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# taz.de -- Ehrenamt vor Arbeitsmarkt
> Das Hamburger Projekt „Mitmacher“ vermittelt Geflüchtete in Ehrenämter.
> Das stärke nicht nur das Selbstbewusstsein und ermögliche es, Kontakte zu
> knüpfen. Es verbessere auch die Chancen in Bewerbungsverfahren, sagen die
> Initiatorinnen. Geld gibt es aber keins
Bild: Ehrenamtlich aktiv war Sanaa Hamdan schon in Syrien. Die 47-jährige Rech…
Von Nele Aulbert
Lockdown, Ausgangssperren, Personenbeschränkung – Menschen, die gerade in
einer Stadt oder Gesellschaft ankommen, trifft die Pandemie besonders
schwer. Was tun, wenn das soziale Leben wegbricht, die Möglichkeit, einen
Sprachkurs zu machen oder einen Job zu finden? Um das Ankommen zu
vereinfachen, haben zwei junge Hamburgerinnen ein Projekt auf die Beine
gestellt, das Integration und Ehrenamt verbindet.
Die Initiatorinnen Anne Busch und Regina Fröhlich lernten sich 2016 bei
einem Workshop kennen und gründeten das Projekt „Mitmacher“. „Wir haben
Unterkünfte für Geflüchtete besucht und fragten aktiv nach, wie es den
Menschen geht und was sie sich wünschen“, sagt Fröhlich. Die Antwort sei
meist: „Wir möchten ankommen.“
Viele erzählten von ihrer Arbeit, die sie eigentlich erlernt und ausgeübt
hatten, von dem Warten auf Antworten der deutschen Behörden und auf Plätze
in Deutschkursen. „Wir hörten oft: Wir fühlen uns klein!“, sagt Busch.
Daraus entstand die Idee, im Rahmen des Projektes Mitmacher geflüchtete
Menschen an ehrenamtliche Einsatzstellen zu vermitteln.
Ein Ehrenamt kann auch ohne Arbeitserlaubnis ausgeübt werden, der Einstieg
ist nicht mit langwierigen behördlichen Prozessen verbunden. „Wir möchten,
anstatt immer nur die Schwierigkeiten während der Integration zu
fokussieren, die Stärken der Menschen hervorheben“, sagt Fröhlich.
Das Projekt findet großen Anklang: Gestartet in Harburg, arbeitet Mitmacher
mittlerweile in ganz Hamburg und Teilen Niedersachsens.
Auch Sanaa Hamdan ist Mitmacherin. Sie lebt seit drei Jahren in Hamburg und
arbeitete in Syrien als Rechtsanwältin. Zehn Jahre lang hatte sie ihre
eigene Kanzlei. In Deutschland darf sie den Beruf nicht weiter ausüben,
momentan liegt ihr Augenmerk auf dem Deutschkurs. Der fand wegen der
Pandemie aber im vergangenen Jahr nur online statt. „Ich wollte meinen
C1-Kurs nicht digital machen und habe über vier Monate gewartet, ob
Präsenzkurse doch möglich sind – am Ende habe ich mich doch angemeldet“,
sagt sie.
Während der Pandemie fehlte ihr vor allem der Kontakt zu ihren Mitmenschen
– mal rausgehen, das Fitnessstudio besuchen. Dann erzählte ihr ein Freund
von Mitmacher und sie meldete sich an. Seit drei Monaten betreut Hamdan nun
drei bis fünf Stunden die Woche Kinder in einem Jugendzentrum. „Ich war
schon immer kreativ und habe gerne mit den Händen gearbeitet“, sagt Hamdan.
Mit den Kindern bastelt sie viel, organisiert Spiele und kocht mit ihnen.
Auch in Syrien war die 47-Jährige immer ehrenamtlich aktiv, in Hamburg
wollte sie damit nicht aufhören: „Deutschland hat mir sehr gut geholfen,
ich möchte gerne etwas zurückgeben.“
Mitmacher unterstützt die Geflüchteten im Ehrenamt etwa drei Monate. Danach
gibt es ein Zertifikat. Hamdan möchte auch danach weitermachen, vielleicht
sogar ein paar Stunden mehr die Woche, wenn der Deutschkurs zu Ende ist.
So wie Hamdan gehe es vielen Geflüchteten, für die das Ehrenamt gerade in
der Pandemie wichtig sei: „Das Bedürfnis der Menschen nach Kommunikation
und Austausch ist noch größer geworden. Viele Mitmacher*innen kommen zu
uns und sagen: Ich möchte irgendetwas tun, es ist nicht wichtig, welches
Projekt“, sagt Initiatorin Busch.
„Das Gute ist: Unsere Arbeit geht von vorneherein von einer Herausforderung
aus, da war die problembasierte Arbeit durch die Pandemie gar nicht so
neu“, ergänzt Fröhlich. Sie hätten zwar viele Einsatzstellen nicht mehr
besetzen können, dafür aber neue soziale Projekte unter freiem Himmel
entdeckt. „Wir sind manchmal selber überrascht, wie gut die Vermittlungen
auch während Corona geklappt haben“, sagt Busch.
Die ehrenamtliche Arbeit bei Mitmacher wird bisher nicht vergütet. Das
sieht Conni Gunßer vom Flüchtlingsrat Hamburg kritisch. Sie warnt vor
Ausbeutung, wenn Geflüchtete für ihre Arbeit nicht entlohnt werden. Ein
Beispiel: In Behörden werde viel Geld gespart, in dem in Gesprächen mit neu
angekommenen Geflüchteten Dolmetscher*innen eingesetzt würden, die
selbst einen Fluchthintergrund haben: „Dolmetscher*in ist ein Beruf, der
entlohnt werden muss. In vielen Behörden wird aber gefragt: Kannst du das
mal kurz machen? Das fehlt dann jegliche Entlohnung oder
Ehrenamtlichenpauschale“, sagt Gunßer.
Mitmacher sieht die ehrenamtliche Arbeit im Rahmen des Projektes aber
keineswegs als Ersatz für eine entlohnte Arbeitsstelle. „Wir begleiten die
Mitmacher*innen in ihrem Engagement und achten darauf, dass sie nicht
öfter als ein- oder zweimal die Woche dort arbeiten“, sagt Busch. „Das
Ehrenamt wird mit einem Zertifikat besiegelt, die Mitmacher*innen können
Kontakte knüpfen und Erfahrungen sammeln.“ Das sei eine gute Grundlage für
Bewerbungsverfahren.
Am Ende sei der Fokus auch ein anderer: „Wir wollen Menschen empowern und
ihr Selbstbewusstsein stärken. Wegkommen von der Reduzierung auf den Status
als Geflüchtete*r.“
17 Jul 2021
## AUTOREN
Nele Aulbert
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