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# taz.de -- nord🐾thema: Heiße Kiste für den Umweltschutz
> Die Kochkiste ist klimafreundlich. Sie lässt sich selbst bauen und hilft
> dabei, Energie zu sparen. Und besonders gesund ist diese Art des Kochen
> auch
Bild: Trick aus Urgroßmutters Zeiten: Bau einer Kochkiste vor 100 Jahren
Von Finn Starken
Sigrid Boelter überlegt kurz. Ja, an diese Art der Zubereitung könne sie
sich erinnern, sagt die 81-Jährige aus Schleswig-Holstein. „Meine Mutter
hat uns so mittags den Milchreis gekocht“, erzählt Sigrid Boelter am
Telefon. Ihre Familie habe damals einen Kohleofen gehabt. „Sie hat den Ofen
erhitzt, den Milchreis kurz aufkochen lassen, den Topf vom Herd genommen
und ihn in ihre Federdecke gewickelt“, erinnert sich Boelter. Im
elterlichen Ehebett habe der Milchreis dann quellen können, ohne
anzubrennen.
Die Methode „Topf – Decke – Bett“ gehörte bis ins 20. Jahrhundert hine…
zum Alltag in vielen Haushalten. Wer das eigene Bett nicht zweckentfremden
wollte, griff auf einen Holzkasten zurück: die Kochkiste. Dicht
verschlossen und meist mit Heu isoliert, hielt sie die Wärme im Topf. Das
sparte Energie und Zeit. Der Ofen musste nur kurz erhitzt, und das kochende
Wasser nicht ständig im Auge behalten werden. Das klingt noch immer
attraktiv. Mittlerweile ist die Kochkiste in manchen Küchen so
unverzichtbar wie Weckgläser und das Ottolenghi-Kochbuch.
Karin Kreutzer arbeitet für die Bremer Umweltberatung. Sie kann die
Attraktivität der Kochkisten nachvollziehen: „Es lässt sich mit weniger
Energie kochen, das ist ganz eindeutig“, sagt sie. Die heutigen Kochkisten
seien meist mit Styropor isoliert und handlicher als ihre Vorgängerinnen.
„In den ersten Einbauküchen der 1920er-Jahre waren die Kochkisten sogar
noch eingebaut“, erzählt Kreutzer. Was heute die Mikrowelle sei, war damals
die Kochkiste.
Kochkisten sind echte Allrounder. Sie senken die Stromrechnung, wirken
genauso retro wie modern und sind – ganz wichtig – klimafreundlich. Wer
umweltbewusst lebt, kommt an ihnen nicht vorbei. Und wer hat noch eine
Mikrowelle in der Küche stehen?
„So einfach ist es nicht“, bemerkt Michael Liebert von der Hamburger
Klimaschutzstiftung. Schließlich würden Hersteller die Kochkisten in den
verschiedensten Formaten verkaufen. „Hier muss man auf die Produktion
achten: Wie wurde die Kochkiste verarbeitet? Welche Materialien stecken
drin?“
Eine mit hohem CO2-Ausstoß hergestellte Kochkiste sei schlecht für Klima
und Umwelt – egal wie energiesparend sie letztendlich funktioniert. Daher
bezweifelt Liebert, dass sich der Kauf einer neuen Kochkiste lohne. „Ich
muss mich fragen, ob es die Sache wert ist. Am Ende kann ich den Topf in
meine Decke einwickeln und habe das gleiche Ergebnis.“
Tatsächlich lässt sich für eine Kochkiste viel Geld ausgeben. Um die 100
Euro kosten modische Neuinterpretationen der alten Technik: vom Kochsack
bis zum Thermotopf.
Wer sich eine Kochkiste selbst bauen möchte, findet dazu kostenlose
Anleitungen im Internet. Die Tipps , die hier geboten werden, sind
vielfältig: Als Ersatz für die Kiste kann ein einfacher Pappkarton
herhalten. Zur Isolierung muss kein Styropor verwendet werden – Kissen oder
Zeitungspapier genügen. Und wen das handwerklich überfordert, dem empfehlen
auch die Internet-Profis, den Topf im Bett warm zu halten.
In der Kochkiste lassen sich nahezu alle Gerichte zubereiten, vom
Gemüseeintopf bis zum Rindergulasch. Ein erstes Kochkisten-Kochbuch
erscheint im Februar. Denn ihre Garmethode hat Vorteile: Da der Topf nur
kurz zum Kochen gebracht werden muss, werden die Lebensmittel in der Kiste
schonender zubereitet.
„Viele Menschen machen den Fehler und kochen ihr Essen auf voller Stufe.
Diese Hau-ruck-Methode ist nicht gut“, kritisiert Armin Valet. Er ist
Ernährungsexperte in der Hamburger Verbraucherzentrale. Valet hebt hervor,
dass wichtige Vitamine bei zu hoher Hitze verloren gehen. „Nehmen wir das
Vitamin C: Wenn Kartoffeln durchgehend bei 100 Grad gekocht werden, gelangt
ihr Vitamin C ins Kochwasser – und das wird am Ende weggeschüttet.“
Deshalb solle man darauf achten, vor allem Gemüse nicht allzu heiß zu
kochen. Das sei gesünder, auch wenn es länger dauert. Armin Valet betont,
dass die Kochkisten-Methode dem entspreche. Er setze allerdings darauf,
sein Gemüse zu dämpfen. „Das ist besonders gut, weil die Produkte gar nicht
erst mit Wasser in Berührung kommen“, erläutert er. So blieben die Vitamine
am besten erhalten.
Auch wenn die Kochkiste keinen eingebauten Dampfkocher enthält: Sie wurde
zu Recht wiederentdeckt. Mit ihrer Hilfe lässt es sich gesund und
umweltbewusst kochen. Dazu macht sie das Kochen entspannter: Topf in die
Kiste stellen, aufs Sofa hüpfen, Musik aufdrehen, fertig. Und das Essen
warm halten kann die Kochkiste natürlich auch.
Für die 81-Jährige Sigrid Boelter ist die Renaissance der Kochkiste daher
keine Überraschung: „Wenn meine Geschwister zu spät von der Schule kamen,
hat meine Mutter das Essen im Bett warm gehalten“, erinnert sie sich. „Das
kann heute ja genauso funktionieren.“
30 Jan 2021
## AUTOREN
Finn Starken
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