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# taz.de -- Fehler der Zeit: Atomkraft nein danke
> War die Fixierung der bundesdeutschen Oppositionsbewegten auf die
> Atomenergie ein historischer Fehler?
Bild: Atomkraftgegner 1997
Von [1][GERD ROSENKRANZ]
Beim Klimaschutz fehlt neben dem mancherorts immer noch mangelhaft
ausgebildeten politischen Willen mehr und mehr etwas anderes: die Ressource
Zeit. Wir hätten früher anfangen müssen, uns darum zu kümmern. Eine
ketzerische Frage macht deshalb die Runde: Haben sich die progressiven
Kräfte der Bundesrepublik zu lange und zu ausschließlich an der Überwindung
der Atomkraft abgearbeitet – und darüber die Klimakrise vernachlässigt?
Richtig ist: In keinem Land der Welt wurde dem Fundamentalkonflikt um die
Atomenergie mit größerer Hingabe und Ausdauer gehuldigt als in der alten
Bundesrepublik. Die Standorte der Atomwirtschaft entwickelten sich seit den
1970er-Jahre zu Kristallisationspunkten von zuvor eher unabhängig
voneinander agierender Strömungen der außerparlamentarischen Opposition.
Friedensbewegung, Umweltbewegung, Frauenbewegung, Alternativbewegung – sie
alle erfuhren im gemeinsamen Widerstand gegen die Hochrisikotechnologie
einen über ihr jeweiliges Kernanliegen hinausweisenden Politisierungsschub.
Der mündete in die Gründung der Grünen Partei. Die Anti-AKW-Bewegung wurde
zum Kitt eines Milieus, das sich nun, Jahrzehnte später anschickt, die
gesamtgesellschaftliche Realität in Deutschland zu prägen. Niemand, keine
Protagonistin und kein Mitläufer konnte damals diese Fernwirkung erwarten
oder gar als Ziel formulieren.
## Die Anti-AKW-Bewegung führte zur Gründung der Grünen
Das ist Punkt eins und schon aus dieser Perspektive war – in der Rückschau
– die Fixierung auf eine Technologie mit dem traumatischen Hintergrund von
Hiroshima und Nagasaki eine ziemlich gute Idee.
Punkt zwei der retrospektiven Betrachtung der Anti-AKW-Bewegung betrifft
eine ebenfalls von den handelnden Personen nicht intendierte, dafür aber
umso handfestere Folgewirkung. Sinn der Übung war eigentlich: der
»Sofortausstieg«. Im realen Leben dehnte sich der über fast ein halbes
Jahrhundert. Die Wirkung der Bewegung war eine andere, die – Ironie der
Geschichte – den Befürwortern der Atomenergie bewusster ist als ihren
Gegnern.
Die ununterbrochene Ausleuchtung der Risiken der Atomanlagen bis in ihre
kleinsten technischen Verästelungen, die Ausprägung alternativer Expertise,
die es schließlich bis an die Spitze einschlägiger Bundesbehörden und
Regierungskommissionen schaffte, hat eine nicht beherrschbare Technologie
zwar nicht sicher, aber ohne Frage sicherer gemacht – und nebenbei auch
abschreckend teuer. Dass dieses dicht besiedelte Land bis heute von einem
Super-GAU verschont geblieben ist, liegt auch an unter der Dauerbeobachtung
ihrer Gegner vergleichsweise seriös betriebenen Atomanlagen. Auch insofern
also: kein Fehler, nirgends.
## Die Entwicklung erneuerbarer Energietechnologien wurde zum Kernauftrag
einer ganzen Wissenschaftler-Generation
Schließlich: Spätestens mit der Anerkennung des menschengemachten
Klimawandels als reales physikalischen Phänomen stand die AKW-Kritik unter
einem wachsenden Rechtfertigungsdruck. Wer aussteigt, muss irgendwo wieder
einsteigen, verlangten die Gegner der Atomkraftgegner – und hatten Recht
damit. Die fossilen Brennstoffe Kohle, Öl und Erdgas konnten es nicht sein.
Die Entwicklung erneuerbarer Energietechnologien wurde so – stärker und
früher als anderswo auf der Welt – zum Kernauftrag einer ganzen,
atomkritisch grundierten Wissenschaftler-Generation. Die reale Perspektive
auf einen Ausstieg aus Kohle und Kernenergie erzeugte hinreichend Druck zur
Entwicklung der neuen, risikoarmen Energietechnologien.
Es ist mehr als eine These: Ohne die beharrliche Fixierung der
Oppositionsbewegung auf den AKW-Widerstand gäbe es die neuen Erneuerbaren
als konkurrenzfähige Energietechnologien heute (noch) nicht.
GERD ROSENKRANZ ist Senior Adviser beim Transformations-Thinktank Agora
Energiewende und Mitgründer des Magazins zeozwei, aus dem taz FUTURZWEI
entstand.
20 Jan 2021
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## AUTOREN
Gerd Rosenkranz
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