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# taz.de -- Uneingelöste Versprechen
> Eine gute Einstimmung auf den Europäischen Monat für Fotografie im
> Oktober ist das fotografische Gruppenprojekt „B1 – eine Straße durch
> Berlin“, zu sehen in Schloss Biesdorf
Bild: Andreas Muhs, die B 1. Sie führt auch am Kino International vorbei
Von Jan Bykowski
Europäische Wege und Irrwege – das ist die Bundesstraße 1. Auf ihr folgen
Reisende einer der wichtigsten und ältesten Straßen Europas, und das seit
Jahrtausenden. Unter den Namen Hellweg und Via Regia war die Verbindung von
Aachen bis Königsberg im Mittelalter bekannt, in der Antike wurde sie von
Ptolemäus als wichtige Handelsroute in seinem Atlas „Geographike
Hyphegesis“ erwähnt.
Heutige Reisende führt sie vorbei an historisch bedeutsamen Orten. Es gibt
einiges an Geschichte und Geschichten zu sehen an dieser Straße, die älter
ist als die Idee der Nationalstaaten. Sie könnte damit ein Symbol der
Einigkeit und der überwundenen Gegensätze sein. Berlin durchzieht die B1
auf knapp 43 Kilometern auf der Ost-West-Achse. Dieser Abschnitt lässt sich
nun auf Schloss Biesdorf in einer Ausstellung von zwölf FotografInnen
erleben.
Die Länder Europas zusammenzuführen, ist ein wesentliches Motiv des
European Month of Photography. Seit 2004 besteht dieses Netzwerk aus
Fotofestivals, die in sieben Hauptstädten stattfinden. Die offizielle
Eröffnung in Berlin läuft vom 1. bis 4. Oktober in der Akademie der Künste.
Die Ausstellung „B1 – eine Straße durch Berlin“ ist Teil dieses über 100
Berliner Institute und Veranstaltungen umfassenden Festivals. Das Festival
liefert den passenden Rahmen, denn die Fotos im Schloss Biesdorf eröffnen
den Blick auf einen Streckenabschnitt, der nicht nur durch zwei Staaten
lief, sondern auch durch zwei Systeme.
Es ist mit einer Reise durch unterschiedliche Welten zu rechnen. Umso
besser, dass die Ausstellung mit zwölf Teilnehmenden entsprechend
vielfältige Gesichtspunkte bietet. Andreas Muhs hat auf der Glienicker
Brücke, der spätestens durch Steven Spielberg berühmt gewordenen „Bridge of
Spies“, eine komplex verschlungene Überlagerung von Perspektiven fein
beobachtet: Fotografiert hat er Touristen, die einen anderen dabei
fotografieren, wie der den Grenzpunkt zwischen Potsdam und Berlin-Wannsee
fotografiert. Die Teilung ist weiterhin spektakulär, wenn inzwischen auch
zu einer Attraktion mit wohligem Schauer geronnen. Von dort führt die B1
vorbei an den goldenen Portalskulpturen von Schloss Glienicke, Downtown
entlang an den wenig einladenden Geschäften der Kurfürstenstraße und kommt
bis zu den schmucklosen Plattenbauten Lichtenbergs. Ein einzelner und
unscharf ins Bild geratener Fußgänger im Strom der Autos gibt hier Anlass
zur Sorge um seine Sicherheit.
Jörg Schmiedekind verzichtet in seinen zwischen Landwehrkanal und
Innsbrucker Platz gefundenen Motiven ganz auf Menschen. Die tauchen auch
bei Wolf Jobst Siedler höchstens vereinzelt auf. Ein freundlicher Ort ist
die B1 auch bei Siedler nicht. Ganz nebenbei ruft er nochmals die
vergebenen Chancen bei der Neugestaltung des Potsdamer Platzes ins
Gedächtnis: Nach dem Mauerfall wieder im Zentrum der Stadt hätte hier ein
Ort für Menschen mit mehr als Geschäften und Konsum entstehen können.
In den 1920er und 1930er Jahren war der Platz einer der verkehrsreichsten
Orte Europas. Der damals in Berlin einflussreiche Expressionismus findet
einen Nachhall in den Arbeiten von Aenne Burghardt. Schwarz-weiß und mit
verkanteter Perspektive inszeniert sie markante Fassaden entlang der B1.
Nach 1990 konnte die Neugestaltung des Potsdamer Platzes im ehemaligen
Westberlin seine Versprechen ebenso wenig halten wie die
Fortschrittsromantik des sozialistischen Realismus im Osten. Die Reliefs an
den Fassaden, die Cordelia Schlegelmilch in Tableaus zusammengefasst hat,
haben Patina angesetzt, die bunten Leuchtreklamen aus der DDR sind
ermattet.
Matt ist auch das winterliche Licht der Bilder von Volker Wartmann. Im
Vordergrund seiner Beobachtungen des östlichen Endes der B1 steht immer die
Straße selbst. Aber statt als Verbindung erscheint sie hier als
unüberwindbarer Todesstreifen zwischen dem Betrachter und der mal tristen,
mal abweisenden, selten einladenden anderen Seite. Dort lauert häufig die
Täuschung, erweist sich etwa der scheinbare Mount Everest als verschneite
Baustelle eines Möbelhauses. Erneut scheint etwas uneingelöst geblieben zu
sein.
Der B1 durch Berlin zu folgen, ist ein Erlebnis voller Gegensätze. Die
Straße birgt ein Versprechen von Verbindung, führt aber auch unüberwundene
Spaltungen vor. Die Widersprüche dieser Straße lassen sich in Schloss
Biesdorf direkt erleben, beim Blick auf die Fotografien ebenso wie beim
Blick aus dem Fenster: Hinter dem restaurierten ruhigen Park, den die
Familie Siemens sich einst um ihre schlossartige Villa anlegen ließ, tost
die reale Bundesstraße 1.
Schloss Biesdorf, Mi.–Mo. 10–18 Uhr, Fr. 12–21 Uhr, bis 6. November
24 Sep 2020
## AUTOREN
Jan Bykowski
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