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# taz.de -- Die Frage „Was hattest du an?“
> Eine Ausstellung in Kiel beschäftigt sich mit den falschen Fragen, die
> Opfer sexueller Gewalt über sich ergehen lassen müssen
Von Nele Aulbert
Zu sehen ist eine schwarze Jeans, mit kleinen Schlitzen am Knie. Dazu ein
grauer Pullover, hoch geschnitten, unauffällig. Er könnte von H&M sein. So
eine Hose war vor zwei Jahren sehr angesagt. Fast jede Frau hatte eine im
Kleiderschrank. Neben den Klamotten hängt ein Zitat der Frau, die in einem
ähnlichen Outfit Opfer von sexueller Gewalt wurde:
„Nach einem Barbesuch mit einer Freundin kam ich spät abends nach Hause.
Nachdem ich die Haustür zum Treppenhaus aufgeschlossen hatte und
reingegangen war, schnappte die Tür nicht wieder zu. Der Täter hatte mich
auf dem Rückweg verfolgt. Sein Gesicht habe ich erst vor Gericht gesehen.
Bei der Polizei wurde ich mit den absurden Worten „Sie sind unser Sechser
im Lotto!“ begrüßt, nachdem den Beamten klar wurde, dass meine
Vergewaltigung sie zum Täter führen würde.
Es reiht sich Outfit an Outfit. Ein schwarzes Trägerkleid mit einem grauen
Cardigan darüber. Eine schwarze Leggins mit einer weiten schwarzen Bluse.
Ein Kinderschlafanzug. „Wir hätten die Ausstellung auch „Wie viel hast du
getrunken?“ nennen und Promilleangaben ausstellen können“, sagt Emely
Egerland.
Die 27-jährige Marketingmanagerin ist die Initiatorin der Ausstellung, die
im April in Kiel starten soll und dafür sensibilisieren soll, dass die
Opfer keine Schuld trifft. „Durch Fragen nach den Klamotten, die man trug,
oder dem Zustand, in dem man sich befand, unterstellt man den Betroffenen
eine Mitschuld an der Tat“, sagt Egerland.
Oft fallen die Fragen im privaten Umfeld und können die Vertrauensbasis zu
den Betroffenen schwer schädigen. „Mit jeder dieser Fragen oder
Schuldzuweisungen legt man den Betroffenen Steine in den Weg der
Bewältigung“, sagt Egerland.
Die nachempfundenen Kleidungsstücke sowie die Zitate der Betroffenen bilden
den Kern der Ausstellung. Zusätzlich werden die Besucher*innen mit
Fakten und Hintergrundwissen versorgt. „Wir geben auch Beispiele an die
Hand, wie man mit Betroffenen umgehen kann. Und welche Aussagen eben nicht
gehen“, sagt die Initiatorin, die selbst sexuelle Gewalt erlebt hat. In
einem geschützten Raum kann jede*r anonym Gedanken teilen und Erfahrungen
aufschreiben. Diese werden dann Teil der Ausstellung selbst. Niemand muss
sich als Betroffene*r outen.
## Frauen meldeten sich von selbst
Das Format der Ausstellung kommt aus den USA. 2014 fand die erste
Installation von „What Were You Wearing?“ an der University of Arkansas
statt. Emely Egerland war durch einen Facebook-Post darauf aufmerksam
geworden und überlegte mit ihrem Freund René Unger, wie sie selbst so eine
Ausstellung in Norddeutschland auf die Beine stellen könnten. Die beiden
entschieden sich gegen einen offenen Aufruf an Betroffene. „Wir brauchten
natürlich norddeutsche Geschichten, die wir ausstellen konnten. Aber wir
fühlten uns nicht wohl dabei, aktiv Menschen aufzufordern, uns ihre
intimste und wahrscheinlich schrecklichste Geschichte zu erzählen“, sagt
Egerland. Am Ende meldeten sich viele Betroffene von selbst.
Am wichtigsten war der Ausstellungsmacherin das Vertrauen zu den Frauen.
„Ich habe mit jeder persönlich geredet. Wir haben die Outfits zusammen
nachempfunden und jede Geschichte in ein Zitat verpackt“, erzählt sie. Der
Verzicht auf die Originalklamotten der Erzählenden war dabei eine bewusste
Entscheidung. „Wir wollen zeigen: Es spielt keine Rolle, was du trägst.
Dafür ist es nicht notwendig, das originale Outfit zu zeigen, wir wollen
hier keine Sensationslust.“
Die Ausstellung macht Mut und klärt auf, verspricht aber keine Lösung. Sie
vermittelt, gibt Raum und zeigt: Du bist nicht allein. Jede*r ist
willkommen und jede*r wird mit anderen Gefühlen konfrontiert sein. Wut
wird eines davon sein. Und hoffentlich die Erkenntnis, was für eine Macht
eine unbedachte Frage haben kann.
„Was hattest du an?“: 10.–25. 4., Holstenstraße 49, Kiel, Eintritt frei,
Reservierung eines Zeitfensters auf [1][www.washattestduan.de], empfohlenes
Mindestalter: 16 Jahre
3 Apr 2021
## LINKS
[1] http://www.washattestduan.de
## AUTOREN
Nele Aulbert
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