# taz.de -- heute in bremen: „Am liebsten würden wir uns abschaffen“ | |
Interview Jasmin Koepper | |
taz: Frau Rother, kann eine schwangere Geflüchtete einen Krankenwagen | |
rufen, wenn sie Wehen bekommt? | |
Madeleine Rother: Prinzipiell ja, aber es kommt auf die Versicherung an. | |
Wenn eine Frau Asyl beantragt hat, werden die Kosten über das Bremer Modell | |
in den ersten 18 Monaten abgedeckt. Wenn sie nicht versichert ist, muss sie | |
den Krankenwagen selbst bezahlen. | |
Welche Hürden begegnen schwangeren Geflüchteten? | |
Geflüchtete Frauen werden oft zuerst mit der Fluchtgeschichte oder mit der | |
Hautfarbe gesehen und nicht als schwangere Frauen wahrgenommen. Sie sind | |
Stigmatisierung und Rassifizierung ausgesetzt. Deshalb haben viele Angst, | |
zum Arzt zu gehen und die medizinische Versorgung wird zu einer Hürde. Aus | |
meinem Freundeskreis kenne ich es, dass sich Frauen in der Zeit der | |
Schwangerschaft ein „Nest bauen“ und das so eine schöne und romantisierte | |
Zeit ist. Bei geflüchteten Frauen sind die Bedingungen in den | |
Erstaufnahmestellen anders. | |
Inwiefern? | |
Es gibt dort keine gesonderte Unterbringung. Sie bekommen nur eine | |
Matratze, die vielleicht auch noch hart ist und einfach nicht die | |
Bedürfnisse einer schwangeren Frau abdeckt. Sie müssen Treppen laufen, weil | |
sie den Fahrstuhl nicht benutzen dürfen. Sie müssen Behördengänge | |
erledigen. Dazukommen dann noch gesellschaftliche Vorurteile, wie dass die | |
Frauen ja schon geschafft hätten bis hierhin zu kommen und dann würden sie | |
auch die Schwangerschaft unter den Bedingungen schaffen. Ihnen wird | |
aberkannt, dass es um ihr Kind geht. | |
Was passiert mit Frauen, die keine Papiere haben? | |
In Bremen gibt es viele schwangere Frauen ohne Papiere, die aus Angst vor | |
Abschiebung keinen Asylantrag stellen und dann auch keinen Zugang zum | |
Gesundheitssystem haben. Die kommen hier zum MediNetz und haben bis kurz | |
vor der Geburt noch keine medizinische Versorgung bekommen. Das ist eine | |
dramatische und prekäre Situation. | |
Was macht MediNetz? | |
Wir vermitteln Geflüchtete und Papierlose ohne Krankenversicherung an | |
Ärzte, die die Menschen ehrenamtlich und auf eigene Kosten behandeln. | |
Unsere indirekte Arbeit ist die Forderung nach Veränderungen im | |
Gesundheitssystem. | |
Welche Veränderungen? | |
Am liebsten würden wir uns abschaffen. Gesundheit ist ein Menschenrecht. Es | |
ärgert uns, dass die Gesundheitsversorgung von Ehrenamtlichen getragen | |
wird. Unabhängig von Hautfarbe oder Versicherung sollten alle Menschen | |
Zugang haben zu Gesundheitsversorgung. Das wurde als Ziel im Bremer | |
Koalitionsvertrag festgehalten. | |
24 Jul 2021 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Koepper | |
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