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# taz.de -- Keine bleibenden Schäden
> Das durch Quarantäne gehandicapte Pokalüberraschungsteam aus Kiel wird im
> Halbfinale von Borussia Dortmund vorgeführt. Für den großen Endspurt im
> Aufstiegskampf fühlt sich der Zweitligist dennoch bestens gerüstet
Von Andreas Geidel
Nein, selbst ein Kantersieg im Profisport hinterlässt nicht zwangsläufig
eindeutige emotionale Spurwen bei Gewinnern und Verlierern. Borussia
Dortmunds Freude über den Einzug ins DFB-Pokalfinale gegen RB Leipzig am
13. Mai wurde am Sonnabendabend zutiefst getrübt durch die schwere
Verletzung von Mateu Morey (Verdacht auf Kreuzbandriss). Der weiter vom
Bundesliga-Aufstieg träumende Fußball-Zweitligist Holstein Kiel wechselte
derweil nach der Spontan-Depression ob der heftigen 0:5-Niederlage beim
Champions-League-Viertelfinalisten mit Verzögerung in den
Jetzt-erst-recht-Modus.
Zeit zur Trauerarbeit bleibt dem Zweitligisten ohnehin nicht. Um 2.15 Uhr
am Sonntagmorgen landeten sie in Kiel-Holtenau, schon am Dienstag wartet
mit dem SV Sandhausen die nächste von noch sechs Hürden im Mammutrennen um
das Erstliga-Ticket bis zum Saisonfinale am 23. Mai. Direkt nach der
vernichtenden Niederlage in Dortmund indes befielen ausgerechnet
Holstein-Routinier Fin Bartels, einen der Protagonisten beim
Jahrhundert-Triumph gegen den FC Bayern in Pokalrunde zwei und mit seiner
entwaffnet offenen Art in Interviews ein Symbol für Kieler Unbefangenheit,
Zweifel an den eigenen Qualitäten. „Was machst du eigentlich hier im
Pokal-Halbfinale“, habe er sich speziell in der ersten Halbzeit bisweilen
gefragt, verriet der 34-Jährige.
In dieser Phase hatten sich die schlimmsten Kieler Befürchtungen von einem
ungleichen Duell zur Unzeit bestätigt. Hier die Angriffswucht des in
Top-Form befindlichen BVB, der sich auch ohne Ausnahmekönner Erling Haaland
in einen Rausch kombiniert, durch die Treffer von Giovanni Reyna (16., 23.)
sowie Marco Reus (26.) binnen zehn Minuten die Weichen gestellt und dank
der folgenden Tore von Thorgan Hazard (32.) und Jude Bellingham (42.) zur
höchsten Halbzeit-Führung in einem deutschen Pokal-Halbfinale einen Eintrag
in die Geschichtsbücher gesichert hatte.
Dort der krasse Außenseiter, dem im dritten Spiel innerhalb von sieben
Tagen nach der zweiten 14-tägigen Corona-Teamquarantäne ohne Training und
Wettkampf binnen sechs Wochen Schnelligkeit in Kopf und Beinen besonders im
Positionsspiel gegen den Ball und im Zweikampf fehlte. „Wir waren nicht
griffig, wir haben vielleicht gedacht, wir spielen hier in Dortmund ein
bisschen Fußball, du musst dich aber viel mehr wehren“, so Bartels
ernüchtert und zugleich irritiert über die eigenen Mängel in der besten
Defensive der Zweiten Liga.
Ganze vier Fouls hatten sich Kiel im Laufe der Partie geleistet. Am Ende
stand ein imaginärer Fairness-Preis und die höchste Pokal-Niederlage der
Vereinsgeschichte seit dem 1:7 im Achtelfinale in Nürnberg am 28. April
1979. „Den heutigen Abend abzuschütteln, das wird schon schwierig für
mich“, gestand Bartels, legte dann aber mit klarem Blick in die TV-Kamera
nach: „Wir spielen immer noch eine geile Saison und haben ein großes Ziel
vor Augen.“
Auch Cheftrainer Ole Werner sah in der häuslichen Isolation der vergangenen
Wochen inklusive der damit einhergehenden psychischen Belastungen einen
Hauptgrund für den Nackenschlag in Dortmund. „Wir haben Situationen
durchgestanden, die keine Mannschaft in Deutschland durchstehen musste.“ Er
wisse diese Niederlage gegen diesen Gegner unter diesen Umständen
einzuordnen. Werners fast trotzige Kernaussage: „Wir werden keine
bleibenden Schäden mitnehmen. Wir werden alles daransetzen, um im nächsten
Jahr wieder nach Dortmund kommen zu dürfen.“
Die Stoßrichtung dieser Sätze zielt auf norddeutsche Widerstandsfähigkeit:
Niedergestreckt, aber nicht k.o.! Das Kapitel Pokal ist mit einem
Einnahmeplus von gut vier Millionen Euro abgehakt. Jetzt sollen die
bundesweit erlangten Sympathiewerte mit dem Aufstieg veredelt werden. Dies
trotz der Pandemiefolgen und eines bescheidenen Etats für die
Lizenzmannschaft in Höhe von nur 11,3 Millionen Euro. Eine famose
Vorstellung für alle Fußballromantiker.
Auch deshalb, weil bei der Frage, ob Körper oder Kopf im Schlussspurt der
Liga entscheiden, neben der Qualität in der Breite des Kaders der in der
Vergangenheit stets hochgelobte Teamspirit der Kieler elementare Bedeutung
erlangen könnte. Wie vielleicht schon am Dienstag. Mit einem Dreier im
Nachholspiel gegen Sandhausen und dem damit verbundenen Sprung auf
Relegations-Platz drei der Tabelle – und das am 33. Geburtstag Ole Werners.
Es wäre ein Festtag ohne emotionale Einschränkung.
3 May 2021
## AUTOREN
Andreas Geidel
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