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# taz.de -- Die Jungen und die Pandemie: What the fuck
> Was Studis in der Pandemie fehlt, sind nicht Parties und Präsenzseminare.
> Uns fehlt, dass wir uns mit anderen spüren.
Bild: Paulina Unfried
Von [1][PAULINA UNFRIED]
Wir reden über die ausstehende Weltrettung, die wir natürlich maßgeblich
einläuten werden, und über „tiefe Gefühle“ und so was.
„Habt ihr schon mal so richtig geliebt?“ fragt Hannes.
Anton macht gerade den Espresso-Martini, Hannes liegt schon auf dem Sofa.
„Ich weiß nicht“ sagt Anton.
Früher war ich ständig bei ihnen in der WG, jetzt ist es eine Seltenheit.
Ich bin gefangen in Freundschaft mit Liebe, aber ohne Nähe. Ich fühle ich
mich zwar nicht alleine, aber bin es ständig.
Ich will solidarisch sein, ich will mit euch („der Gesellschaft“)
gemeinsame Sache in dieser Pandemie machen, ich will das Richtige tun, aber
ich will auch in einem Verhältnis leben, das ich selber einsehe. Deswegen
bin ich aus meinem Zimmer ausgebrochen und liefere mich und andere einer
Infektionsgefahr aus. Sorry, Gesellschaft. Ich bin seit dreizehn Monaten
mit mir im Dauerkonflikt, mental am Ende, potenziell tödlich, dagegen waren
meine ersten unerwiderten Liebesgefühle ein spaßiges Unterfangen am Rande.
Apropos Weltrettung, Hannes sagt: „Dieses ganze ‚ich will die Welt besser
machen‘ ist nur das neue ‚ich will einen Benz fahren und viel Geld‘, es i…
beides die gleiche kapitalistische Scheiße, es ist nur die neue Art, nach
gesellschaftlichem Ansehen zu winseln.“
Wir sind in vollem Bewusstsein darüber, dass wir jung, verträumt und
privilegiert sind, das Lebensgefühl ist top, aber es entfaltet sich eben
auch nur in der Gegenwart der Anderen. Wir können aber nicht klagen, weil
wir jung sind, und Corona „ist nicht so schlimm bei jungen Menschen“.
Physisch mag das stimmen.
Wegen der Privilegien wurden die jungen Menschen zu Beginn der Pandemie
schnell aus dem gesellschaftlichen Diskurs vernichtet, indem ihnen
„unsolidarisches“ und „unverantwortliches“ Verhalten vorgeworfen wurde.…
war klar: Ihr bleibt besser ruhig und beschwert euch nicht, sonst folgt
soziale Ächtung.
Drehen wir durch? Nein, dabei wissen wir, dass wir die letzten sein werden,
die geimpft werden. Die letzten, die ihre mentale Ausgeglichenheit
zurückbekommen, die letzten, die wieder leben, obwohl wir die sind, die
sich am meisten nach dem Leben sehnen.
Der Prof kann sich anstrengen wie er will, niemand lässt mich so inspiriert
zurück wie meine Freund:innen. Niemand fordert mich so heraus. Zoom ist
hier nicht das größte Problem, es läuft. Ich habe dieses Semester mehr
Leistungspunkte eingeräumt, als in Präsenz jemals möglich gewesen wäre, ich
bin überall synchronisiert, maximiere meinen Output, weil ich überall
gleichzeitig sein kann. Zoom wird trotzdem nie als Ersatzuniversität
funktionieren, das Zwischenmenschliche fehlt.
Geil wird’s doch erst, wenn wir aus der Wirtschaftsvorlesung kommen, uns
angucken und alle denken „wtf war das denn gerade?“. Dann folgen 60 Minuten
heiße Kapitalismuskritik, und erst dann fühlen wir etwas. Werden wir etwas.
Und, ganz ehrlich, den Foucault fühle ich nur so halb, wenn ich ihn nicht
mit anderen besprechen kann. Wie prätentiös. Aber true. Das Beste, Tollste,
Wahre am Studieren, ist das sich am-Größten-fühlen, durch die ständige Hin-
und Her-Bestätigung mit anderen Menschen, die wir-gegen-alle, die
wir-für-das-bessere-Dynamik, die da entsteht. Purer Luxus, der einem in
jungen Jahren vergönnt ist, wenn man mit anderen zusammentrifft, die
denken.
Ich werde erst interessant durch die anderen Menschen. Wenn die Bestimmten
da sind, kommen meine wirklichen Gedanken raus, und dann sind sie da, und
die anderen fangen sie besser auf, als ich es je könnte.
Studieren, nicht um in Seminaren zu sitzen, sondern um dringend notwendige
Selbstkritik zu üben und um auf andere zu treffen, die auch denken wollen,
letztlich, um sich mit anderen zu spüren. Nicht mal die Schulden, die ich
später abzahlen werde, sind so schmerzlich wie die fehlende Resonanz, die
mir von heute auf morgen genommen wurde. In einsamen Stunden in meinem
Zimmer denke ich an die anderen, die mir eigentlich gerade helfen sollten,
mich mit der Welt zu verknüpfen. Ich bin unter Druck, wenn ich jetzt kein
Gefühl für die Welt kriege, wann dann? Ich lebe in Zeiten der
Singularisierung, nehme mich dementsprechend super wichtig. Wir drehen uns
alle schon genug um uns selbst. Und dann auch noch ich, allein mit mir
selbst, jeden Tag.
An diesem Abend auf dem Sofa von Hannes und Anton machen wir gemeinsame
Sache, obwohl wir nie einer Meinung sind. Mit ihnen komme ich raus aus
meinen Gedanken, die sich sonst schlimmer um sich selbst drehen als nach
exzessivem Alkoholkonsum.
Anton sagt: „Warum streben wir nach dem Benz, statt nach Mehrwert im Leben
anderer? Warum schauen wir zu den Großen, die gegen die Gesellschaft
arbeiten?“
Ich glaube, wir werden später darüber reden, wie die jungen Menschen, die
eigentlich da draußen sein müssten und die Welt erfahren, um dies im
nächsten Schritt als erfolgreiche Weltverbesser:innen produktiv zu kriegen,
wie die jetzt emotional vereinsamen. Ihnen wird die Jugend genommen, nicht
weil sie nicht im Club Party machen sind, sondern weil sie nicht mit
anderen zusammen existieren können.
Später laufe ich nach Hause in mein Zimmer und fühle mich glücklich. Warum
gerade jetzt? Durch das mit anderen sein, fühle ich mich zum ersten Mal
seit langem wieder jung. Jung genug, um einen narzisstischen Text zu
schreiben, der meine vielen Privilegien nochmal auf die nächste Stufe hebt.
Aber wofür ist man heutzutage sonst noch jung?
PAULINA UNFRIED, 22, studiert PPÖ (Philosophie, Politik und Ökonomik) an
der Uni Witten/Herdecke. Dieser Text ist aus der aktuellen Ausgabe der
[2][Pottpost], Campuszeitung dieser Uni. Danke dafür.
17 Jun 2021
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