Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- heute in hamburg: „Es gibt viele tiefsitzende Mythen“
Interview Simeon Laux
taz: Frau Schürmann, inwiefern hat Hamburg seine Kolonialgeschichte
aufgearbeitet?
Sandra Schürmann: Die Kolonialgeschichte ist erst bruchstückhaft
aufgearbeitet. Es gibt schon sehr lange antikoloniale Stadtrundgänge und
immer wieder Leute aus der Zivilgesellschaft, die auf Straßenbenennungen
nach Kolonialverbrechern hinweisen. Da mal richtig ernsthaft und ganz genau
hinzuschauen, ist eine große Herausforderung. Es gibt Ansätze, es gibt aber
auch viele alte, tief sitzende Mythen, die es zu überwinden gilt. Wir
tendieren dazu, Wirtschafts- und Handelsgeschichte für unschuldiger zu
halten als etwa Politikgeschichte.
Welche Industriezweige haben in der Vergangenheit besonders von kolonialen
Strukturen profitiert?
Die Gummi-Industrie ist ein wichtiges Beispiel, das uns am Herzen liegt,
weil unser Museum sich auf dem Gelände einer alten Gummifabrik befindet.
Aber auch Bereiche der Industrie, die tropische Öle und Fette verarbeitet
hat, haben profitiert. Und auch die Schokoladenindustrie sowie die
Verarbeitung von Elfenbein zählen dazu.
Sind neokoloniale Strukturen für Hamburg heute noch von Vorteil?
Ja, klar, es gibt einige Industriezweige, die nach wie vor von der
Ungleichheit zwischen dem globalen Süden und dem globalen Norden
profitieren. Das ist nahezu jedes Unternehmen, das Rohstoffe verarbeitet,
die aufgrund dieser Ungleichheit günstig sind.
Welche kolonialen Spuren sind bis heute in der Stadt sichtbar?
Es wird immer wieder kritisiert, dass sich Hamburg nicht abgewöhnen kann,
Straßen nach Kolonialverbrechern zu benennen. Die Hafencity ist dafür ein
Beispiel. Es gibt aber auch historische Marker, an denen sich ein
romantisierender Blick auf die koloniale Vergangenheit erkennen lässt,
verbunden mit Bild- und Vorstellungswelten, die eine vermeintliche
vergangene Herrlichkeit heraufbeschwören. Zum Beispiel das Afrikahaus, das
Chilehaus, die Speicherstadt. Wir mögen die wohlklingenden Namen und finden
es toll, wenn es nach Gewürzen oder Kaffee riecht, aber wir ignorieren die
koloniale Ausbeutung dahinter.
Welche langfristigen Folgen haben die kolonialen Herrschaftsstrukturen in
den ausgebeuteten Ländern?
Das fängt mit einer Wirtschaftsstruktur an, die diese Länder zu
Rohstoffproduzenten degradiert hat. Der globale Süden kämpft noch heute mit
den Folgen der Zerstörung von Ressourcen, von Gesellschaften, von
Traditionen, mit den Folgen von Kriegen, Hungersnöten, Völkermorden. Diese
Gewalterfahrungen haben Folgen bis in die Gegenwart. Dazu gehören auch
Migrationsbewegungen und Probleme in der Zivilgesellschaft. Die Überwindung
des Kolonialismus ist ein sehr langer Prozess, mit dem sich die Länder seit
Jahrzehnten herumschlagen.
13 Jul 2021
## AUTOREN
Simeon Laux
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.