# taz.de -- „Erster Schritt“stößt auf Kritik | |
> Deutschland erkennt seinen Völkermord an den Herero und Nama im heutigen | |
> Namibia vor über 100 Jahren an. Als Wiedergutmachung bietet es aber keine | |
> Reparationen an, sondern 1,1 Milliarden Euro Hilfsgelder über 30 Jahre | |
Bild: Swakopmund 2019: Während eines Herero-und Nama-Gedenkmarschs für Repara… | |
Von Dominic Johnson | |
Die Bundesrepublik Deutschland erkennt erstmals offiziell den Völkermord | |
an, den deutsche Truppen ab 1904 im heutigen Namibia an den Völkern der | |
Herero und Nama begangen hatten, um einen Aufstand gegen die | |
Kolonialherrschaft im damaligen Deutsch-Südwestafrika niederzuschlagen – | |
aber in Namibia regt sich Enttäuschung über die Konsequenzen, die | |
Deutschland aus diesem Schritt zieht. | |
„Wir werden diese Ereignisse jetzt auch offiziell als das bezeichnen, was | |
sie aus heutiger Perspektive waren: ein Völkermord“, erklärte das | |
Auswärtige Amt in Berlin am Freitag. „Im Lichte der historischen und | |
moralischen Verantwortung Deutschlands werden wir Namibia und die | |
Nachkommen der Opfer um Vergebung bitten.“ | |
Man habe nach mehr als fünfjährigen Verhandlungen zwischen Deutschland und | |
Namibia eine „Einigung über den gemeinsamen Umgang mit dem dunkelsten | |
Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte“ erzielt, führt das Auswärtige Amt | |
aus: „Als Geste der Anerkennung des unermesslichen Leids, das den Opfern | |
zugefügt wurde, wollen wir Namibia und die Nachkommen der Opfer mit einem | |
substanziellen Programm in Höhe von 1,1 Milliarden Euro zum Wiederaufbau | |
und zur Entwicklung unterstützen. Bei dessen Gestaltung und der Umsetzung | |
werden die vom Völkermord betroffenen Gemeinschaften eine entscheidende | |
Rolle einnehmen. Rechtliche Ansprüche auf Entschädigung lassen sich daraus | |
nicht ableiten.“ | |
In Namibia sind die Reaktionen zurückhaltend bis ablehnend, von einer | |
endgültigen Einigung ist nicht die Rede. Von einem „ersten Schritt“ sprach | |
Alfredo Hengari, Sprecher von Namibias Präsident Hage Geingob. Der | |
Nachrichtenagentur AFP sagte er am Freitag: „Die Anerkennung vonseiten | |
Deutschlands, dass ein Völkermord begangen wurde, ist der erste Schritt in | |
die richtige Richtung.“ Zwei Tage zuvor hatten ihn lokale Medien mit der | |
Mitteilung zitiert, die „Sache“ sei im Kabinett behandelt worden und „der | |
Präsident wird über die erste Phase des Prozesses Bericht erstatten und mit | |
den betroffenen Gemeinschaften Schritte diskutieren“. | |
Die betroffenen Gemeinschaften – Namibias Herero und Nama, also die | |
Nachkommen der Völkermordüberlebenden – lehnen das bisherige | |
Verhandlungsergebnis scharf ab und haben bereits Protest im Parlament | |
angekündigt, sollte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Namibia | |
reisen, um das Abkommen zu unterzeichnen. | |
„Deutsches Völkermordangebot ‚eine Beleidigung‘‘“ titelte am Freitag | |
Namibias führende unabhängige Tageszeitung Namibian. Laut namibischen | |
Presseberichten sollen die 1,1 Milliarden Euro aus Deutschland über 30 | |
Jahre gestreckt werden und lediglich in bereits bestehende staatliche | |
Entwicklungspläne der namibischen Regierung einfließen. Der deutsche | |
Namibiahistoriker Henning Melber rechnet vor, dass diese Summe in etwa der | |
deutschen Entwicklungshilfe für Namibia in den letzten 30 Jahren | |
entspricht, also einfach das bestehende Unterstützungsniveau fortführt. | |
Hauptproblem aus Sicht der Herero und Nama ist, dass ihre wichtigsten | |
Führungspersönlichkeiten sich nicht von der namibischen Regierung vertreten | |
sehen und sich von den Verhandlungen mit Deutschland ausgeschlossen fühlen. | |
Das Auswärtige Amt sagt, „Vertreter der Gemeinschaften der Herero und Nama | |
waren auf namibischer Seite in die Verhandlungen eng eingebunden“. Wie | |
Kritiker anmerken, heißt „eingebunden“ allerdings nicht, dass sie auch mit | |
dem Ergebnis „einverstanden“ waren. | |
Die beiden Dachverbände der traditionellen Herero- und Nama-Führer, die | |
Ovaherero Traditional Authority (OTA) und die Nama Traditional Leaders | |
Association (NTLA), lehnten das Verhandlungsergebnis bereits am Mittwoch | |
auf einer Pressekonferenz ab: Es stelle lediglich eine Versöhnung zwischen | |
zwei Regierungen dar, nicht aber mit den betroffenen Gemeinschaften, und | |
beinhalte auch keine Reparationen. „Dies genügt nicht für das Blut unserer | |
Ahnen“, sagte der Paramount Chief der Herero, Vekuii Rukoro. „Wir werden | |
bis zur Hölle gehen und wieder zurück, um zu kämpfen.“ | |
Rukoro war im Jahr 2015 nach Deutschland gereist, um seine Forderung nach | |
Entschädigung offiziell zu präsentieren, war aber nicht offiziell empfangen | |
worden. Die Bundesregierung hat Direktgespräche mit den betroffenen | |
Gemeinschaften immer abgelehnt und gesagt, ihr Verhandlungspartner sei | |
Namibias Regierung. Sie hat auch immer wieder darauf geachtet, dass aus | |
einer Anerkennung des Völkermords keine „Rechtsfolgen“ entstehen, also | |
juristische Ansprüche auf Entschädigung. | |
Zed Ngavirue, Verhandlungsführer der namibischen Regierung bei den | |
Gesprächen mit Deutschland, wies die Vorwürfe der Herero zurück. Es sei | |
immer klar gewesen, dass Deutschland „nicht in der Lage ist, unsere | |
Verluste wiedergutzumachen“, sagte er: „Die Deutschen haben auf das | |
reagiert, was wir auf den Tisch gelegt haben.“ Präsidentensprecher Hengari | |
sagte, die offizielle Position Namibias bleibe unverändert: „Deutschland | |
muss anerkennen, dass ein Völkermord stattfand, danach muss es eine | |
Entschuldigung geben, und dann Reparationen für die betroffenen | |
Gemeinschaften.“ | |
In Deutschland erklärte die Aktivistenvereinigung Berlin Postkolonial, die | |
sich für die Aufarbeitung deutscher Kolonialverbrechen einsetzt, die | |
Vereinbarung werde keine Versöhnung stiften, sondern „Frustration und | |
Unfrieden“. | |
Nach wie vor erkenne Deutschland den Völkermord in Namibia nicht | |
völkerrechtlich – also mit einer Pflicht zur Wiedergutmachung – an. | |
„Vielmehr stellt es seine Leistungen gegenüber Namibia als freiwillige | |
Hilfsaktion dar“. | |
29 May 2021 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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