# taz.de -- Die Welt im Jahr 2048 | |
> Zwei Bücher wollen Konzepte für eine bessere Zukunft entwickeln. Für den | |
> ökosozialen Institutionenumbau setzen sie auf Empathiefähigkeit und Ideen | |
> für ein gutes Leben | |
Von Ute Scheub | |
„Fühlen, was die Welt fühlt“ – der Titel des neuen Buches des | |
Bestsellerautors Joachim Bauer ist programmatisch. Der Hirnforscher, | |
Psychotherapeut und emeritierte Universitätsprofessor hat eine Lobeshymne | |
auf die Empathie geschrieben. Diese Eigenschaft mache es uns möglich, uns | |
in andere hineinzuversetzen, ihr Leid und ihre Freude zu teilen und die | |
Denkweise von anderen zu reflektieren. | |
In einer kurzen historischen Skizze zeigt Bauer: Ohne Empathie hätte die | |
Menschheit niemals Kultur und komplexe Gesellschaften aufbauen können. | |
„Empathie war das evolutionäre Erfolgsticket unserer Spezies.“ | |
Wir vermögen uns aber auch in andere Lebewesen einzufühlen. In einer | |
repräsentativen psychologischen Untersuchung zeigten Versuchspersonen | |
gegenüber 52 Lebewesen Einfühlung und Anteilnahme – gegenüber | |
Menschenaffen, Füchsen, Fröschen, Eichen, Fischen, See-Anemonen, Pilzen und | |
anderen. „Die Natur zu verstehen“, so der Autor, sei keine Esoterik, | |
„sondern war über Zehntausende von Jahren das Kerngeschäft unserer | |
Vorfahren“. | |
Bauer glaubt, dass wir Natur auf intuitive und unbewusste Weise „als einen | |
empathischen Lebensraum empfinden, der uns umgibt, wie eine schwangere Frau | |
ihr Kind umhüllt“. Zahlreiche Studien zeigten, dass Menschen mit | |
Depressionen oder Traumata in Wald und Natur Linderung oder gar Gesundung | |
finden: Ihr Stresshormon sinkt, ihre Herzfrequenz ebenso. | |
Empathie ist uns aber nicht angeboren, sondern entwickelt sich durch die | |
liebevolle Verbindung zwischen Eltern und Kindern. Ähnliches gilt für die | |
Verbindung zwischen Mensch und Natur: Sie brauche Raum und Naturerfahrung, | |
um sich zu entwickeln. | |
Die heutigen Städte aber seien steinern, laut, künstlich und versauten das | |
Klima. Viele Menschen empfänden sich deshalb als schuldig. Der Hirnforscher | |
weiß jedoch, dass Motivation nicht durch Belehrung, Ermahnung oder | |
Schuldgefühle entsteht, sondern nur durch positive Gefühle, durch die Lust, | |
etwas ändern zu wollen. | |
Was also tun? Bauer schlägt die Strategie des „hedonistischen Verzichts“ | |
vor: etwa Naturerlebnisse durch Radfahren statt Auto sowie eine andere | |
vegetarische bis vegane Ernährung mit enorm positiver Wirkung auf Klima und | |
Tierwohl. Und die Entwicklung einer „dualen Identität“: „Weltbürger und | |
zugleich im sozialen Nah-Raum zugehörig sein.“ | |
Einen anderen Weg aus der Depression weist das Konzeptwerk Neue Ökonomie in | |
seiner Publikation „Zukunft für alle – eine Vision für 2048“, das von r… | |
40 Organisationen von Attac bis Wechange mitunterstützt wurde. In zwölf | |
Zukunftswerkstätten der Jahre 2019 und 2020 haben knapp 200 Menschen Ideen | |
für verschiedene Gesellschaftsbereiche entwickelt: globale Gerechtigkeit, | |
Demokratie, Wirtschaft, Gesundheit, Bewegungsfreiheit, Ernährung, Bildung, | |
Finanzen und weitere. | |
Auf Basis vorab definierter gemeinsamer Werte entwickeln sie Bilder und | |
Geschichten, wie die Gesellschaft im Jahre 2048 aussehen könnte. Die | |
Ökonomie etwa bestehe dann nur noch aus gemeinwohlorientierten Märkten, | |
öffentlichen Betrieben und „selbstorganisierter Beitragsökonomie“. Das | |
Klima sei weitestgehend gerettet, auch weil „eine Vielzahl energiearmer | |
Vergnügen, die über die Nachbarschaftsstrukturen allen zur Verfügung | |
stehen“, für ein gutes Leben sorge. | |
Damit das nicht so abstrakt klingt, streut das Autorenkollektiv viele | |
kleine Episoden und Geschichten in die auch optisch schön gestalteten | |
Texte. „Katia“ zum Beispiel berichtet am 20. 5. 2048, wie sie „mit | |
Nachtzug, Segelschiff und Bus“ in den Urlaub gereist sei. Und in einem | |
„Wiki-Eintrag“ findet sich die Beschreibung, wie ein „Globaler Klimarat“ | |
die früher so ergebnislosen UN-Klimaverhandlungen ablöste. | |
Dem Autorenkollektiv war natürlich klar, dass sich eine bessere Zukunft | |
nicht per Wunschdenken herstellen lässt. Deshalb listet es für jeden | |
Bereich auf, was es im Jahr 2020 schon alles an Initiativen gibt. Die | |
Keimformen für das gute Leben für alle sind also längst vorhanden. | |
Zudem skizziert es in einem Abschlusskapitel die Etappen des ökosozialen | |
Umbaus. In einem Zeitpfeil von 2020 bis 2048 schildert es Ereignisse, die | |
diesen möglich gemacht haben. Für 2024 ist etwa Folgendes notiert: „Massive | |
Proteste zur Urlaubssaison blockieren Flug- und Schiffshäfen in ganze | |
Europa. Unter den Demonstrierenden finden sich auch Wolfgang Schäuble und | |
Edmund Stoiber, die durch einen Generationenvertrag mit ihren Enkelkindern | |
umgedacht haben.“ | |
Für Klimaaktivist:innen von Fridays for Future und Naturfans sind beide | |
Bücher ein bereicherndes Weihnachtsgeschenk. | |
Joachim Bauer: „Fühlen, was die Welt fühlt. Die Bedeutung der Empathie für | |
das Überleben von Menschheit und Natur“. Blessing Verlag, München 2020, 208 | |
S., 22 Euro | |
Konzeptwerk Neue Ökonomie (Hg.): „Zukunft für alle – eine Vision für 202… | |
Oekom Verlag, Berlin 2020, 104 S., 9 Euro | |
9 Dec 2020 | |
## AUTOREN | |
Ute Scheub | |
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