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# taz.de -- Im Gebüsch und in der Bäckerei
> Stöbern nach Kunst im Dickicht der Stadt: In Moabit haben
> Künstler:innen des Kollektivs Æ Skulpturen und Interventionen in
> alltägliche Umgebungen gebracht – und auch gepflanzt
Bild: Steven Warwick, „Scarecrow/Strawman/Strohmann/Oz“ Foto: Angèle Baldu…
Von Jan Bykowski
Eine lose Gruppe von Kunstschaffenden hat die Nase voll. Verschobene
Termine, Absagen und allerorten die Flucht in den virtuellen Raum, seit
Langem sieht der Kulturbetrieb so aus. Museen, Galerien und andere
institutionalisierte Kunsträume sind nur zeitweise und unter wechselnden
Einschränkungen nutzbar. Aber es geht auch anders. Die Gruppe fand sich zum
Künstlerkollektiv Æ zusammen und das macht seine Ausstellung kurzerhand
selbst, und zwar umsonst und draußen.
Ihre Skulpturen, Installationen und anderen künstlerischen Interventionen
haben Ende Mai des letzten Jahres kreuz und quer durch Kreuzberg ihre
Plätze gefunden. Das Konzept fand Zuspruch, in diesem Jahr beteiligen sich
noch mehr Kunstschaffende am aktuellen Projekt der Gruppe: „The Forage“
findet gegenwärtig in Moabit statt.
Grundlegend für das Kollektiv Æ ist der Wunsch, nicht noch eine
Online-Veranstaltung zu machen. „Wir wollten wieder zurück zur
Materialität“, erklärt Theresa Kampmeier, eine der Organisatorinnen. Um zu
den Arbeiten zu finden, ist für die Öffentlichkeit dann aber doch ein
onlinefähiges Gerät erforderlich. Auf der Website [1][aeproject.info] lässt
sich eine Karte öffnen, die zu den oft unscheinbaren Stationen des Projekts
führt, und sie mit Informationen über Werk und Autor*in ergänzt.
Der schwer zu übersetzende Begriff „Forage“ bezeichnet das Stöbern von
Tieren im Wald nach Nahrung. Im oft unterschätzten Bezirk Moabit finden
Kunstsuchende mehr, als das durch Gefängnis und LAGeSo geprägte Image des
Bezirks nahelegt. An belebten wie auch an weniger offensichtlichen Orten
ist hier Kunst zu finden. Etwa 30 Interventionen fallen in Moabit auf eine
kulturell überraschend fruchtbare Umgebung.
Das Umfeld ist zuweilen auch von Geschichte getränkt. Eine der
prominentesten Insassinnen des Moabiter Gefängnisses war Rosa Luxemburg.
Hier wie auch in den anderen Haftanstalten, in denen sie festgesetzt worden
war, fand sie trotz der Umstände auch etwas, woran sie sich freuen konnte.
Sie sammelte Pflanzen und Blüten, die sie getrocknet und gepresst in Alben
zusammenstellte. Itamar Gov hat aus den Alben Arten zusammengestellt, die
gerade Blütezeit haben, und daraus am Ufer der Spree „A Garden for Rosa“
zusammengestellt. Unauffällig am Fuße der Brücke über die Spree, gegenüber
vom Schloss Bellevue, bilden sie als Repräsentation der sozialistischen
Vorkämpferin ihr stilles Denkmal. Ganz in Luxemburgs Stil nicht aus Erz
oder Eisen, sondern aus Blumen, die das gegenüber residierende
Staatsoberhaupt nicht aus dem Blick lassen. Die Gefahr, dass sich
Sonnenhungrige versehentlich auf die Intervention legen, ist bei „The
Forage“ einkalkulierter Teil des Konzepts. Kunst kann im wirklichen Leben,
außerhalb schützender Institutionen, besonders wirksam sein, ist der
Umgebung aber eben auch ausgesetzt.
Oder gleich als Konsumprodukt angelegt, wie „power caramel ~ I will be
there for you“ von Maki Ishii. Die gebürtige Japanerin hat tatsächliche
Toffees in das Sortiment einer Bäckerei in der Wiclefstraße platziert. Die
Schachteln sind mit freundlichen Begriffen bedruckt. Wenn man schon nicht
reisen kann, findet man in diesen Süßigkeiten Grüße aus einem fernen Land,
dessen Bewohner gerade dieselben Probleme auszustehen haben wie wir: eine
freundliche Verbindung.
Nicht alle Stationen sind so arglos, manche lauern dem Betrachter
regelrecht auf. Die „Scarecrow/Strawman/Strohmann/Oz“ hat Steven Warwick
auf einem Hügel im Fritz-Schloß-Park platziert. Im Gebüsch hinter
Parkbänken kauert eine dunkle Gestalt mit unsichtbarem Kopf. Zumindest auf
den ersten Blick, denn der zweite verrät, dass die an die Vogelscheuche aus
dem „Zauberer von Oz“ angelegte Skulptur einen Kohl als Kopf hat. Die
eigentlich liebenswerte Figur des Strohmanns wird mit doppelbödiger
Unheimlichkeit aufgeladen. An diesem Ort kann ihre Ambiguität die Phantasie
der Leute anregen, die im Park spazieren gehen.
Inzwischen scheinen sich Lockerungen der durch Corona erforderlichen
Einschränkungen abzuzeichnen. Theresa Kampmeier freut sich darüber, denn
die Arbeit des Kollektivs Æ wird sich dadurch keineswegs erübrigen. Das
Independent-Projekt zeigt die Möglichkeiten einer durch keine Vorgaben von
Markt, Sponsor oder Förderprogramm beeinflussten Kunst und bestätigt
zugleich die Idee von FLUXUS: Kunst ist nicht auf offizielle Kunsträume
beschränkt, sondern fließt ins tägliche Leben ein und entfaltet sich dort.
Wenige Tage nach dem 100. Geburtstag von Joseph Beuys, der FLUXUS so
nachhaltig mitgeprägt hat, lädt „The Forage“ ein, Kunst – sei es auch n…
ganz nebenbei – in seine Spaziergänge an diesem Wochenende einfließen zu
lassen.
Bis 16. Mai, Skulpturenroute im öffentlichen Raum Berlin-Moabits
15 May 2021
## LINKS
[1] https://www.aeproject.info/
## AUTOREN
Jan Bykowski
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