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# taz.de -- zwischen den rillen: Frust, Kritik und Paranoia
Bild: Audio88 & Yassin: „Todesliste“ (Normale Musik/Groove Attack)
Audio88 & Yassin aus Berlin sind das griesgrämigste Duo der hiesigen
HipHopszene. Seine Alben „Zwei Herrengedeck, Bitte.“ und „Nochmal zwei
Herrengedeck, Bitte.“ strotzen vor betrunkenem Nihilismus. „Normaler Samt“
war der Sprung Richtung Erfolg, mit „Halleluja“ stellten sie sich 2016 über
die Dinge und gaben eine Anleitung zum friedlichen Zusammenleben. Da die
Mehrheitsgesellschaft diesen Leitfaden ignorierte, müssen die Rapper jetzt
wieder ran.
Ihr neues Werk, „Todesliste“, begründet eine neue Eindeutigkeit in ihrem
Werk. Die Texte sind kohärenter und konzentrierter als zuvor. Alkoholismus
weicht Nüchternheit, Zynismus wird zu Empathie. Die Bruchstellen der
Zivilisation sind inzwischen zu deutlich, um sie nur mit Augenzwinkern zu
benennen. Audio88 & Yassin hat der angebliche Untergang des Abendlandes
angespornt. Sie sagen direkt, was sie darüber denken: „Fick das braune Pack
und seine Politik.“ („Plus 1“). Dass rechtsextreme Netzwerke sogenannte
„Feindeslisten“ pflegen, ist ein Fakt. Damit einher geht eine ständige
Bedrohung für alle, die nicht in das Weltbild der auch in staatlichen
Institutionen vernetzten Nazis passen.
Diese Dynamik kehren Audio88 & Yassin um: Das Album ist ihre eigene
Todesliste. Spaßig ist das nicht. Die Rapper ziehen nun „die Grenze mit der
Kettensäge als wär sie ein Bleistift“ („Plus 1“). Ihre Reime treffen wu…
Punkte, wenn deutliche Worte gesprochen werden. „Cottbus“ ist eine
Abrechnung mit der Heimatstadt von Audio88. Darin schildert er, wie rechtes
Gedankengut zum Mainstream wird, auch in der Schule. Yassin identifiziert
bei „Vater, Mutter, Kind“ den Vater des Gegenübers als Querdenker, während
Audio88 in „Lauf“ mit chirurgischer Präzision die Verwobenheit von rechtem
Terrorismus und deutscher Leitkultur demontiert.
Unangenehm wird es allerdings auf „Plus 1“ auch: Wenn schon etwas Glitzer
im Gesicht reicht, um auf der Todesliste von Aufio88 & Yassin zu landen,
dann geht das eindeutig zu weit. Oder wenn die Rap-Konkurrenz nur für die
Pointe plötzlich ebenso zum Feindbild wird, dann weicht berechtige Kritik
der altbekannten Paranoia. Und, etwas zu eintönig wird es, wenn Yassin
kampfbereit in Richtung der AfD bellt: „Wir sind hier, worauf wartet ihr
F*****?“. Verständlich ist, dass er die Rechten, die wohl kaum die Musik
des Duos hören, dort treffen will, wo es ihnen besonders weh tut: Im
Zentrum der Männlichkeit. Das Wort immer und immer wieder in Texten hören
zu müssen, nervt. Den Erfolg des Albums mindert es allerdings nicht: Es ist
weit nach vorne in die Top Ten der Albumcharts geklettert.
Man kann sich durchaus schwertun mit der drastischen Sprache und der
Aggression, die in der Musik liegt. Dass Audio88 & Yassin ihrer Wut
ungeachtet aller Konsequenzen freien Lauf lassen, ist auch ein Beweis für
die Glaubwürdigkeit ihrer Frustrationen. So gesehen ist „Todesliste“ ein
unangenehmes Werk. Gerade so unangenehm, wie es sich für einen Weckruf
gehört. Bleibt zu hoffen, dass er diejenigen erreicht, die ihn so dringend
benötigen. Till Wilhelm
4 Mar 2021
## AUTOREN
Till Wilhelm
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