# taz.de -- Wenn es schneit in der Cafeteria | |
> „Self-portrait as Clone of Jeanne d’Arc“ und andere Werke der | |
> US-Künstlerin Bunny Rogers, die dem Hamburger Bahnhof als Anerkennung für | |
> den scheidenden Direktor Udo Kittelmann geschenkt wurden, gibt es nun zu | |
> sehen | |
Bild: Ausstellungsansicht „Bunny Rogers. „Self-portrait as Clone of Jeanne … | |
Von Christopher Suss | |
Schon wegen ihres jungen Alters von dreißig Jahren ist die US-amerikanische | |
Künstlerin Bunny Rogers eine unmittelbar zeitgenössische Erscheinung. Und | |
trotzdem ist ihre Kunst oft bereits wieder eine Rückschau in die eigene | |
Kindheit und in historisch gewordene Katastrophen. Eine Installation | |
solcher Arbeiten ist jetzt unter dem Titel „Self-portrait as Clone of | |
Jeanne d’Arc“ im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin zu | |
sehen. | |
Private Förderinnen und Förderer haben der Nationalgalerie zum Dank an den | |
nun aus dem Dienst geschiedenen Direktor Udo Kittelmann 15 Arbeiten von | |
Bunny Rogers geschenkt. Sie werden aus diesem Anlass in düster-violett | |
aufbereiteten Räumen im Westflügel des Hamburger Bahnhofs präsentiert. Die | |
Wände sind mit Punkten ausgestaltet, die an Pixel erinnern, die Tapete ist | |
scheinbar an vielen Stellen abgezogen, hinter ihr kommt eine weitere zum | |
Vorschein. | |
Leitstern der Ausstellung ist eine Videoarbeit, die das Schulmassaker von | |
Columbine in Erinnerung ruft, das vor nunmehr 20 Jahren die Blaupause einer | |
weltweiten Welle von Amokläufen an Schulen werden sollte. Unter diesem | |
Leitstern inszeniert sich Rogers als lakonische Comicfigur, selbst eine | |
händeringend nach Identität suchende „Outcast“, wie es die Attentäter von | |
1999 waren. In den offensichtlich originär aus dem Computer stammenden | |
großformatigen Selbstporträts begegnen sich hochgradige Künstlichkeit und | |
authentische Selbstreflexion. Es lässt sich erinnern oder erspüren, dass | |
Adoleszenz so ausgesehen hat, Post-Columbine, Post-9/11, kurz nach der | |
Jahrtausendwende. | |
„Mandy’s Piano Solo in Columbine Cafeteria“, wie die Videoarbeit heißt, | |
zeigt die Schauspielerin Mandy Moore, wie sie in der MTV-Zeichentrickserie | |
„Clone High“ auftaucht. Sie sitzt als 3-D-animierte Figur in der Cafeteria | |
der Columbine High School und spielt drei Songs von Elliott Smith auf einem | |
Flügel. Durch das Dach schneit es. Ganz so, als hätten die Attentäter Eric | |
Harris und Dylan Klebold vor zwanzig Jahren Erfolg mit ihrem ursprünglichen | |
Plan gehabt: eine Bombe in der überfüllten Cafeteria zu zünden. | |
Dieses Denkmal für die traumatischen Ereignisse von 1999 ist umringt von | |
den titelgebenden Selbstporträts, die sich ebenfalls auf „Clone High“ | |
beziehen. Die überdrehte, bunte TV-Serie entstand zwischen 2002 und 2003 | |
und erzählt von einer Highschool, an der Klone berühmter Persönlichkeiten | |
aller Zeitalter zusammen die Schule besuchen. Abraham Lincoln ist der | |
Protagonist, der sich obsessiv nach der Cheerleaderschönheit Cleopatra | |
sehnt. Gleichzeitig bemerkt er nicht, dass die Schwarz tragende, | |
violetthaarige Jeanne d’Arc wiederum unsterblich in ihn verliebt ist. | |
Es bleibt zu vermuten, dass sich Bunny Rogers, die damals, zum Zeitpunkt | |
der Ausstrahlung, im Alter der Zielgruppe der Serie war, mit dieser Figur | |
identifizierte. Jedenfalls griff sie in den letzten Jahren konsequent immer | |
wieder darauf zurück, sich im Stil und der Anmutung von „Joan“ | |
darzustellen. Dabei fährt sie scheinbar alle unausgelebten Varianten ihres | |
Selbst auf. Von „Puberty Joan“ bis „Sexy Joan“ gibt es hier nur sie, da… | |
eine überbordende Zeichentrickfantastik und jede Menge popkulturelle | |
Sprengsel. Etwa wenn sie einen Totenkopfschmetterling auf den Lippen trägt | |
und damit obendrauf noch Jodie Foster in „Silence of the Lambs“ imitiert. | |
Es heißt, jede Generation hätte ihre Krise. Stimmt das, so sind es | |
sicherlich vor allem die in der Jugend miterlebten Krisen, die unsere | |
Identität prägen. Bunny Rogers nimmt das sehr ernst, wenn sie sich in die | |
Traumata der Jahrtausendwende zurückversetzt. Obwohl sie dabei junge | |
Modetrends wie das Tragen von Klapphandys am Hosenbund, kindliche Fantasien | |
wie das Prinzessinnen- oder Magierinnendasein, Zaubersteine und andere | |
Tagträume durchdekliniert, hat ihr Selbstbild nie spielerische Freude im | |
Gesicht. Ihr Blick bleibt düster und teilnahmslos. | |
Für die Künstlerin Rogers ist weder Europa noch Deutschland neues Terrain. | |
Im texanischen Houston geboren, studierte sie später an der Königlichen | |
Kunstakademie in Stockholm und trat kurze Zeit darauf eine Gastprofessur an | |
der Städelschule in Frankfurt an. Schon 2017 war sie mit der Ausstellung | |
„moving is in every direction. Environments – Installationen – Narrative | |
Räume“ im Hamburger Bahnhof zu sehen. Damals war „Mandy’s Piano Solo“ | |
ebenfalls dabei und damit die Erinnerung an die Columbine-Tragödie. | |
Wenn die abzuleitende These „Wir sind unsere traumatischen Erfahrungen“ | |
lautet, wird Rogers dieser auch in ihrem öffentlichen Leben gerecht. Immer | |
wieder spricht sie offen über Depressionen und trägt damit zu einer | |
Entstigmatisierung bei, die häufig immer noch nötig ist. In „Self-portrait | |
as Clone of Jeanne d’Arc“ wird diese These ohne Worte ausformuliert. | |
Bis 28. Februar 2021, Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50/51 | |
3 Dec 2020 | |
## AUTOREN | |
Christopher Suss | |
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