# taz.de -- berliner szenen: Kinder lieben Punk-Rock | |
Das Telefon klingelt kurz, aber bestimmt. Es ist P., der im Kiez kein | |
Unbekannter ist. Seine Töchter, 6 und 4, haucht er, würden meinen Sohn, 7, | |
heute gern sehen. Eine klare Ansage. Ich freue mich für den Kleinen und | |
fische seinen roten Rucksack aus der Trommel. Er versenkt ein graues | |
Amphibienfahrzeug mit gespannter Harpune darin. | |
P. kennt fast jeden, der im Kiez wohnt, weil sie früher oder später bei ihm | |
aufschlagen. Ein platter Reifen, neue Bremsbeläge, eine rostige Kette. Er | |
repariert Räder, und seit Corona boomt sein Geschäft. Doch tief in seinem | |
Herzen ist er Punk geblieben: Zwar weiß er über die häuslichen Verwerfungen | |
bei den meisten von uns bestens Bescheid, aber er urteilt nicht. Mein Sohn | |
hat sich ausbedungen, allein zu ihm zu gehen. Ich bin es, der es sich nicht | |
verkneifen kann, ihm unter dem Vorwand eines halbvollen Müllbeutels von der | |
Haustür aus hinterherzublicken. | |
Zwei Stunden später hole ich den Kleinen ab. Wir sitzen im vierten Stock | |
einer Altbauwohnung. In der Küche zischt der Espresso. Die Kinder schieben | |
Autos, die sich gut in Achtziger-Jahre-Serien gemacht hätten. Dann schnurrt | |
sich die ältere der beiden Töchter von P. heran. Mit zarter Stimme sagt | |
sie: „Papa, stell mal Punk-Rock an, was Wildes wie gestern!“ | |
P. zögert kurz, dann bittet er sie, eine Platte aus dem gut bestückten | |
Regal herauszuziehen. Nach zwei, drei Versuchen hat sie die richtige. Die | |
Kinder zappeln auf dem Sofa, stage-diven in die auf dem Boden verteilten | |
Kissen. Das Gespräch am Esstisch über die implodierende Regierung ebbt ab. | |
Es ist Zeit, den Heimweg anzutreten. Die drei Kinder werden knatschig. Zu | |
Hause dauert es lange, den Trennungsschmerz zu überwinden. Endlich lesen | |
wir „Momo“, das dritte Kapitel mit dem prasselnden Regen, und ich schlafe | |
fast ein. Timo Berger | |
12 Apr 2021 | |
## AUTOREN | |
Timo Berger | |
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