# taz.de -- john le carré: „Er hat die Grenze zwischen Unterhaltung und hohe… | |
taz: Herr Musharbash, Sie haben für einige Zeit für John le Carré | |
gearbeitet. Wie kam es dazu? | |
Yassin Musharbash: John le Carré hat für viele seiner Bücher Leute | |
beschäftigt. Das waren Menschen, die sich mit bestimmten Themen sehr gut | |
auskennen und mit denen er sich persönlich gut verstanden hat. Da war ich | |
nicht der einzige. Ich wurde ihm 2007 empfohlen, um ihm für sein Buch | |
„Marionetten“ zuzuarbeiten.Das Buch spielt in Deutschland und er brauchte | |
jemanden, der sich mit islamistischem Terrorismus und mit | |
Sicherheitsbehörden in Deutschland auskannte. | |
Warum Sie? | |
Ich bin ja hauptsächlich Journalist und beschäftige mich mit genau diesen | |
Themen. So kam ich ins Spiel. Wir haben uns dann einmal persönlich | |
getroffen, um ums kennenzulernen, und haben uns auf Anhieb gut verstanden. | |
Was von Ihnen ist in dieses Buch eingeflossen? | |
Bis „Marionetten“ Ende 2009 fertig war, habe ich verschiedene Dinge | |
gemacht. Anfangs habe ich einzelne Kapitel kommentiert, sozusagen aus | |
meiner Expertensicht. Er hatte immer mal wieder Nachfragen. Da ging es oft | |
darum, wie diese Leute denken, wie sie reden. Zu einem seiner Protagonisten | |
habe ich zum Beispiel eine fiktive Biografie auf drei Seiten verfasst. | |
Damit er ein Gespür für diese Person bekommt, weil das Lebensläufe waren, | |
mit denen er nicht so wahnsinnig vertraut war. Es ging um einen | |
islamistischen Aktivisten. Vieles ist so dann durch seine Filter in das | |
Buch reingerutscht. Einmal haben wir zusammen einen Plot ausgeheckt, wie | |
man von einer Hilfslieferung nach Ostafrika unbemerkt Geld für Terroristen | |
abzwacken kann. Das hat diebischen Spaß gemacht. Er hat äußerst präzise | |
gearbeitet, und es war ihm immer sehr wichtig, dass die Dinge stimmen. | |
Nicht jeder Fall, den er beschrieb, musste realistisch sein, aber | |
glaubwürdig. | |
Aber ist das nicht auch komisch, andere Menschen sozusagen an seinem Buch | |
mitschreiben zu lassen? | |
Ich glaube, das ist ein Ausweis von Klugheit. Am Ende ist es sein Werk, und | |
niemand würde das je in Frage stellen. Aber wenn man die Möglichkeit hat, | |
dass Leute einem zu sehr spezifischen Fragen weiterhelfen können, ist das | |
natürlich sehr hilfreich. John le Carré war immer ein guter Rechercheur und | |
hat beispielsweise die Orte, an denen seine Bücher spielen, grundsätzlich | |
zuvor immer besucht. Ich habe teilweise Mails bekommen, in denen er mir | |
schrieb, dass er gerade an der tschechischen Grenze durch die Gegend laufe, | |
da einige Szenen seines Buches dort spielten. | |
Wo sehen Sie Zusammenhänge zwischen Journalismus und Literatur bei der | |
Arbeit le Carrés? | |
John le Carré hatte immer eine kleine Schwäche für Journalisten. Sie | |
stellen sich oft dieselben Fragen wie Agenten. Außer, dass sie in der | |
Öffentlichkeit und im öffentlichen Interesse agieren und Agenten im | |
Geheimen. | |
Welche Lücke hinterlässt sein Tod in der Literaturlandschaft? | |
Sein letztes Buch „Federball“ ist meiner Ansicht nach sehr unterbewertet | |
und gilt als einer der kleinen, leichten Romane von ihm. Ist es auch | |
einerseits, andererseits aber auch nicht, da es darin auch um die | |
Brexit-Entscheidung geht. Und John le Carré hatte eine starke Meinung dazu. | |
Er war so wütend die letzten Jahre deswegen. Das fließt alles in das Buch | |
mit ein. Das war eine Art Notwehrbuch gegen den Brexit. Diese Wut, dieser | |
heilige Zorn, den er die letzten Jahre über Trump und über den Brexit hatte | |
– das ist für mich ein Ausweis dafür, wie wichtig ein politisch engagierter | |
Literat für eine Gesellschaft sein kann. Da bleibt natürlich eine Lücke. | |
Dieser Zorn, den er hatte, auch als jemand, der früher für dieses Land | |
gearbeitet hatte, war eine sehr deutliche Abrechnung. John le Carré ist | |
einer der wenigen Thrillerautoren, die es geschafft haben, diese Grenze | |
zwischen Unterhaltung und hoher Literatur einzureißen. In England ist | |
gerade einer der großen Literaten der Nachkriegszeit gestorben, nicht einer | |
der großen Thrillerautoren. | |
Interview: Luisa Kuhn | |
15 Dec 2020 | |
## AUTOREN | |
Luisa Kuhn | |
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