# taz.de -- berlin viral: Wer waren Minna Cauer, Hilde Radusch und Hedwig Dohm? | |
In letzter Zeit dehne ich meine Spaziergänge gern noch etwas weiter aus und | |
bin dabei auch auf die umliegenden Friedhöfe ausgewichen. Auf einigen fühle | |
ich mich inzwischen nahezu heimisch. Manchmal begleitet mich meine Tochter | |
und mittlerweile kennen wir die Wege, die Plätze mit den Ehrengräbern und | |
wissen inzwischen, wer da liegt und was sie zu Ehren kommen ließ. | |
Meistens sind es bekannte Männer, wie die Brüder Grimm oder der Mediziner | |
Rudolf Virchow, Verleger wie Bock oder der Bildhauer Drake und der | |
Archäologe Curtius, deren Namen wir schon mal gehört haben. Selten finden | |
wir auch ein weibliches Ehrengrab. Es sind meines Wissens insgesamt drei | |
auf dem Alten St. Matthäus Friedhof, nämlich das von Minna Cauer, Hilde | |
Radusch und Hedwig Dohm. Alle drei Feministinnen und Frauenrechtlerinnen, | |
wie wir herausfinden, denn ihre Namen sagen uns leider nichts. Auf einer | |
Bank in der Nähe lesen wir im Handy, dass Hedwig Dohm 1831 als eines von 18 | |
Kindern geboren wurde und es schaffte, Lehrerin zu werden, obwohl sie im | |
Gegensatz zu den Brüdern nicht auf das Gymnasium gehen durfte. Sie selbst | |
bekam fünf Kinder, schrieb zahlreiche feministische Bücher, in denen sie | |
die völlige rechtliche, soziale und ökonomische Gleichberechtigung von | |
Frauen und Männern sowie das Stimmrecht als eine der Ersten in Deutschland | |
forderte – was der bürgerlichen Frauenbewegung insgesamt viel zu radikal | |
erschien. | |
Hedwig Dohm schrieb Theaterstücke, Romane, veröffentlichte politische Texte | |
in Zeitungen und Zeitschriften und trat Minna Cauers radikalem Verein | |
„Frauenwohl“ bei. | |
Minna Cauer, ihrerseits 1841 geboren, war unermüdliche Kämpferin für das | |
uneingeschränkte Frauenwahlrecht, engagierte sich in Bertha von Suttners | |
„Friedensgesellschaft“, war Gründerin und Herausgeberin der Zeitschrift Die | |
Frauenbewegung sowie Gründerin des Verbandes der weiblichen Angestellten. | |
Auch Minna Cauers Namen haben wir noch nie zuvor gehört, stellen wir fest, | |
dabei war sie eigentlich eine herausragende Politikerin. | |
Über Hilde Radusch erfahren wir, dass sie 1903 geboren und 1994 gestorben | |
ist und eine antifaschistische Widerstandskämpferin, kommunistische | |
Politikerin und Frauenrechtlerin war. Außerdem vielleicht eine der ersten | |
lesbischen Aktivistinnen Deutschlands. Sie überlebte als Kommunistin mit | |
ihrer Freundin nur mit viel Glück und halb verhungert den Naziterror, indem | |
sie sich in einer Laube auf dem Land vor Berlin versteckte und so den | |
Deportationen entging. | |
All das erfahren wir auf dieser Bank. Als wir weiterlaufen, überlegen wir, | |
wie es gewesen sein muss damals, wie man überlebte, wie man lebte. Wie das | |
Leben war in den Küchen, den Stuben, in den Salons, auf der Straße, in den | |
Kneipen oder in der Gosse. Wie es war, Kinder zu verlieren an Diphtherie | |
und Tuberkulose oder an den Hunger oder die willkürliche Gewalt von wem | |
auch immer. Wie viel mehr Mut erforderte es, als Frau in einer | |
gesellschaftlichen Position ohne Rücksicht auf eigene Verluste etwas damals | |
vollkommen Abwegiges zu fordern wie das Frauenwahlrecht oder sich für die | |
Rechte von Frauen der Arbeiterklasse stark zu machen? Wie viel schwerer als | |
wir es jede dieser mutigen Frauen hatte. | |
Wir überlegen, wie Hedwig Dohms Mutter es damals überhaupt schaffen | |
konnte,18 Kinder auf die Welt zu bringen, wo ich ohne medizinische Hilfe | |
noch nicht mal ein Kind zur Welt gebracht hätte, weil ich einfach gestorben | |
wäre. Wir sind dankbar, wie unermüdlich, solidarisch und nachhaltig diese | |
Frauen für die Sache kämpften, und finden es unfair, dass ihre Namen nicht | |
mindestens so bekannt sind wie der des Milchverkäufers Bolle, an dessen | |
Grab wir gerade vorbeilaufen. Und wir nehmen uns vor, uns ihre Namen zu | |
merken. Dohm, Cauer und Radusch. Isobel Markus | |
14 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Isobel Markus | |
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