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# taz.de -- „Man muss sich die Zeit nehmen zuzuhören“
> In Bremens überdurchschnittlich von Corona betroffenen Stadtteilen gibt
> es seit März zusätzlich Sozialarbeiter*innen, sogenannte
> „Gesundheitsfachkräfte“. Sie sollen über Corona aufklären und die
> Menschen beraten
Protokoll Mahé Crüsemann
Josephine Kwarteng: Unsere Aufgabe ist es, Information nicht nur zu
verbreiten, sondern auch zu vermitteln. Unser Fokus liegt dabei momentan
auf Corona. Es ist wichtig, dass die Bewohner beispielsweise in
Osterholz-Tenever, wo ich als Gesundheitsfachkraft arbeite,
niedrigschwellig Information erhalten in einfacher Sprache, sodass die
ganzen Coronaregeln und Verordnungen auch bei ihnen ankommen und sie das
auch richtig verstehen können.
Bülent Aksakal: Was wir unter anderem machen, ist aufsuchende Arbeit. Ich
bin schwerpunktmäßig in Gröpelingen tätig. Wir wollen hier durch den
Stadtteil gehen und mit den Menschen reden, müssen uns aber natürlich
bekannt machen und vorstellen. Der Schwerpunkt liegt darauf, dass wir uns
auch die Sorgen anhören und auf Fragen der Menschen eingehen. Wir versuchen
auch zu verstehen, dass die Menschen nachvollziehbarerweise Bedenken haben,
beispielsweise gegenüber der Corona-Schutzimpfung,.
Josephine Kwarteng: Ich bin richtig zufrieden mit dem Start des Projekts.
Ich habe so viel gelernt in der kurzen Zeit über andere Menschen und über
mich selber. Wenn Menschen mit Fragen kommen, dann sind sie natürlich
unsicher. Ich kann versuchen, die Fragen zu beantworten, und wenn sie dann
rausgehen und glücklicher sind, dann weiß ich, dass ich es richtig gemacht
habe. Das ist das Wichtigste: dass wir den Bewohnern die Ängste nehmen
können. Einige Ängste bleiben, aber wenn wir etwas ändern können, dann
sollten wir das alle machen.
Bülent Aksakal: Man darf nicht vergessen, wenn man verschiedenste Menschen
berät, dass diese Menschen wiederum, diese Mütter, diese Kinder, diese
Jugendlichen, diese Väter, mit anderen Menschen reden im Viertel. Das sind
auch sogenannte Multiplikatoren. Das ist eine Sache, die sich im Laufe der
Monate immer effektiver, effizienter aufbauen wird. Da muss man auch Geduld
haben. Wir bekommen über unser Netzwerk aber jetzt schon mit, dass unsere
Arbeit Wirkung zeigt, das ist eine gute Sache.
Josephine Kwarteng: Ich habe gemerkt, auch wenn ich vorher schon hier im
Stadtteil gearbeitet habe: Man kann sich jetzt nicht einfach hinstellen und
Flyer verteilen und sagen: „Wir sind die neuen Gesundheitsfachkräfte.“ Ich
muss die Menschen erreichen, egal wie – ob mit Sprache oder Bildern. Ich
kann nicht erwarten, dass die Menschen zu mir ins Büro kommen, ich muss
rausgehen und die Menschen ansprechen, ich muss wirklich handeln. Oft
wissen die Menschen nicht, was ich mache, und denken, ich arbeite mit der
Polizei zusammen und sammle Informationen über sie. Das Vertrauen
aufzubauen, ist erst mal sehr schwer. Man muss wirklich aktiv sein und
motiviert sein und rausgehen.
Bülent Aksakal: Ich bin durch meine vorherigen Tätigkeiten und auch privat
sehr interessiert an politischen und sozialpolitischen Themen. Ich war es
schon gewohnt, mit Menschen zu reden, zu debattieren – auch mit Menschen,
die ganz andere Meinungen haben. Das hat mir geholfen, dass ich jetzt ruhig
bleiben kann, auch in schwierigen Situationen. Es sind Menschen in
schwierigen Situationen, in schwierigen sozialen Lagen, mit denen wir
kommunizieren. Das macht dieses Projekt so schwierig: Einerseits soll man
aufklären zu einem aktuellen, sehr brisanten Thema wie Corona, andererseits
gibt es so viele soziale Nebenaspekte wie beispielsweise der drohende
Verlust des Arbeitsplatzes, die mit reinspielen, worüber die Menschen auch
reden wollen oder wo sie Fragen zu haben.
Marcus Wächter-Raquet: Das menschliche Verhalten wie ein nachlässiger
Umgang mit den Kontaktbeschränkungen ist das eine, das zu einem hohen
Inzidenzwert führt, aber das andere sind strukturelle Faktoren wie ein
enger Wohnraum, ein langer Arbeitsweg. Und das sind die Hauptfaktoren und
an denen können wir auch gar nichts ändern. Das muss man auch aushalten
können, das wird so bleiben. Für diese ganzen strukturellen Sachen können
die, die das jetzt aushalten müssen, am allerwenigsten. Das sind die
Leidtragenden der ganzen Geschichte.
Bülent Aksakal: Man muss wirklich sensibel auf die Menschen eingehen.
Bisher gelingt das ganz gut. Man darf da auch nicht naiv drangehen, man
kann nicht alle erreichen. Der Großteil der Menschen, meiner Erfahrung in
Gröpelingen nach, ist aber bereit zu reden und zuzuhören. Die Mehrheit
nimmt Corona auch ernst. Man muss sich eben nur mal die Zeit nehmen, auch
zuzuhören.
Marcus Wächter-Raquet: Man kann nicht einfach jemandem sagen, was richtig
ist. Jeder hat eine andere Wahrnehmung und handelt aus einem anderen
Kontext. Manchmal, da arbeiten die Dinge ja weiter nach so einem Gespräch.
Dann muss man vielleicht noch ein, zwei Mal drüber schlafen. So kommt man
selber vielleicht am Ende auf ein ganz anderes Ergebnis.
24 Apr 2021
## AUTOREN
Mahé Crüsemann
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