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# taz.de -- berliner szenen: Die Jury bleibt draußen
Ich brauch endlich mal ’ne neue Brille“, erzählt mir M. schon seit einem
Jahr. Nass geregnet stehen wir am Freitagabend zu dritt vorm
Brillengeschäft: C. und ich sollen beratend tätig werden. Maximalzahl an
Kund*innen, die sich gleichzeitig im Laden aufhalten dürfen: drei. Anzahl
der Kund*innen, die sich – in Beratungsgespräche und Sehtests verwickelt –
im Laden befinden: drei. Rechnerisch stehen unsere Chancen schlecht. Als
eine Person das Geschäft verlässt, sind wir uns mit dem Optiker sowieso
schon einig, dass wir nicht den ganzen Laden blockieren können. Also bleibt
die Jury draußen und platziert sich vor dem Schaufenster.
M. führt Brille 1 vor. Ein rundes Metallgestell in Silber. „Zu groß, zu
rund“, rufen wir beide vor dem Fenster. Unverständnis auf der anderen Seite
der Scheibe. Brille 2: sieht fast so aus wie 1, nur etwas kleiner. „Die
sitzt zu hoch“, sind wir uns einig. In mein Handy tippe ich die goldene
Regel der Brillenmode, „die Augenbrauen müssen über dem Brillenrand
sitzen“, und halte das Display gegen das Glas. M. signalisiert Verständnis.
Ein großer Regentropen läuft die Scheibe runter.
Nummer 3: eine schwarze Hornbrille. Eigentlich nicht schlecht, aber wenn M.
lacht, schieben ihre Wangen das Teil nach oben. „Sie soll aufhören zu
lachen“, wir klopfen gegen die Scheibe. Brille 4: ein goldener Rahmen mit
schwarz eingefassten Gläsern. Okay, könnte vielleicht was sein. „Mach mal
kurz die Maske runter!“, die Geste wird verstanden. „Ja … ne … ja … n…
lieber nicht …“ Vielleicht doch noch mal Nummer 1? „Bitte einmal den
direkten Vergleich zwischen 1 und 4“, radebrechen wir in Zeichensprache.
M. verschwindet im hinteren Teil des Ladens. Starrendes Warten vor der
Scheibe: „Und wie geht’s dir so?“ – „Ich glaub mein Schirm ist undich…
mein Hinterkopf ist ganz nass.“ Anna Lerch
13 Nov 2020
## AUTOREN
Anna Lerch
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