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# taz.de -- berliner szenen: Hut weg, Hut wieder da
Es war schon dunkel, der Mann lehnte am Gitter beim Eingang zum U-Bahnhof.
Kopf und Arme lagen müde auf der Brüstung. Von dort hätte er wie vom Balkon
beobachten können, wie Menschen auf der Treppe hoch- oder runterliefen. Tat
er aber nicht. Ich machte mir Gedanken. Schläft er, ist er betrunken? Ob er
Hilfe braucht? Jetzt bewegte er sich und nahm mit dem Kopf eine neue
Position ein, wie wenn jemand sich im Schlaf wälzt. Dabei fiel ihm der Hut
vom Kopf, runter in den U-Bahnhof. Er schien das nicht zu merken.
Ich dachte, ich sollte ihm den Hut holen. Oder Bescheid geben. Zögerte,
dachte: Was ist, wenn er pöbelt? Unberechenbar ist wegen irgendwelcher
komischer Drogen? Dann stieg ich die Stufen runter zum Zwischendeck der
U-Bahn, um nach dem Hut zu gucken. Auf den Stufen lag nichts, obwohl er da
doch hingeplumpst war. Ich scannte den Boden ab. Nix. Weg. Dann bin ich zu
dem Mann und sagte ihm, dass sein Hut dort runtergefallen sei. Dass ich ihn
gesucht, aber nicht gefunden habe.
Ich glaube, der Hutverlust fiel ihm jetzt erst auf. Er wirkte leicht matt,
ich vermute, bei ihm lief gerade der Abspann von einem Rausch. Aber einen
Krankenwagen brauchte er nicht. Stattdessen bedankte er sich
überschwänglich. Das Verrückte: Er ging dann auch die Stufen runter, blieb
ein paar Sekunden weg und kam dann wieder hoch... in der Hand den Hut. Eine
Art schwarze Melone. Er bedankte sich wieder bei mir.
Im Lauf dieser Episode nahm er mindestens einmal eine Mundharmonika und
spielte darauf. Ich kam mir vor wie in einem elegischen Western. Oder in
einem poetischen Arthouse-Film, wo magische Dinge passieren, ein Hut, der
weg ist und plötzlich wiederauftaucht. Ein Film, wo man am Schluss nicht
verstört ist, nur etwas sentimental.
Giuseppe Pitronaci
5 Oct 2020
## AUTOREN
Giuseppe Pitronaci
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