# taz.de -- corona in bremen: „Wir haben noch viele Freiheiten“ | |
Interview Alina Fischer | |
taz: Kann man Menschen online therapieren, Herr Sülz? | |
Christoph Sülz: Ja, kann man. | |
Was ist anders? | |
Per Video sieht man nur einen bestimmten Ausschnitt des Menschen. Ich habe | |
weniger Information zur Verfügung, kann zum Beispiel eine Anspannung im | |
Körper nicht sehen. Ich erlebe das aber nicht als starke Einschränkung. Es | |
fordert mich zu einer anderen Art des Arbeitens heraus. Ich muss mehr | |
erfragen. | |
Haben sich durch die Pandemie die Probleme der Patient*innen verändert? | |
Ja, das hat sich etwas verschoben. Am Anfang gab es zwei Gruppen: | |
Diejenigen, die sehr unter den Einschränkungen gelitten haben, weil soziale | |
Kontakte und Aktivitäten für ihre Gesundung wichtig sind. Und diejenigen, | |
die sich gut arrangieren konnten. Das waren zum Beispiel Menschen mit | |
Ängsten, für die es eine Belastung darstellen kann, rauszugehen. Die | |
mussten sich nicht mehr den Bedrohungen des Alltags aussetzen. Jetzt | |
erleben wir zunehmend die Folgen von wirtschaftlichen Problemen, auch bei | |
bisher stabilen Menschen. Es ist zunehmend Erschöpfung da. Neben der | |
finanziellen Belastung liegt das auch an der fehlenden Struktur durch | |
Kurzarbeit. | |
Gab es 2020 einen Anstieg an Anfragen auf die Praxen? | |
Gefühlt ja. Generell ist die Nachfrage nach Therapie sehr hoch. Zu Beginn | |
der Pandemie gab es mehr Zurückhaltung, überhaupt in die Praxis zu kommen, | |
um sich nicht zu infizieren. Über den Sommer ist die Nachfrage wieder etwas | |
angestiegen und seit Oktober erlebe ich, aber auch andere Kolleg*innen, | |
eine erhöhte Nachfrage. | |
Wie hat sich die Arbeit für Sie persönlich verändert? | |
Wir erleben mehr Belastung im Praxisalltag, allein durch die | |
Hygienekonzepte, die wir beachten müssen. Auch die technische Umstellung | |
ist mehr Aufwand. Das kostet nicht viel Energie, aber in der Summe und über | |
die lange Dauer dann eben schon. Für mich persönlich, als Vater zweier | |
Kinder, die nun auch wieder zu Hause sind, bedeutet es eine Umstellung der | |
Arbeitszeit und Organisation. Das ist mehr Belastung, die ich aber gerne in | |
Kauf nehme. Schließlich haben wir das Glück, arbeiten zu können und als | |
Selbstständiger kann ich flexibel in der Planung sein. | |
Wir sind mitten im zweiten Lockdown. Was raten Sie den Menschen? | |
Trotz Einschränkungen haben wir noch viele Freiheiten. Das muss man sich, | |
glaube ich, bewusst machen. Auch im Lockdown kann ich meinen Alltag aktiv | |
gestalten, um mich gesund zu halten. Das gibt uns ein Gefühl von Kontrolle. | |
Und das ist wichtig, damit wir uns nicht hilflos und ausgeliefert fühlen. | |
Unter der bundesweiten Rufnummer ☎ 116 117 vermittelt die Kassenärztliche | |
Vereinigung Termine für Psychotherapie | |
5 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Alina Fischer | |
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