten die Leute aus und das hat Gründe.“ | |
Die Immanuelkirche scheint wie für dieses Spiel zwischen Altem und Neuem | |
gemacht zu sein. Die Kirche steht mit Efeu bewachsen noch ganz im alten | |
Klinkerlook da, doch oben im Turm sind neue, in Metall eingerahmte | |
Turmfenster eingelassen. Der Vorplatz, an dem das Café Nova und der Eingang | |
zur Diakonie liegen, ist aufgeräumt und gemütlich: Eine Bank und ein | |
Büchertauschstand stehen im Hof. „Mit Projekten wie diesem kommen wir neu | |
ins Gespräch“, sagt Hoffmann. | |
Bei Anwohnenden kommen die alternativen Glockentöne gemischt an. Ein | |
Passant sagte, es höre sich an wie Geistermusik. Ein anderer wäre sich nie | |
ganz sicher, ob die Geräusche von der Kirche kämen oder nicht. Doch gerade | |
junge Menschen vor Ort schätzen das Projekt. „Besser als die konservativen | |
Glockentöne!“, sagt eine Frau. Die Mitarbeitenden erhoffen sich von dem | |
Läuten Aufmerksamkeit auch für andere Projekte der Gemeinde: das Café Nova | |
zum Beispiel oder ihre Kulturveranstaltungen. „Die sind ja nicht | |
existenzgesichert“, sagt eine Mitarbeiterin. | |
29 Jul 2021 | |
## AUTOREN | |
Pascal Luh | |
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