# taz.de -- „Wir haben als Ganzes Corona“ | |
> Je länger die Coronakrise dauert, desto unsolidarischer – oder | |
> unvernünftiger – scheinen manche Menschen zu werden: Was sollen „wir | |
> Gesunden“ uns einschränken, wenn das Virus nur für einige gefährlich ist? | |
> Doch „die Risikogruppe“ abschirmen geht nicht, zu eng verwoben sind | |
> unsere Leben. Zwischenruf einer besonders Gefährdeten | |
Bild: Unsichtbare Begleiter: Ob jemand zur Risikogruppe gehört, sieht man der … | |
Von Rebecca Maskos | |
Ganz am Anfang wurde ja gesagt, dass sich 70 Prozent der Bevölkerung | |
anstecken müssen, bis die Pandemie vorbei ist. Und sie sich auch anstecken | |
werden. Ich hab mir gedacht: Wie soll ich es denn schaffen, ausgerechnet zu | |
den paar Glückskeksen zu gehören, an denen Corona vorbeigeht? Mein | |
Beschluss: Ich bleib zu Hause bis zur Impfung, gehe höchstens mal um den | |
Block oder in den Wald. Denn mir war klar: Mit diesem Virus darf ich mich | |
auf keinen Fall anstecken. Mit meinem halben Liter Lungenvolumen sah ich | |
mich anderenfalls schon auf der Intensivstation. | |
Ich war anfangs ziemlich panisch – klebt das Virus an den Lebensmitteln, | |
muss ich die Verpackungen abwaschen? Fängt man sich das schon im | |
Vorbeigehen ein? Wann kommt endlich diese verdammte Impfung? Ich hörte mir | |
so ziemlich jeden Virologen-Podcast an und war ständig auf | |
Nachrichtenseiten. Nach und nach sanken die Zahlen, und es wurde klar: | |
Draußen und mit Abstand, da dürfte eigentlich nichts passieren. Ab Mai ging | |
ich wieder öfter raus, traf mich mit Freund*innen. Das konsequente | |
Zuhausebleiben hält sowieso keiner durch. Endlich wieder ein Sozialleben zu | |
haben, ein bisschen Normalität, Abwechslung zum öden Alltag am | |
Homeoffice-Schreibtisch – das hat mich erleichtert. In Gebäude ging ich | |
aber noch nicht rein. Keine Umarmung, keine Besuche in der Wohnung | |
vertrauter Menschen außer bei solchen, die sich für mich ebenfalls vor | |
Corona schützten. | |
Allmählich wurde ich unvorsichtiger, für meine Verhältnisse. Irgendwann | |
muss man draußen mal aufs Klo und dafür rein ins Café. Oder Haareschneiden | |
oder zum Arzt. Mir fiel auf: Wie die Freund*innen mir draußen am Cafétisch | |
gegenübersitzen oder Bekannte mir beim Quatschen auf der Straße | |
gegenüberstehen, das sind garantiert keine eineinhalb Meter. Trotz | |
allgegenwärtiger Masken und Abstandsgebote vergessen manche, dass sie mir | |
viel zu nahe kommen. Irgendwann fing ich an, immer selbst auf Abstand zu | |
gehen. | |
Zu vermeiden, einen Infekt mit eventuell anschließender Lungenentzündung zu | |
bekommen, fand ich schon vor Corona jeden Winter anstrengend – da schleppte | |
sich doch jede*r vollgerotzt zur Arbeit oder auf die Party. Ich bin | |
gespannt, ob sich das nach Corona ändern wird. Was ich mittlerweile | |
anstrengend finde: dass Corona für viele Leute sehr weit weg oder sogar | |
erledigt zu sein scheint. Dass sich viele so unverletzlich vorkommen, nicht | |
nur junge Leute. Auch nach vielen Berichten über gravierende Spätfolgen, | |
gerade bei leichten Verläufen. Dass das Problem der Pandemie immer noch nur | |
in „der Risikogruppe“ lokalisiert wird – und dass es deshalb angeblich | |
ausreicht, Altenheime besser zu schützen. | |
Statt Menschen in Heime einzusperren, sollten wir uns lieber vor Augen | |
führen: Corona hält sich nicht an konstruierte Gruppen und abgegrenzte | |
Orte. Nur ein Bruchteil der viel zitierten „Alten“ und „Schwachen“ lebt | |
überhaupt im Heim. Alle Gefährdeten haben alltäglich Kontakt zu Menschen, | |
die Kontakt mit dem Virus haben können. Je nach Rechnung macht „die | |
Risikogruppe“ bis zu 40 Prozent der Gesellschaft aus. Wir haben als Ganzes | |
Corona – und nur als ganze Gesellschaft werden wir es los. | |
Die zweite Welle, der Blick in Länder wie Belgien ist beängstigend: Mit den | |
steigenden Infektionszahlen wächst auch wieder die Gefahr der Triage, der | |
Priorisierung intensivmedizinischer Behandlungen je nach Allgemeinzustand. | |
Das schließt ein, dass im schlimmsten Fall behinderte Menschen wie ich | |
keine Intensivbehandlung bekommen. | |
Ich bin nun noch mehr zu Hause als vorher. Damit ich nicht vereinsame, hab | |
ich mir einen Heizstrahler gekauft und lasse jetzt öfter mal jemanden auf | |
meinen Balkon als noch zu Zeiten des ersten Lockdowns. Meine Eltern, die | |
ebenfalls in einem Hotspot leben, beide über 80, kann ich erst mal nicht | |
mehr besuchen. Zeit, viel zu arbeiten, aber mit weniger Freude, denn es | |
gibt kaum einen Ausgleich. Mein Leben ist im Stand-by-Modus, ich hoffe, | |
nicht auf Dauer. | |
Noch mehr Stimmen aus denRisikogruppen 44, 45 | |
31 Oct 2020 | |
## AUTOREN | |
Rebecca Maskos | |
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