# taz.de -- „Es bleiben nur die mit Idealismus“ | |
> Um eine gute Pflegekraft zu sein, braucht es mehr als das Wissen darum, | |
> wie man eine Spritze verabreicht. Pflegepädagogin Christine Vogler über | |
> die Voraussetzungen für den Beruf und warum es wichtig ist, dass es | |
> Pflegestudiengänge gibt | |
Bild: Medikamentenboxen in einem Krankenhaus | |
Interview Marthe Ruddat | |
taz am wochenende: Frau Vogler, was muss ich mitbringen, um eine gute | |
Pflegekraft zu werden? | |
Christine Vogler: Man benötigt unter anderem eine hohe soziale Kompetenz, | |
das wird oft unterschätzt. Ein junger Mensch in der Ausbildung wechselt | |
alle vier bis sechs Wochen die Abteilung und muss sich jedes Mal in einem | |
fremden Team zurechtfinden. Das ist eine häufig unterschätzte Belastung. | |
Sozialkompetenz brauche ich aber auch im Umgang mit den zu pflegenden | |
Menschen. | |
Ja, am Beispiel Körperpflege kann man das gut erklären. Viele denken, man | |
wäscht halt jemanden. Aber es ist ein Unterschied, ob ich einen | |
Intensivpatienten wasche oder einen Schlaganfallpatienten, der auf einer | |
Seite eine Lähmung hat und sonst selbstständig ist, oder einen dementen | |
Bewohner, der sich nicht waschen möchte. Natürlich braucht man das | |
jeweilige Fachwissen. Aber wie man den Menschen in seiner Situation | |
anspricht, das kann ich nur bedingt lehren. Methoden der Kommunikation ja – | |
aber Einfühlungsvermögen und soziale Souveränität muss ich schon | |
mitbringen. Einem inkontinenten Menschen die Würde beim Einlagenwechseln zu | |
lassen ist eine hohe Kunst. | |
Ich stelle es mir schwer vor, Menschen unter dem Eindruck der | |
Coronapandemie und der [1][Belastung für das Pflegepersonal] für den Beruf | |
zu begeistern. | |
Es gibt viele Punkte, warum der Pflegeberuf nach wie vor sehr attraktiv | |
ist. Das ist, was die Leute in die Ausbildung zieht. Unverändert ist die | |
Pflege ein hochkompetenter Beruf mit einer hohen Wertschätzung in der | |
Gesellschaft. Und ein krisensicherer Job – langfristig arbeitslos zu sein | |
ist so gut wie ausgeschlossen. Und er passt in alle Lebenssituationen. Es | |
gibt Karriereoptionen und viele Arbeitsfelder. | |
Trotzdem brechen viele die Ausbildung ab, jetzt während Corona ist die | |
Abbruchquote [2][laut Bundespflegekammer noch gestiegen]. | |
Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass wegen des Fachkräftemangels | |
wirklich jedem die Pflege empfohlen wird, der woanders nicht unterkommt. Es | |
ist aber ein Riesenirrtum zu glauben, dass jeder professionelle | |
pflegerische Arbeit lernen kann. Dass der Beruf hochkomplex ist, begreifen | |
viele erst in der Ausbildung. Und jetzt in der Coronapandemie erleben die | |
Auszubildenden, wie belastet die Pflegenden sind, weil die Personaldecke | |
dünn ist, sie dadurch manchmal keine praktische Anleitung erfahren und zum | |
Teil auf den Stationen hin- und hergeschoben werden. Da bleiben am Ende nur | |
die Auszubildenden mit viel Idealismus übrig. | |
Dabei sollen doch gerade die Auszubildenden dazu beitragen, den | |
[3][Fachkräftemangel] zu beheben. Mit zahlreichen Maßnahmen wird versucht, | |
viele junge Menschen in die Ausbildung zu bekommen. | |
Von den Pflegenden und Auszubildenden zu erwarten, dass sie die verfehlte | |
Gesundheitspolitik der letzten vierzig Jahre und die Ignoranz gegenüber den | |
sachlichen Schilderungen der Zustände und der demografischen Entwicklung | |
wettmachen, geht nicht. Auszubildende können nicht dazu beitragen, den | |
Fachkräftemangel zu beheben. Das sind doch keine Lückenfüller. Sie müssen | |
lernen können, um sich mit dem Beruf positiv zu identifizieren. | |
Mitten in der Pandemie ist auch noch die neue generalistische Ausbildung | |
gestartet. | |
Die Auszubildenden, die 2020 angefangen haben, befinden sich im Grunde seit | |
einem Jahr in einer absoluten Ausnahmesituation. Unterricht findet fast | |
ausschließlich digital statt, und einen direkten Austausch unter den | |
Auszubildenden – ein ganz wichtiger Aspekt für Reflexion und | |
Auseinandersetzung mit dem Beruf – gibt es so gut wie gar nicht. Ich kann | |
nur den Hut ziehen vor denen, die noch dabei sind. | |
Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, Pflege als Beruf zu studieren. Warum | |
ist das überhaupt notwendig? | |
Weltweit ist die Pflege ein Studium. Der [4][Wissenschaftsrat hat bereits | |
vor zehn Jahren] eine Quote von 15 bis 20 Prozent studierten Pflegenden | |
empfohlen. Es gibt viele internationale Studien, die zeigen, dass es | |
überall dort, wo gut qualifiziertes und eben auch studiertes Pflegepersonal | |
arbeitet, geringere Mortalitäts- und schnellere Genesungsraten gibt. Es | |
geht also um Versorgungsqualität. Und es braucht Pflegende, die auf | |
wissenschaftlichem Niveau die Profession weiterentwickeln und einen | |
wissenschaftlichen Diskurs mit anderen Gesundheitsprofessionen führen | |
können. | |
Diese Quote gibt es bei uns aber nicht, oder? Ist unsere Pflege also | |
unprofessionell? | |
Jein. Die Pflegenden machen natürlich professionelle und gute Arbeit. Darum | |
geht es nicht. Es ist die Frage, was wir benötigen, um den Beruf | |
attraktiver zu machen. Wir benötigen alle Qualifikationsstufen in der | |
Pflege – vom Pflegehelfer bis zur Uniprofessorin – nur so können wir in | |
Zukunft pflegerische Versorgung sichern und vor allem auch | |
weiterentwickeln. In der Gesellschaft und selbst im Gesundheitswesen gibt | |
es einen sehr tradierten, arztzentrierten und hierarchischen Blick auf die | |
Pflege – das behindert die Weiterentwicklung des Berufes. | |
Nun gibt es die Studienplätze, aber Sie haben vor Kurzem darauf | |
hingewiesen, dass [5][weniger als die Hälfte belegt] seien. Was läuft da | |
falsch? | |
Das ist vor allem ein Finanzierungsproblem und liegt im Pflegeberufegesetz | |
begründet. Die Ausbildung wird vollumfänglich finanziert – die | |
Pflegeschulen bekommen Geld für die Ausbildung, und die Auszubildenden | |
bekommen Gehalt. In den Studiengängen wird nichts finanziert. Die | |
Studierenden können aber in den Semesterferien nicht arbeiten wie andere | |
Studierende, weil sie dann ihre Praxiseinsätze haben. Und auch die Träger | |
bekommen kein Geld, wenn sie Studierende aufnehmen. Da sagen natürlich | |
viele: Das machen wir nicht. | |
In einem [6][Interview vor drei Jahren] haben Sie gesagt, Pflegende seien | |
an der Schmerzgrenze – wenn sich nichts ändere, werde die Versorgung an der | |
ein oder anderen Stelle zusammenbrechen. Nun haben wir die Pandemie. Ist | |
das der Zusammenbruch, oder woran bemerken wir den eigentlich? | |
Das ist genau die richtige Frage. Im Grunde wird alles immer irgendwie | |
weitergehen. Es ist nur die Frage, auf welchem Qualitätsniveau die | |
Versorgung und die Pflege dann stattfindet. Wenn wir so weitermachen, dann | |
müssen die Menschen in Deutschland ihre Angehörigen in Zukunft selbst | |
pflegen, weil wir keine professionell Pflegenden mehr haben. Es wird | |
Familien geben, die können es sich leisten, Pflegekräfte zum Beispiel aus | |
dem Ausland zu bezahlen. Und es wird andere geben, die das nicht können. Da | |
wird es soziale Abwärtsspiralen geben. Ganz abgesehen von dem | |
volkswirtschaftlichen Schaden, der eintritt, wenn die Angehörigen zu Hause | |
versorgt werden und die Frauen – denn die werden es wieder sein, die die | |
Pflege übernehmen – nicht mehr arbeiten können. | |
Was muss getan werden, um das aufzuhalten? | |
In einer [7][Studie, die die Arbeitnehmerkammer Bremen vor Kurzem | |
veröffentlicht hat,] werden von den Pflegenden als wichtigste Punkte | |
Wertschätzung durch die Vorgesetzten, Zeit für qualitativ hochwertige | |
Pflege, ausreichend Personal und angemessener Lohn benannt. Für viele wird | |
es auch immer wichtiger, verlässliche Schichtpläne zu haben. Es gibt viele | |
kleine Bausteine, aber es braucht vor allem Leute, die sich trauen, | |
politisch neu zu denken und Gesetze zu schaffen, die über eine Legislatur | |
hinaus die Probleme angehen. | |
5 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /!5765325&SuchRahmen=Print | |
[2] https://bundespflegekammer.de/news/quo-vadis-pflegeausbildung.html | |
[3] /!5502503&SuchRahmen=Print | |
[4] https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/2411-12.pdf?__blob=publicat… | |
[5] https://deutscher-pflegerat.de/2021/03/30/hochschulische-pflegeausbildung-b… | |
[6] https://www.bibliomed-pflege.de/sp/artikel/35413-es-muss-gehandelt-werden-u… | |
[7] /!5745075&SuchRahmen=Print | |
## AUTOREN | |
Marthe Ruddat | |
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