# taz.de -- Nach der Geschichte | |
> Der Fotograf Eiko Grimberg dokumentiert die Wege von Berliner Trümmern | |
> und zeigt so die permanente Überschreibung von Orten | |
Bild: Auswärtiges Amt, Unterwasserstraße, 2014 | |
Der Begriff Rückschaufehler bezeichnet eine kognitive Verzerrung: Man | |
glaubt, man hätte ein Ereignis bereits vor seinem Eintreffen vorhergesehen. | |
Dieses Phänomen aus der Kognitionspsychologie hat der Berliner Künstler | |
Eiko Grimberg zum Titel seines im Dezember erschienenen Fotobands gemacht. | |
Ausgehend vom geschichtsreichen Berliner Schloss beschäftigt er sich darin | |
mit den Wegen der Originalsubstanz, den Steinen und Trümmern, die im | |
vergangenen Jahrhundert in der historischen Mitte Berlins auf- und | |
abgetragen wurden. | |
Grimberg, der an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig studiert | |
hat, arbeitet mit Text und Bild und hat bereits zwei visuelle Essays | |
herausgebracht, in denen er den Umbau von zentralen Plätzen oder die | |
Errichtung von Prestigegebäuden in den Blick nimmt und die politische | |
Bedeutung dechiffriert, die Architektur dem Stadtraum einschreibt. So auch | |
die des Berliner Schlosses, dessen Rekonstruktion gerade als Humboldt Forum | |
eröffnet wurde. | |
Nachdem das barocke Schloss im Zweiten Weltkrieg ausgebrannt war, wurde es | |
auf Geheiß der SED-Führung 1950 gesprengt. Grimberg verfolgt die | |
„Trümmerwege“ der Steine und Statuen, die einst ihren Platz im | |
Hohenzollernschloss hatten und sich nun beispielsweise im Affengehege des | |
Berliner Tierparks wiederfinden. Einen anderen Weg nahm das Schlossportal | |
IV, von dem Karl Liebknecht 1918 die „freie sozialistische Republik“ | |
ausrief und das direkt nebenan im Staatsratsgebäude der DDR symbolhaft als | |
Spolie eingesetzt wurde. | |
Steine sind politisch. Grimbergs Fotografien dokumentieren nicht nur die | |
Wege der Steine, sondern zwangsläufig auch die der deutschen Geschichte des | |
20. Jahrhunderts – vom Kaiserreich über den Nationalsozialismus, der BRD | |
und DDR bis hin zur wiedervereinigten Bundesrepublik. Auch der Umgang mit | |
dieser Geschichte wird thematisiert: Eine Fotografie zeigt etwa die | |
Granitplatten, die einst den Eingang des Palasts der Republik zierten und | |
nun in einem Skatepark am Rand des Tempelhofer Feldes verbaut sind. Diese | |
Informationen erhält man in einem die Bildstrecke unterbrechenden | |
Anmerkungsapparat, der sich aus Textauszügen von Stadtplaner:innen, | |
Historiker:innen oder Architekt:innen zusammensetzt. Sie kontextualisieren | |
die Fotografien, Grimbergs visuelle Kommentare, ohne sie vollends | |
aufzuschlüsseln. Marlene Militz | |
Eiko Grimberg: „Rückschaufehler“. Kodoji Press 2020, 22 x 27 cm, 116 | |
Seiten, 28 Euro | |
2 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Marlene Militz | |
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