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# taz.de -- nord🐾thema: Wo Gäste beim Sightseeing aufs Handy starren
> In der Kleinstadt Glückstadt im Westen von Hamburg können Tourist*innen
> mit der „Glückstadt-App“ in die Stadtgeschichte eintauchen. Gerade in der
> Coronazeit macht dies das Abstandhalten leicht. Aber ist die App eine
> echte Alternative zu geführten Touren? Unsere Autorin hat es ausprobiert
Bild: Erinnert an Architektur in den Nieder-landen: Häuserreihe in Glücksstad…
Von Sarah Mahlberg
Über den Marktplatz in Glückstadt spazieren zwei Menschen in gelben
Regenmänteln. Ein norddeutsches Klischee. Und ein Farbtupfer an diesem
grauen Tag. Rotklinker- und Fachwerkhäuser säumen den Platz. In der Mitte
steht eine einzelne Straßenlaterne. „Der große Kandelaber war das Geschenk
einer großen Reederfamilie an die Stadt“, schallt es aus meinem Handy.
Darauf ist die „Glückstadt-App“ geöffnet. Wie bei einer Schnitzeljagd sind
dort auf einer Karte der Kleinstadt Punkte eingezeichnet, über die man per
Audioguide mehr Informationen bekommen kann. Der Marktplatz ist der erste
Stopp.
Vor einer typisch norddeutschen Geräuschkulisse aus Möwengeschrei und
Schifferklaviermusik erzählt eine männliche Stimme vom dänischen König
Christian IV., der hier einst erste Menschen angesiedelt hätte. „Dat schall
glücken, dat mut glücken und dorum soll de Stadt auch Glückstadt hieten“,
zitiert eine andere Stimme mit königlichem Nachdruck.
Auf die Häuser und die davor geparkten Autos blickend wird mir ein Hörspiel
geboten, das mich erst in das Gründungsjahr 1617 zurückversetzt und dann
Geschichten von der Hanse, dem Walfang und dem späteren Napoleonkrieg
erzählt. Es fühlt sich an, wie in vielen Zeiten gleichzeitig zu sein.
„Wir sind mit der App in der ersten Saison“, sagt eine Mitarbeiterin der
Stadt. Die Idee hatte das Detlefsen-Museum, das den eigenen Audioguide
ausweiten wollte. Die Inhalte lieferte die Touristeninformation, gefördert
wurde die App vom Meeres- und Fischereifonds der EU. Auch deshalb spielt
sie oft auf die Geschichte des Fischfangs der Stadt an. Mit der App kann
man auch eine Führung zum Thema „Walfang“ durch das Museum machen.
Glückstadt gilt außerdem als Matjesstadt und der Stadtrundgang wird etwa
zweieinhalb Stunden später mit der Einladung enden, den „besten Matjes
Deutschlands“ doch einmal zu probieren.
Bis dahin bahne ich mir mithilfe des Handyplans einen eigenen Weg durch den
Ort, höre am Hafen noch mehr Akkordeonmusik und die Geschichte von Wiebke
Kruse, der Geliebten des Königs Christian, nach der ein Turm am Hafen
benannt ist und die aus ungeklärten Umständen nur wenige Monate nach dem
König starb.
Soll diese App die Stadtführungen in Glückstadt langfristig ersetzen?
„Geführte Touren bieten wir nur am Wochenende an, da ist die App unter der
Woche eine gute Ergänzung“, heißt es vonseiten der Stadt. Und tatsächlich
ist diese Art der geführten Tour nicht übel. Wer die Stadt erkunden möchte,
kann sein eigenes Tempo festlegen, die Reihenfolge der Punkte spontan
bestimmen und die Wege viel besser kennenlernen, als wenn man einem
Stadtführer hinterhergelaufen wäre. Allerdings könnte der weitere Fragen
beantworten. Jetzt muss ich allein spekulieren, was wohl mit Wiebke Kruse
passiert ist.
Coronabedingt fanden bis Juli überhaupt keine Führungen statt. Ins
Touristenbüro Glückstadt darf nur eine Person zur Zeit. „Jetzt kommen nur
sehr wenig Leute“, sagt eine Mitarbeiterin. Doch die Resonanz auf die App
sei positiv, wenn auch vor allem bei jüngeren Menschen. „Aber wir hatten
auch schon eine 80-Jährige hier, die ganz flott ihr Smartphone rausgeholt
und sich die App installiert hat“, sagt die Mitarbeiterin. „Und umgekehrt
40-Jährige, die meinten: Bleiben Sie mir bloß weg mit so was.“ Die meisten
Besucher*innen in Glückstadt seien in den Fünfzigern und legten hier beim
Elberadweg einen Zwischenstopp ein. Das Touristenbüro weise immer auf die
App hin. Die meisten reagierten positiv.
Das Konzept der App lässt auch erkennen, dass sie nicht bloß für Digital
Natives erdacht wurde. Man kann sich eine von drei Schriftgrößen auswählen,
die Audios nach Belieben laut drehen und in den Stadtplan hineinzoomen.
Außerdem enthält der Plan keine Standortanzeige, man muss also auch in der
Lage sein, Karten zu lesen.
Obwohl die App neu ist, scheint sich in Glückstadt niemand mehr über
Tourist*innen zu wundern, die mit ihrem Handy durch die Stadt steuern. Am
Fleet auf der kleinen Brücke stoppe ich abrupt, beuge mich über mein Handy
und lausche dem Plätschern von Wasser und einer Frauenstimme, die mir die
frühere Wasserversorgung der Stadt erklärt. Es muss ein komischer Anblick
sein, aber niemand guckt. Glückstädter Alltag.
19 Sep 2020
## AUTOREN
Sarah Mahlberg
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