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# taz.de -- berlin viral: Jetzt aber! Galleryweekend, selbst gemacht
Jeder Abend mit offenen Restaurants und Bars ist ein Geschenk nach diesem
Lockdown. Wir haben Hunger nach sozialem Austausch, danach zu tanzen, uns
in die Arme zu fallen, zusammenzuprallen, ein Lächeln zu erwidern,
sichtbar. In uns sitzt aber noch ein anderes Gefühl, das auf subtile Weise
ein Loch gebohrt hat: der Hunger nach Kunst, nur scheinbar durch
Online-Kultur gestillt. Endlich können wir wieder eintauchen, uns an
visuellen, auditiven und intellektuellen Eindrücken vollfressen. Genau das
hatten wir vor und so organisierten wir unser eigenes kleines Gallery
Weekend: ein Schnelltest, vier Lieblingsgalerien, los geht’s!
Leicht verkatert treffen wir uns am [1][Palais Populaire Unter den Linden],
der Galerie der Deutschen Bank. Sie inkorporiert systemkritische Kunst auf
die feinste kapitalistische Weise, makellos kuratiert, leicht zugänglich,
ästhetisch subversiv, sozial relevant. Ich habe oft versucht, hier nie
wieder hinzugehen, aber das Angebot lockt mich immer wieder:
bankenkritische Konzeptkunst aus Polen, Einstürzende Neubauten mit
Virtual-Reality-Theater oder diesmal Marc Brandenburg, ein multimedial
begabter Künstler, der sein Leben in Berlin sowohl aus der Sicht des
Kollektivs als auch aus der persönlichen Sicht als schwule Person of Color
reflektiert.
Brandenburg gibt uns, was wir vermissten: hyperrealistische
Bleistiftporträts seiner FreundInnen, ein in Weißlicht getauchter Raum
voller Fotos, der ein visuelles Tagebuch Berlins bildet, und drei
Videoarbeiten mit Menschen in gestrickten Masken, die die Stereotype von
Hautfarben auf simple, humorvolle und ernste Weise ad absurdum führen.
Draußen regnet es. Euphorisiert rennen wir zum Bus und stolpern tropfend in
die [2][DAAD-Galerie auf der Oranienstraße]. In einer wabernden, düsteren
Video- und Soundinstallation verarbeitet die Jazzmusikerin und Künstlerin
Matana Roberts die jüngsten Entwicklungen in den USA und bringt sie durch
ein eigenes Zitat auf der hinteren Wand in einen historischen Kontext,
sodass keine Fragen übrig bleiben: „The American system is broken they say,
but I say the system is actually working as originally set … A nation
founded on stolen land, labored by a stolen and decimated peoples. What
really did the founders expect?“
In vollem Einverständnis und mit flirrendem Blick machen wir uns auf zur
[3][ngbk-Galerie ein paar Hausnummern entfernt]. Unter dem Titel „Museo de
la Democracia“ nehmen hier zahlreiche lateinamerikanische KünstlerInnen den
politischen Zustand ihrer Gesellschaften, den Kolonialismus und seine
Monumente und die Diskriminierung indigener Communitys auseinander und
geben das oft hohle Wort „Demokratie“ seiner Musealität preis.
Dankbar und müde schlurfen wir zur Kottbusser Straße, ins [4][Künstlerhaus
Bethanien]. Weil wir länger gebraucht haben als geplant, haben wir unser
Zeitfenster verpasst und überlegen, ob wir überhaupt noch genug Energie
haben.
Zum Glück ging das Buchen schnell, denn schon nach zwei Schritten in die
Galerie hinein weicht die Erschöpfung der Begeisterung über so viel Farbe
und Inspiration: eine Videoarbeit mit psychedelisch glücklicher Musik,
bunte Tücher, die schöner und freier sind als jede Nationalflagge, ein
digital gezeichnetes Pandemietagebuch und ein großer Raum voll mit
schablonierten Papierporträts kubanischer RevolutionskämpferInnen.
Erleichtert kommen wir in der Ankerklause am Maybachufer an. Obwohl so ein
Rundgang nach so einer Nacht an den Kräften zehrt, sind wir innerlich
voller Energie, denn wir sind gesättigt von ästhetischen Reizen, Einblicken
in fremde Wahrnehmungen und neue Gesellschaftskritiken. So lassen wir uns
nieder, zeigen unsere Tests und teilen über Pommes und Cidre die frischen
Eindrücke. Zora Schiffer
29 May 2021
## LINKS
[1] https://www.db-palaispopulaire.de/
[2] https://www.berliner-kuenstlerprogramm.de/de/events/we-hold-these-truths/
[3] /!5765060&SuchRahmen=Print
[4] https://www.bethanien.de/exhibitions/
## AUTOREN
Zora Schiffer
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