Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wenn der Stresspegel steigt
> Mit der Zahl der Covid-Patient:innen wächst beim Pflegepersonal auf den
> Intensivstationen die Sorge vor der Überlastung. Die Klinikleitungen
> dagegen sehen ihre Häuser gut gerüstet: Schon in der ersten Coronawelle
> haben sie zusätzliche Intensivbetten geschaffen und medizinisches
> Personal geschult
Bild: Besuch aus Frankreich: Auf dem Höhepunkt der ersten Coronawelle Anfang A…
Von Marthe Ruddat
Ein Mund-Nasen-Schutz, darüber noch ein zweiter. Eine Haube für die Haare
und eine Brille oder ein Visier. Ein oder zwei Schutzkittel und zwei Paar
Handschuhe. Bis Magdalena Müller sich angezogen hat, um ein Zimmer zu
betreten, in dem Covid-19-Patient:innen liegen, dauert es eine Weile. Sie
erzählt am Telefon von ihrer Arbeit als Pflegekraft auf einer
Intensivstation in Bremen. Sie heißt eigentlich anders, möchte ihren
richtigen Namen aber lieber nicht in der Zeitung lesen.
Müller macht ihren Job schon seit vielen Jahren. Im Gespräch sagt sie
mehrfach, wie sehr sie ihn liebt. Aber auch, wie anstrengend es ist, wie
müde sie am Ende einer Schicht ist, egal ob Früh-, Spät- oder Nachtdienst.
„Schon bevor Corona anfing, hatten wir zu viel Arbeit und zu wenig Leute,
und durch Corona ist das noch mehr geworden“, sagt sie.
Müller kümmert sich nicht in jeder Schicht um Covid-Patient:innen. Aber sie
erinnert sich gut daran, wie kaputt sie nach dem letzten Mal war. „Den
freien Tag danach habe ich nur geschlafen.“
Als vor zwei Wochen die Coronazahlen jäh anstiegen, warnten
Intensivmediziner vor der Überlastung der Krankenhäuser und ihrer
Intensivstationen. Jetzt, in der zweiten Welle, liegen schon mehr
Covid-Patient:innen auf den Intensivstationen als im Frühjahr. Am Freitag
waren es 3.299. Und die Zahl steigt jeden Tag an, wenn auch langsamer als
noch in den Wochen zuvor. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)
äußerte in dieser Woche die Befürchtung, dass die Zahl der
Intensivpatient:innen noch im November auf 6.000 steigen könnte. Die Lage
könnte sich noch dadurch verschärfen, dass Covid-Patient:innen oft zwei bis
drei Wochen intensivmedizinisch betreut werden müssen.
## Applaus bringt nichts, wenn nichts passiert
Schon in der ersten Coronawelle hatten sich die Blicke schnell auf die
Kliniken gerichtet und auf die Menschen, die dort arbeiten. An den Fenstern
wurde für sie geklatscht. Müller sieht das kritisch: „Auch wenn es nett
gemeint ist, es nützt nichts, wenn nichts passiert“, sagt sie.
Aber ist seit der ersten Welle wirklich nichts passiert? Oder sind die
Kliniken im Norden jetzt besser vorbereitet?
Zwar gibt es in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern
viele Intensivbetten, und zu Beginn der ersten Welle wurden weitere
geschaffen, aber schon vor der Pandemie konnten Betten nicht belegt werden,
weil nicht genug Pflegepersonal da war.
Aktuell sind die Krankenhäuser im Norden offenbar recht unterschiedlich
belastet. In Schleswig-Holstein beispielsweise liegen vergleichsweise
wenige Covid-Patient:innen auf Intensivstationen. Am dortigen
Universitätsklinikum mit Häusern in Lübeck und Kiel sieht man derzeit darum
auch keine Engpässe.
Bremen verzeichnete in den letzten Wochen sehr viele Corona-Neuinfektionen.
„Niemand kann vorhersagen, wie sich die Lage noch entwickeln wird, aber im
Moment ist die Situation für uns beherrschbar“, heißt es auf taz-Anfrage
aus dem dortigen Klinikverbund Gesundheit-Nord (Geno). Die Zahlen der
Covid-Patient:innen in den Geno-Kliniken sei auf einem hohen Niveau stabil.
Uwe Zimmer, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Bremen, nennt die
Lage dennoch „sehr angespannt“.
Einer der Intensivmediziner, die vor der Überlastung der Krankenhäuser
warnten, ist Stefan Kluge, Leiter der Klinik für Intensivmedizin am
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Er sieht Krankenhäuser in
anderen Großstädten zwar schon mehr belastet als das UKE – zwölf der 71
Covid-Patient:innen (Stand Freitag) auf Intensivstationen in Hamburg werden
dort behandelt –, mit Blick auf die Infektionszahlen rechnet aber auch
Kluge in den kommenden Wochen mit mehr Intensivpatient:innen.
„Die personelle Lage ist schon angespannt“, sagt er. Das liege zum einen
daran, dass Covid-Intensivpatient:innen sehr betreuungsintensiv seien.
Normalerweise gebe es auf den Stationen mal ein oder zwei Patient:innen,
die isoliert werden müssten, weil sie beispielsweise einen multiresistenten
Erreger haben. Jetzt muss sich das Personal bei jeder Covid-Patient:in
Schutzkleidung anziehen. „Das ist alles sehr aufwendig.“
Hinzu komme, dass die Covid-Patient:innen oft ein akutes Lungenversagen
hätten, wenn sie auf die Intensivstation kommen. Dann müsse oft die
Bauchlagetherapie angewandt werden. „Diese Bauchlagerung ist
personalintensiv, dafür braucht man mindestens drei bis vier Leute“, sagt
Kluge. Ein weiteres Problem sei, dass schon vermehrt Personal ausfällt,
weil es selbst Atemwegsinfekte hat.
Dass die Frage, wann die Krankenhäuser in der Coronapandemie ihre
Belastungsgrenze erreichen, vom Personal abhängt, war früh klar. Viele
Kliniken haben deshalb schon im Frühjahr begonnen, Personal zu schulen oder
auch anderweitig zu akquirieren. Am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
beispielsweise wurden und werden Mitarbeiter:innen unterschiedlicher
Gesundheitsberufe für einen Einsatz auf der Intensivstation geschult, wie
Oliver Grieve, Sprecher der Klinik, auf taz Anfrage mitteilt.
## Freiwillige Helfer:innen der ersten Welle
Außerdem hätten sich in der ersten Welle über 2.000 freiwillige
Helfer:innen gemeldet, darunter Medizinstudent:innen, Pflegekräfte, die den
Beruf gewechselt haben, oder schon berentete Ärzt:innen. „Vorsorglich bauen
wir derzeit den Helferpool zur Unterstützung der Pflege wieder auf“, sagt
Grieve.
Auch am Hamburger UKE hat man vorgesorgt. „In der Intensivpflege gibt es
immer eine gewisse Fluktuation. Daher gibt es in vielen Bereichen des
Krankenhauses Pflegekräfte mit Intensiverfahrung“, sagt Kluge. Diese
Pflegekräfte würden nun beispielsweise in der Verwaltung oder im OP
arbeiten. Für sie wurden Refresher-Kurse angeboten und genau geschaut: Wer
hat welche Qualifikation? „Das ist natürlich ein großer Aufwand, das alles
zu organisieren“, sagt Kluge.
Henning Bögemann gehört zu dem Pflegepersonal, das geschult wurde. Er
leitet in Bremen eigentlich eine Station, auf der Patient:innen am Monitor
überwacht werden. Im Frühjahr wurde die Station zur Covid-Station
umfunktioniert und Bögemann während einiger Einarbeitungstage darauf
vorbereitet, auf einer Intensivstation zu helfen. Dabei ging es nicht nur
um Covid-Patient:innen. „Auch die anderen Intensivpatient:innen müssen ja
versorgt werden“, sagt er.
Dass er eine Intensivfachkraft ersetzen kann, glaubt Bögemann nicht. „Ich
kann da Handlangerarbeiten machen, aber viel mehr auch nicht“, sagt er.
„Dafür fehlt mir das fachliche Wissen, das bekommt man durch eine
Fachweiterbildung, aber vor allem durch die langjährige Arbeit auf einer
Intensivstation.“Dazu, dass Bögemann wirklich auf der Intensivstation
arbeiten musste, kam es im Frühjahr nicht mehr, die Situation hatte sich
entspannt, wie er erzählt. Seine Station ist bisher auch noch nicht wieder
in eine Covid-Station umgewandelt worden. Auch wenn noch nicht gesagt sei,
dass das so bleibt, seine Kolleg:innen seien froh darüber. Die Belastung
für die Pflegekräfte ist einfach groß.
Und das nicht nur auf den Intensivstationen. Bögemann berichtet das, was
Madgalena Müller von den Intensivstationen erzählt, auch über die
Normalstationen. Auch dort seien schon vor der Pandemie viele
pflegeintensive Patient:innen von zu wenig Personal betreut worden.
Und nun liegen dort auch noch Corona-Verdachtsfälle. Der Hygieneaufwand bei
diesen Patient:innen sei derselbe wie bei positiv getesteten. „Besonders
auf diesen Stationen kündigen viele Kollegen“, sagt Bögemann. „Sie haben
sich nicht genug wertgeschätzt und auch allein gelassen gefühlt.“
Magdalena Müller möchte weiter im Krankenhaus arbeiten. „Das ist mein Job,
ich mache das. Ich kann ja nicht einfach zu Hause bleiben“, sagt sie mit
Blick auf die nächsten Wochen. „Ich befürchte das Schlimmste und wenn es
nicht so wird, freue ich mich.“
14 Nov 2020
## AUTOREN
Marthe Ruddat
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.