# taz.de -- Heldinnen zwischen allen Stühlen | |
> GESCHICHTEN Gender oder postkolonial? Zwölf großartige Erzählungen von | |
> Chimamanda Ngozi Adichie: „Heimsuchungen“ | |
Eine der besten Geschichten heißt „Letzte Woche Montag“ und handelt von | |
Kamara, einer Nigerianerin, die ihrem Mann nach Amerika folgt und sich ein | |
bisschen Geld durch Babysitting dazu verdient. Sie trifft auf eine Familie, | |
in der es nicht gern gehört wird, wenn man „Mischling“ sagt und wo es der | |
Vater für wichtig hält, dass der Sohn keinen „fruktosehaltigen | |
Maisstärkesirup“ bekommt. Die Mutter, eine Afroamerikanerin, wie es dem | |
Vater nicht zu blöde ist zu betonen, ist zwar im Haus, lässt sich aber | |
trotzdem nie blicken. Als sich Tracy und Kamara dann doch einmal begegnen, | |
funkt es irgendwie. | |
Tracy macht Kamara Komplimente. Doch Kamara, die sich „wie eine Braut | |
fühlt“, versteht nicht, was wirklich zwischen ihr und Tracy geschieht. Am | |
Ende lässt die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie ihre traurige | |
Heldin Tracy einen einzigen Satz sagen, der den komplizierten Konflikt | |
unfassbar lakonisch auf einen unerträglich spröden Punkt bringt. Auf die | |
Frage Kamaras, ob es ihr in Ghana gefalle, sagt sie den gestelzten, | |
armseligen, lächerlich hilflosen Satz: „Das Mutterland durchdringt mein | |
ganzes Werk.“ | |
Mag sein, dass Amerika vielen in Nigeria bis heute als Land der großen | |
Hoffnungen gilt – die Helden der zwölf großartigen Erzählungen Chimamanda | |
Ngozi Adichies mit dem Titel „Heimsuchungen“ sind längst in Amerika und | |
damit auf dem Boden der trockenen Tatsachen angekommen. Wie ihre Autorin, | |
die mit 19 zum Studium in die USA kam und seither in beiden Welten lebt, | |
sitzen auch ihre Heldinnen zwischen den Stühlen, müssen aus Geldnot das | |
Studium aufgeben, jobben in Bars oder wundern sich eben als Babysitterin | |
über die Luxusprobleme der Familien, für die sie arbeiten. Kamara sieht in | |
Tracy sich selbst in zwanzig Jahren: Wie es ist, sich immer mehr von einem | |
Land zu entfernen, bis es schließlich eine Projektion geworden ist, so, wie | |
Amerika einmal eine Projektion gewesen sein könnte. Aber Amerika ist schon | |
jetzt kein Märchenland mehr, sondern höchstens noch ein Land voller | |
„günstiger Gelegenheiten“, ein Land „des Gebens und Nehmens“, was nat�… | |
heißt, dass einem viel genommen wird, bevor man, wenn überhaupt, etwas | |
bekommt. | |
Manche Kritiker werfen dieser brillanten Autorin vor, sie habe zu | |
gewissenhaft gelernt, im Stil amerikanischer Creative-Writing-Kurse für ein | |
Publikum in Amerika und Europa zu schreiben, das Afrika schlecht kennt. | |
Gleichzeitig betonen diese Kritiker einhellig, wie großartig Adichies | |
Geschichte „Geister“ sei – eine Geschichte, die wirklich wirkt, als habe | |
Adichie sie geschrieben, um sich ein Denkmal als wichtigste Stimme der | |
neueren postkolonialen Literatur zu bauen. Der Hintergrund: Chimanda Ngozi | |
Adichie wuchs in Nsukka auf, im ehemaligen Haus des nigerianischen | |
Literaturstars Chinua Achebe. Beide Großväter Adichies starben im | |
Biafra-Krieg. Adichie hat also erlebt, wovon „Geister“ handelt: Es geht um | |
einen emeritierten Professor, der seit Ewigkeiten auf die Auszahlung seiner | |
Pension wartet. Seine erste Tochter starb im Krieg, seine Frau an | |
gefälschten Medikamenten. Er lebt nur noch in den schlechten Erinnerungen, | |
zu seiner zweiten Tochter nach Amerika will er aber auch nicht, denn sein | |
Leben in Nigeria ist nicht gut und nicht schlecht, aber „einfach meins“, | |
wie er treffend sagt. | |
Nun schafft es „Geister“ tatsächlich, in wenigen Worten die ganze | |
Geschichte eines verworrenen Krieges zu erzählen. Und trotzdem wird man | |
dass Gefühl nicht los, dass sich Adichie hier so dermaßen interkulturell | |
kompetent gibt, dass es schon langweilig wird. Für die stellenweise | |
Abgeklärtheit dieser Autorin entschädigen einen eher die Geschichten, die | |
weniger durchgearbeitet daherkommen und eher aus dem Bauch heraus, wilder | |
halt. Meist sind das jene Geschichten, in denen es weniger um | |
Postkoloniales als um Genderthemen geht. SUSANNE MESSMER | |
■ Chimamanda Ngozi Adichie: „Heimsuchungen“. Aus dem Amerikanischen von | |
Reinhild Böhnke. Fischer, Frankfurt a. M. 2012. 301 Seiten, 19,99 Euro | |
28 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
SUSANNE MESSMER | |
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