# taz.de -- berlin viral: Warten, betrachten und der Kunst begegnen | |
Zeit für die Berliner Art Week. Aber diesen Herbst ist alles irgendwie | |
anders, so wie einem dieses Jahr jede Veranstaltung, die trotzdem | |
stattfindet, irgendwie seltsam vorkommt. Auch dann, wenn es sich nur so | |
anfühlt. | |
Aber wenn man schon von Gefühlswelten spricht: Das Wetter hat es gut | |
gemeint, die Sonne neigt sich über uns und blendet mich, während der junge | |
Mann hinter mir in der Schlange an seinem Bier nippt und die unmittelbare | |
Situation verklärt: „Ein bisschen Disziplin tut der Kunst auch mal gut.“ | |
Damit meint er die Schlange, die sich vor den Eingängen der alten | |
Eisengießerei Winkelhof in Reinickendorf, die jetzt Wilhelm Hallen heißen, | |
gebildet hat. Sie dient der Sicherheit, damit nicht zu viele Gäste auf | |
einmal auf das Fabrikgelände gleiten und sich umsehen. Mithilfe eines | |
QR-Codes, den man auf seinem Handy scannt, wird man registriert und | |
hinterlässt für den Notfall seine Daten. | |
In den Wilhelm Hallen haben sich dieses Jahr einige, genauer gesagt sieben, | |
Berliner Galerien zusammengetan und eröffnen eine gemeinsame Ausstellung, | |
um auf dem denkmalgeschützten Areal diverse Künstler zu zeigen. Präsentiert | |
werden Videos, Skulpturen, Gemälde und Installationen. Im obersten | |
Stockwerk sind noch die alten Dachgiebel erhalten – unter ihnen bietet die | |
Galerie ruttkowski;68 mit Standorten in Köln und Paris weitere | |
Kunstpositionen an. | |
Es war ein schweres Jahr für die Kunst. Die Auflistung der Galerien fühlt | |
sich fast an wie eine Miniaturbiennale, weil es ja momentan keine | |
Kunstmessen gibt. Aber man vermisst sie trotzdem, die geballte Ladung an | |
Angebot und Überblick in einem großen durch weiße eingesetzte Wände | |
getrennten Raum, und deswegen steht man in dieser Schlange. | |
Während wir zwischen dem roten Backstein darauf warten, in das | |
Eisenfachwerk eintreten zu können, blicke ich mich um und sehe in den | |
Gesichtern der anderen Ausharrenden dieselbe Vorsicht, vor allem aber | |
dieselbe Aufregung, die sich auch aus meinem Blick ablesen lassen muss. Der | |
Prozess geht so: eine Umgebungskarte mitnehmen, sie sich ansehen, | |
vorsichtig mit dem Fuß wippend am Eingang der Ausstellung stehen und sich | |
fragen, ob man denn eintreten dürfe. Alle warten ungeduldig, denn es geht | |
darum, endlich wieder Kunst zu sehen, endlich wieder etwas anzuschauen, | |
endlich wieder neben einem Werk rumstehen und eine Orangenlimo für 4,50 | |
Euro zu trinken und über die ein oder andere Ausstellung herziehen. | |
Gemeinsam inmitten vom Erlebnis der Kunst und Kultur zu sein, das plötzlich | |
doch wieder systemrelevant wurde. | |
Auf den ersten Blick könnte man meinen, Galeristen eröffnen heute nur, um | |
noch ein paar mehr Chancen auf Verkauf gegen Ende des Jahres zu haben, | |
sollte die Art Cologne doch wieder ausfallen. Aber tatsächlich findet man | |
in den Nischen der Fabrik die Chancen für ebendie Künstler, die das Jahr | |
über keinen Platz gefunden haben, um ihre Werke zu präsentieren. Sie | |
standen auch lange in einer Schlange. Jetzt wagen sie sich wieder, genauso | |
wie wir uns durch die Fabrikgemäuer wagen. Und so schaut und steht man, | |
aber dies hinterlässt ein seliges Gefühl. Denn plötzlich geht es weniger um | |
Galeristen, Markt oder Flauten, gerade ist man nur Betrachter und begegnet | |
Kunst. Manchmal kann man eben auch kleiner anfangen, ein bisschen Disziplin | |
tut uns allen schließlich auch mal gut. | |
Marlene Schenk | |
14 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Marlene Schenk | |
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