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# taz.de -- Planvoll nach rechtsaußen
> Die AfD radikalisiere sich zunehmend, heißt es. Doch wer treibt die
> Radikalisierung der Partei voran? Das Buch der Journalistin Eva Kienholz
> will Antworten geben
Von David Begrich
Sind die rhetorischen Ausfälle des vormaligen AfD-Sprechers Christian Lüth
ein Skandal, oder doch nur ein weiteres Glied in der unendlichen Kette
rechter Tabubrüche? Geht es um die AfD, vergeht keine Woche, in der nicht
von Streit, Personalquerelen, Finanzskandalen und Ausflügen ihrer
Funktions- und Mandatsträger in die Ideenwelt des Rechtsextremismus die
Rede ist.
Die Namen Andreas Kalbitz, Björn Höcke und, etwas zurückliegend, Andre
Poggenburg stehen für den Prozess der Verschiebung der Koordinaten der AfD
von einer neoliberal-konservativen zu einer in weiten Teilen
völkisch-nationalistischen Partei.
Treibende Kraft des seit Jahren andauernden Rechtstrends in der AfD: der
„Flügel“, jene offiziell aufgelöste innerparteiliche
Gesinnungsgemeinschaft, deren Aktivitäten sich nicht auf ein jährliches
Sommerfest am Fuße des Kyffhäusers beschränkten, sondern vielmehr
innerparteilich eine effiziente Macht-und Personalpolitik mit dem Ziel
verfolgte, die AfD zu einer erfolgreichen Rechtspartei in Deutschland zu
machen.
Den inzwischen aus der Partei ausgeschlossenen, aber der Brandenburger
AfD-Fraktion noch angehörenden Andreas Kalbitz identifiziert die Autorin
gemäß eines Bonmonts des Parteienforschers Franz Walter zu Recht als
organisatorische „Effizienz“ des „Flügels“, während Björn Höcke sic…
„Charismatiker“ in Szene setzt.
Im Reportagestil folgt die Autorin den Etappen der Rechtsverschiebung der
AfD beginnend mit der sogenannten Erfurter Resolution, einer Erklärung von
AfD Funktionären, die den Kurs der angeblichen Anpassung an den politischen
Mainstream unter dem damaligen Parteichef Lucke kritisierte.
Im Zuge dessen nimmt das Buch das rechte Netzwerk um die AfD in den Blick.
Die Kooperation von AfD-Leuten mit Vertretern der „Identitären“, zu denen
eigentlich ein Unvereinbarkeitsbeschluss seitens der Partei besteht, wird
ebenso beleuchtet, wie in die Strategie eines der Impulsgeber der Neuen
Rechten, Götz Kubitschek, und seines „Instituts für Staatspolitik“
eingeführt wird.
Der Nachweis, dass sich die Radikalisierung der AfD im Dreieck zwischen
Parlament, Pegida und neurechten Strategen vollzieht, ist schnell geführt.
Doch in der Einschätzung des neurechten Milieus ist die Autorin inhaltlich
nicht ganz trittfest. Etwa dort, wo sie das Schisma zwischen dem
IfS-Mitgründer Karlheinz Weißmann und Götz Kubitschek damit begründet,
Kubitschek habe das Koordinatensystem der Partei noch weiter nach rechts
verschieben wollen.
Dass es das gesellschaftliche Umfeld ist, Stichwort Pegida und
Sarrazin-Debatte, in dem die Radikalisierung der AfD auf Resonanz stößt,
kommt in dem Buch zu kurz.
Zwar stellt die Autorin dar, dass die „Flügel“-Anhänger in erster Linie im
Osten innerparteiliche Machtkämpfe gewinnen und die mediale Positionierung
der AfD ins völkisch-nationalistische Lager aktiv vorantreiben. Weshalb
dieser Ansatz aber im Osten vor dem Hintergrund einer gegenüber dem Westen
erhöhten Zustimmungsbereitschaft zu rassistischen und autoritären
Einstellungen funktioniert, wird nicht weiter erörtert.
Andreas Kalbitz und Björn Höcke widmet die Autorin jeweils eine
biografische Skizze ihres politischen Werdegangs und dekonstruiert gekonnt
deren Erzählungen vom weitgehend unpolitischen Menschen, den die
politischen Zeitläufe zufällig in den politischen Betrieb gespült hätten.
Die Stärke des Buches liegt jedoch in der atmosphärisch dichten
Beschreibung der „Flügel“-Treffen, die die Autorin besucht hat. Von der
Wortwahl der Redner über die Seitengespräche mit den zumeist männlichen
Teilnehmern bis zur nationalistischen Fahnendekoration und der Wiedergabe
rassistischer Klischees, die bei der Anhängerschaft auf Zustimmung stoßen,
wird deutlich, welche politischen Maßnahmen das rechte Milieu in und um die
AfD durchsetzen würde, wenn sie die Machtmittel dazu in der Hand hielten.
Im zweiten Teil des Buches referiert die Autorin die Erkenntnisse, die sie
aus Gesprächen mit ehemaligen AfD-Funktionären gewonnen hat, die im
Machtkampf mit Vertretern des „Flügels“ unterlegen waren.
Dass Abgeordnete wie der Brandenburger Steffen Königer den Rechtskurs der
AfD lange mittrugen, erwähnt die Autorin, führt dies jedoch nicht weiter
aus. Das ist eine vertane Chance, die Dialektik der innerparteilichen
Rechtsverschiebung der AfD zu verstehen. Ehemalige AfDler wie Königer
argumentieren, sie hätten im innerparteilichen Konzert nur aus taktischen
Gründen ebenfalls schrille rechte Töne angeschlagen.
Dass eben dieses Wechselspiel zwischen taktischer Provokation und aus
Überzeugung vorgetragenen Tabubrüchen, wie bei Björn Höcke, nicht nur die
Radikalisierung der AfD befördert, sondern maßgeblich zur
Diskursverschiebung beigetragen hat, kommt im Buch zu kurz. Dass dem Band
ein Literatur- und Quellenverzeichnis fehlt, ist dem Konzept eines
Reportagebandes geschuldet. Ärgerlich ist es dennoch.
Dieses Buch bietet zwar keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse zur AfD und
ihrer politischen Strategie. Mit seinen schlaglichtartigen Einblicken in
die Dynamik einer Rechtspartei, von der viele meinen, sie sei bereits in
der Krise, weil ihre Kernthemen gerade keine Konjunktur haben, ist es
jedoch ein atmosphärisch dichter Report über einen rechtsautoritären
Männerbund in Gestalt einer politischen Partei, die niemand unterschätzen
sollte.
13 Oct 2020
## AUTOREN
David Begrich
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