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# taz.de -- Politische Arbeit im rechten Bautzen: Klimapolitik kann man vergess…
> Annalena Schmidt wurde im rechtsdrehenden Bautzen als Nestbeschmutzerin
> beschimpft und dafür anderswo als grün-linke Heldin gefeiert. Nun ist sie
> da weg. Die Frage bleibt: Wie hält man eine Stadtgesellschaft zusammen?
Bild: »Wenn AfD und ein rechtes Bürgerbündnis fast 50 Prozent haben, ist die…
Von [1][SUSANNE LANG]
Kurz vor ihrem Sieg treffen sie noch einmal aufeinander: »Sie sind drin«,
sagt der Herr – schwarzer Blazer, weißes Hemd, schwarze Jeans. »Das ist
noch nicht sicher!«, entgegnet die Frau – Jeans, olivgrünes Oberteil mit
Vogelprint, Bierflasche in der Hand. »Wer lesen kann, ist klar im
Vorteil!«, erwidert er patzig. Sie winkt ab, will nicht, dass man ihr schon
gratuliert. Da sei sie abergläubisch.
Annalena Schmidt, parteilos, hat auf der Liste der Grünen für den Stadtrat
in Bautzen kandidiert und kann es an diesem Kommunalwahl-Abend im Mai 2019
noch immer nicht glauben. Sie ist drin: Schmidt ist Stadträtin von Bautzen.
Im Wahlkampf hatte sie noch Morddrohungen erhalten. Auch moderatere
Menschen wie jener Herr im Blazer, David Vandeven, lokalpatriotischer
Betreiber des Senders Ostsachsen-TV, hätten sie sehr viel lieber nicht mehr
in der Stadt gesehen. Stattdessen hatte sie nun politischen Einfluss – in
einer Stadt, in der sich in den nächsten Jahren entscheiden wird, in welche
Richtung es geht: Bautzen, 40.000 Einwohner, in der südöstlichen Ecke
Sachsens gelegen, ist ein Testlabor, ob und wie liberale Demokratie
gesellschaftlich-politische Regression verhindern kann.
Eineinhalb Jahre liegt jener Wahlabend nun zurück. Volle fünf Jahre wollte
Schmidt, 34, ihr Amt ausüben und einen Teil dazu beitragen, dass Bautzen in
die progressive Richtung geht. Es kam anders: Mitte Oktober 2020 ist sie
zurückgetreten, aus persönlichen Gründen, wie sie mitteilte. Für ein
Jobangebot ist sie nach Dresden gezogen. Spielt in die Entscheidung auch
Frust hinein über die aufreibende Zeit, vor allem während des Wahlkampfes,
der von allen ideologischen Seiten als regelrechter Kampf inszeniert wurde?
## Zukunftsorientierte Politik trotz rechtskonservativer Mehrheit?
»Auf keinen Fall«, sagt Schmidt und schüttelt den Kopf. Sie sitzt in ihrem
neuen Zuhause in Dresden am Rechner für ein Gespräch via Zoom. »Im
Gegenteil: Ich habe bei der Diakonie in der politischen Bildungsarbeit
meinen Traumjob gefunden.« Die Zeit in Bautzen ist trotzdem weiterhin sehr
präsent, trotz der harten Auseinandersetzungen fällt Schmidts Urteil
positiv aus. »Es lief deutlich besser als gedacht«, so lautet die etwas
flapsige Bilanz ihrer politischen Arbeit in einer Stadt, in der 2016 eine
Flüchtlingsunterkunft in Brand gesetzt wurde und die AfD bei der letzten
Landtagswahl knapp 34 Prozent der Stimmen erhalten hat.
Schmidt, promovierte Historikerin, stammt ursprünglich aus Gießen und kam
Ende 2015 aus beruflichen Gründen nach Bautzen. Schnell zog sie den Unmut
auf sich, die Zugereiste, die nicht müde wurde, auf rechte Tendenzen
hinzuweisen, in Blogs, Tweets und Statements. Linke lobten sie als
heldenhafte Kämpferin gegen rechts. Sie selbst bezeichnet sich als
»Mahnerin«. Viele Eingesessene sehen in ihr eine Nestbeschmutzerin, die den
Ruf der Stadt mit falschen Aussagen ruiniere. Hier das linke Lager, dort
das rechte und dazwischen viel Raum für Ressentiments, Hass und Gewalt –
das sind die Fronten in Bautzen, die eine Spaltung zementieren, aber keinen
Fortschritt bringen. Der Fernsehsender arte hat den
gesellschaftspolitischen Verwerfungen in der Stadt sogar eine zehnteilige
Serie gewidmet, die auch weitaus härtere Szenen als jene am Wahlabend im
Rathaus zeigt.
Das amtliche Endergebnis spiegelt die Situation: Acht Sitze für die CDU,
sieben für die AFD, sechs für das Bürgerbündnis, drei für die Linke und
jeweils zwei Sitze für SPD, FDP und Grüne. Für die die Kommunalpolitikerin
Schmidt war die entscheidende Frage schnell klar: Wie macht man angesichts
dieser rechtskonservativen Mehrheit eine zukunftsorientierte Politik, die
nicht nur mahnt oder verhindert, sondern etwas erreicht? Klimaschutz,
Frauen- und Minderheitsrechte, Integration von Geflüchteten?
## Zusammenarbeit mit anderen demokratischen Parteien ist unerlässlich
Die Antwort lautet: Man muss es versuchen, stellt Anträge, kalkuliert
Niederlagen ein und sucht wieder nach Mehrheiten jenseits des eigenen
ideologischen, aber demokratischen Lagers. Dass dies möglich war, hat
Schmidt dann doch überrascht. »Die Zusammenarbeit mit der CDU war
konstruktiv und entspannt«, gesteht sie, auch wenn sie das nie gedacht
hätte. »Aber wenn AfD und ein rechtes Bürgerbündnis knapp 50 Prozent der
Sitze haben, ist die CDU ein gerne gesehener Kooperationspartner.« Wer eine
Mehrheit finden will, kann sich keine kategorischen Ausschlüsse in der
parteipolitischen Zusammenarbeit unter demokratischen Parteien erlauben –
diese Erkenntnis hat Schmidt nicht erst in ihrer Zeit als Stadträtin
gewonnen, aber sie hat sich in der Praxis bestätigt.
Wortmeldungen und Anträge von ihr wurden im Stadtrat oft prinzipiell
abgelehnt und ausgebuht, eben weil sie von ihr kamen – der »Linken«.
Besonders absurd empfindet sie diese Schublade, da sie in ihrer
hochschulpolitischen Zeit in linken Gremien oft als konservative Stimme
galt. »Wenn man dort pragmatisch ist und es bevorzugt, über Lösungen zu
diskutieren, anstatt Gebäude zu besetzen, ist man die Konservative, die den
Professorinnen und Professoren die Stiefel leckt.« Eigentlich sei sie
Wechselwählerin und eben nicht ideologisch festgelegt auf eine Partei.
In der Bautzener Kommunalpolitik ist sie aufgrund der Zuschreibungen dazu
übergegangen, sich in wichtigen Fragen mit Konservativen im Vorfeld
abzusprechen. Zum Beispiel als der Rapper Chris Ares, der vom bayerischen
Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestuft wird, in Bautzen ein
Gewerbe anmelden wollte. Um zu verhindern, dass Ares in Bautzen ein
Tattoo-Studio eröffnet, hat Schmidt zuerst Kontakt zu einer Stadträtin der
CDU aufgenommen. Die Idee: Der Stadtrat positioniert sich gemeinsam gegen
die Anmeldung, aber nicht Schmidt bringt dies in der Fragestunde aufs
Tableau, sondern die CDU-Rätin.
## Sich öffentlich positionieren und nicht von rechtem Druck einschüchtern
lassen
»Ich habe sie mit allen Informationen gebrieft, die ich hatte, und es hat
geklappt«, sagt Schmidt. Eine Positionierung kam zustande. Grundsätzlich
seien große Teile der CDU-Fraktion bei fast allen Themen, auch
Postenbesetzungen, mit die besten Gesprächspartner gewesen. »Ich war schon
vor meiner Zeit in Bautzen fest davon überzeugt, dass ich es als
links-grüne Bürgerin allein nicht schaffen werde, AfD-Wählende von dieser
Partei wegzuholen«, sagt Schmidt. Dafür brauche es die Zusammenarbeit aller
demokratischen Parteien – und eine starke Zivilgesellschaft; Leute, die
sich öffentlich positionieren und nicht von rechtem Druck einschüchtern
lassen.
Wenn überhaupt, gelingt es ihrer Erfahrung nach vor allem im persönlichen
Gespräch, Menschen zu überzeugen. So war es auch im Wahlkampf in Bautzen,
wo samstags alle Parteien nebeneinander auf dem Marktplatz ihre Stände
aufbauen, und der eine oder die andere interessiert stehen bleibt, obwohl
sie die jeweilige Partei nicht wählen werden. Und so ist es auch in ihrem
persönlichen Umfeld. »Auch in meiner Familie wählen nicht alle grün oder
links«, sagt Schmidt. Umso wichtiger sei der Dialog. »Wenn die Tochter mit
dem Vater oder die Nichte mit dem Onkel spricht, bewirkt das mehr als
öffentliche Großgruppendiskussionen.« Sie spielt auf Veranstaltungsformate
an, die in Bautzen häufiger organisiert wurden, um die gespaltene
Bürgerschaft zusammenzubringen. Das Ergebnis kann man in der
arte-Dokumentation nachträglich begutachten: Die Häme nimmt in diesem
Rahmen nicht ab, im Gegenteil. Vor analogem Publikum scheinen Beleidigungen
noch mehr Spaß zu machen.
Schmidt führt lieber politische Gespräche. Und die durchaus auch mit
Mitgliedern des Bürgerbündnisses, wenn es Sinn ergibt. »Dem Bündnis gehören
unterschiedliche Leute an, da muss man differenzieren.« Anders als bei der
AfD zieht sie daher keine klare Grenze. »Ich möchte rechte Parteien nicht
durch eine Zusammenarbeit normalisieren, aber beim Bürgerbündnis bewegen
sich die Haltungen einzelner Personen noch in einem Rahmen, in dem man sich
an einen Tisch setzen kann.«
## Bei Themen wie Klimapolitik ist eine Mehrheit utopisch
Einen Konsens über Gendersternchen, Kopftücher von islamischen Frauen oder
die Schulstreiks von Fridays for Future hat Schmidt an diesem Tisch
trotzdem nicht hinbekommen. Bei diesen Themen verläuft auch klar die Grenze
zur konservativen CDU, vor allem im ländlichen, ostsächsischen Raum.
»Ursprünglich stand auf meiner Agenda, Bautzen zu einer klimaneutralen
Stadt zu machen«, sagt Schmidt. Dies hätte eine Selbstverpflichtung
beinhaltet: Die Stadtverwaltung setzt auf E-Mobilität, auch bei der eigenen
Dienstwagenflotte, und sie verpflichtet sich, bei Ausschreibungen den
Klimaschutz mit einzubeziehen. Der Antrag war vorbereitet, Schmidt hat ihn
jedoch nie eingebracht. Der Grund: Auch Angehörige der CDU-Fraktion leugnen
den menschgemachten Klimawandel. Eine Mehrheit für diesen Antrag ist
utopisch. Etwas Frust blitzt daher bei Schmidt auch durch, wenn sie ihre
Zeit in der Kommunalpolitik bilanziert. »Selbst Themen, die in vielen
Teilen Deutschlands als anerkanntes Problem gelten, sieht man in größeren
Teilen der kommunalpolitischen Gremien in Bautzen nicht so.«
Macht sie daher doch lieber Politik mit anderen Mitteln, in der
Bildungsarbeit, in der Großstadt? Sie schüttelt den Kopf. »Ich kann mir gut
vorstellen, wieder politisch aktiv zu werden, auch auf kommunaler Ebene«,
sagt Schmidt. »Die Frage stellt sich aber erst in einigen Jahren, wenn
wiedergewählt wird.« Dann tritt sie vielleicht auch in Dresden an – dem
Ort, wo sie sich trotz der großen gesellschaftspolitischen Probleme zu
Hause fühlt.
11 Feb 2021
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## AUTOREN
Susanne Lang
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