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# taz.de -- die steile these: Jeder braucht eine Festung der Einsamkeit
Von Jakob Simmank
Einsamkeit hat einen schlechten Ruf, einen sehr schlechten sogar. Die einen
sagen, Menschen seien einsam, weil unsere persönlichen Beziehungen längst
von einer alles durchdringenden kapitalistischen Verwertungslogik entstellt
seien. Die anderen sagen, die Digitalisierung suggeriere, dass man echte
Freundschaft und echte Liebe durch Likes und Swipes ersetzen könne – eine
Illusion, die letztlich in die Einsamkeit führe. In den Augen vieler ist
die Einsamkeit ein Geschwür, das den Menschen zerfrisst, der doch ein durch
und durch soziales Wesen ist, immer angewiesen auf den Schoß der
Gemeinschaft.
Aber damit nicht genug. Seit einigen Jahren gilt die Einsamkeit nicht
allein als Folge gefährlicher gesellschaftlicher Verwerfungen. Längst gilt
die Einsamkeit selbst als gefährlich. Überall hört und liest man, dass
gefühlte Einsamkeit das Risiko erhöht, dement zu werden, Krebs zu bekommen
oder einen Herzinfarkt. Sich chronisch einsam zu fühlen, sei so schlimm,
wie jeden Tag 15 Zigaretten zu rauchen, wollen Studien zeigen. Einsamkeit,
heißt es, tötet.
Von dieser Aussage ist der Schritt nicht mehr weit zu einer
Kriegsmetaphorik. „Lasst uns einen Krieg gegen Einsamkeit führen“, schrieb
ein Kolumnist der New York Times vor Kurzem. Und Theresa May rief 2018
sogar eine „nationale Mission aus, die die Einsamkeit in unserer Lebenszeit
beenden soll“.
Aber können wir das wirklich wollen, die Einsamkeit aus unserem Leben
verbannen? Denken wir noch einmal darüber nach. Denn Einsamkeit mag
zuweilen bohrend sein und schmerzhaft. Aber gehört sie nicht unweigerlich
zum Menschsein dazu? Werden wir nicht einsam geboren, sterben einsam und
durchlaufen immer wieder Phasen der Einsamkeit? Ja, findet zum Beispiel die
Philosophin Barbara Schellhammer. Zwar können wir Brücken zum Geiste
anderer schlagen, das aber heißt nicht, dass wir uns ihnen wirklich
mitteilen können, dass sie uns wirklich verstehen. Am Ende, so
Schellhammer, seien wir an unser Selbst gefesselt und „in unserer eigenen
Haut, in unserer Geschichte, in unserer Sprache, in unserer Herkunft“
gefangen.
Nun ist das kein Grund, die Einsamkeit nicht, so weit es geht,
zurückzudrängen zu wollen. Aber denken wir auch darüber, ob wir das wollen,
noch einmal nach. Dass Menschen ungewollt wochenlang mit niemandem sprechen
oder dass Pflegebedürftige in Altenheimen mit zu viel wenig Personal
abgestellt werden, das kann niemand wollen. Dass Menschen keinen Anschluss
mehr an die Gesellschaft haben und sozial isoliert werden, dagegen sollten
wir als Gesellschaft angehen. Zumal sich dahinter allzu oft auch eine
soziale Frage versteckt. Menschen, die in Altersarmut leben etwa, fühlen
sich dreimal so häufig aus der Gesellschaft ausgeschlossen wie alte
Menschen, die ein gutes Auskommen haben, zeigen Daten des Deutschen
Alterssurvey. Chronische, rein negativ erlebte Einsamkeit – und vor allem
handfeste soziale Isolation sind für die Gesundheit von Menschen
gefährlich. Dieses Leid und seine Folgen kleinzureden, darum soll es hier
überhaupt nicht gehen.
Stattdessen geht es darum zu zeigen, dass die Einsamkeit auch gute Seiten
hat. Menschen suchen sie seit je her ganz gezielt. Sie reisen allein, weil
sie glauben, nur dann merken zu können, was ihnen in ihrem Leben wichtig
ist. Menschen wandern den Jakobsweg, um zu sich zu finden. Sie mögen dabei
anderen Pilgern begegnen, aber sind doch die meiste Zeit bei sich selbst
und einsam. Auch wer Urlaub in der Wildnis oder der Natur macht, dürfte
dort oftmals vor allem eines suchen: Einsamkeit. Der Philosoph Lars
Svendsen findet: „Das Privatleben bildet einen unabhängigen Raum, in dem
man sich vergessen kann oder Seiten von sich ausleben, die sonst nicht zum
Ausdruck kommen. [...] Supermans Rückzugsort nennt sich die Festung der
Einsamkeit, und es ist der einzige Ort, an dem er wirklich er selbst sein
kann. [...] Obwohl wir keine Superhelden sein mögen, brauchen wir alle so
einen Raum.“
Henry David Thoreau, den Autor des berühmten Buchs „Walden“, der sich eine
Hütte in der Wildnis baute, bereitete die Einsamkeit immer wieder auf die
Gesellschaft vor. Er schreibt, dass es Menschen guttäte, zwischen zwei
Treffen miteinander Zeit verstreichen zu lassen. Nur so würden sie sich
nicht gegeneinander langweilen und füreinander neuen Wert bekommen.
Ähnliche Gedanken hat sich Karl Jaspers gemacht, in dessen Philosophie die
Einsamkeit eine große Rolle spielt: „Kommunikation findet jeweils zwischen
zweien statt, die sich verbinden, aber zwei bleiben müssen –, die
zueinander kommen aus der Einsamkeit.“ Für Jaspers muss der Mensch immer
wieder einsam sein, damit er überhaupt gut kommunizieren kann. Denn erst in
der Abgrenzung zu anderen konstituiere er das eigene Ich.
Psychologen sehen es ähnlich. Wer einsam ist, entzieht sich den Menschen –
Arbeitskollegen, Freunden, dem Partner – und der Orte – Sportverein,
Schule, Polizeistation –, die die eigene Identität mitdefinieren. Das
hilft, uns Fragen zu stellen wie: Wer bin ich? Wie möchte ich sein? Und wie
verändere ich etwas?
Einsamkeit kann uns kreativer machen, freier und spiritueller. Sie kann uns
aber auch helfen, uns weniger stark selbst wahrzunehmen. Man muss sich das
so vorstellen: Wer in Gesellschaft ist, nimmt sich ständig auch von außen
war, als jemand, der von anderen gesehen wird. Wer allein oder einsam ist,
der hört damit irgendwann auf. Wer einsam in einer Galerie ein Gemälde
betrachtet, sieht nur das Bild und kann sich darin vertiefen. Kommt jedoch
ein Mensch dazu, der die (innere) Einsamkeit durchbricht, verändert sich
die Perspektive. Der Schauende sieht nicht mehr nur das Bild, sondern auch
sich selbst. Etwas, das Psychologen „störendes Selbstbewusstsein“ nennen.
## Wer allein sein kann, kann anderen begegnen
Die Einsamkeit ist ein Schutzschild gegen eine Geselligkeitspflicht, gegen
den Anspruch immerzu sozial sein zu müssen, den viele Menschen heutzutage
verspüren. Statt sie zu verteufeln, sollten wir versuchen, mit ihr
umzugehen, uns ein Stück weit mit ihr anzufreunden.
Noch einmal Barbara Schellhammer: „Nur derjenige, der mit sich allein sein
kann, kann auch anderen offen begegnen, und nur diejenige, die gesunde
Beziehungen lebt, kann auch die Einsamkeit als Kraft- und
Inspirationsquelle für sich nutzen.“ Es geht also darum, die Einsamkeit
umzuwandeln von etwas Quälendem zu etwas Produktivem. Es geht darum,
Einsamkeitsfähigkeit zu lernen.
Die Betonung liegt dabei auf Lernen. Daten aus dem sozioökonomischen Panel
zeigen, dass die Einsamkeit neben sehr alten Menschen oft auch junge
Menschen trifft, die gerade volljährig geworden sind. Und das ist
vielleicht gar nicht so verwunderlich. Denn die gerade volljährig
Gewordenen sind ja dabei, erwachsen und autonom zu werden. Sie reißen sich
aus ihren Familienbanden los und versuchen auf eigenen Beinen zu stehen.
Diese Phase, schreiben die Psychologen Daniel Lapsley und Ryan Woodbury,
sei nun einmal eine der „harten Verhandlungen“ zwischen dem Wunsch nach
Handlungsfähigkeit (Agency) und Gemeinschaft (Communion). Das ist ein
mitunter harter Kampf. Aber er ist notwendig. Denn nur wer es schafft,
autonom zu werden, kann zu einem mündigen und in sich selbst ruhenden
Menschen werden. Und der Weg dahin geht oftmals durch Phasen der
Einsamkeit.
Das Gefühl der Einsamkeit verteufeln und bekämpfen zu wollen, macht diesen
Weg schwerer, als er sein müsste.
Jakob Simmank, 32, ist Mediziner und Journalist. Jüngst erschien von ihm
„Einsamkeit: Warum wir aus einem Gefühl keine Krankheit machen sollten“,
Atrium-Verlag, 110 Seiten, 9 Euro.
10 Oct 2020
## AUTOREN
Jakob Simmank
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