# taz.de -- Hiergibt es nichts zu holen | |
> Deutschland benötigt Lithium, um die Energiewende voranzutreiben. Aus | |
> diesem Grund unterstützt es einen Deal zwischen einer deutschen Firma und | |
> Bolivien. Doch dann platzt das Geschäft. Warum? | |
Bild: Am Rande des riesigen Salzsees „Salar de Uyuni“ wird das begehrte Lit… | |
Aus Uyuni und Zimmern ob Rottweil Nora Belghaus und Fabian Franke | |
Luís Machaca schreit in das Mikrofon, seine Stimme hallt vom hohen | |
Wellblechdach des Stadions wider: „Eine Industrialisierung unseres Lithiums | |
findet hier in Bolivien statt – mit klaren Regeln!“ Applaus, Zwischenrufe. | |
Etwa 200 Menschen sind an diesem Tag im Frühjahr 2020 zur Bürgerversammlung | |
nach Uyuni gekommen, einer Kleinstadt im Andenhochland Boliviens. Ein | |
junger Mann aus dem Publikum steht auf. „Wir haben sie alle hier gehabt, | |
die Chinesen, die Amerikaner, die Deutschen. Wir brauchen sie nicht, wir | |
können das allein!“, ruft er ins Mikrofon. Die Stimmung ist aufgeheizt. Für | |
die Anwesenden geht es um die Zukunft ihrer Region. | |
Für Deutschland geht es um die Verkehrswende, um Klimaschutz und | |
Wettbewerbsvorteile. Denn Lithium wird für Lithium-Ionen-Akkus benötigt. | |
Und diese stecken nicht nur in Handys und Laptops, sondern treiben auch | |
Elektroautos an und speichern die Energie aus Solarzellen. Sich vom | |
Verbrennungsmotor verabschieden, auf erneuerbare Energien umsteigen – | |
beides braucht Lithium. | |
Bislang müssen die Batterien importiert werden, vor allem aus Asien und den | |
USA. Deshalb sicherte sich 2018 eine deutsche Firma einen exklusiven Zugang | |
zu Boliviens Lithiumvorkommen. Ein Jahrhundertdeal. Doch im November | |
letzten Jahres annullierte Bolivien das Abkommen. Die aktuell amtierende | |
Übergangsregierung legte die Gespräche darüber auf Eis. Erst nach den | |
Wahlen am 18. Oktober wird sich entscheiden, wie es weitergeht – und ob | |
Deutschland dabei überhaupt eine Rolle spielen wird. | |
Die Wahl in Bolivien könnte damit ein erneuter Wendepunkt in dem fast zwei | |
Jahre andauernden Wirtschaftsdrama markieren. Zwei Jahre, in denen sich | |
anfängliche Euphorie in Ernüchterung aufgelöst hat. Was ist geschehen? | |
Geht man dem nach, stößt man auf größere Fragen: Wie gerecht sind | |
Rohstoff-Deals in einer globalisierten Welt? Welche Auswirkungen hat der | |
deutsche Klima- und Umweltschutz auf die andere Seite der Erde? | |
Kleine Windhosen wirbeln Staub auf, Sträucher zittern im Wind. Zieht ein | |
Gewitter über das Andenhochland rund um den Salar de Uyuni, kann man es | |
schon Stunden vorher beobachten – so weit und leer ist es hier. Die | |
Salzfläche liegt auf 3.653 Metern über dem Meeresspiegel im südwestlichen | |
Andenhochland Boliviens. Auf Satellitenbildern sieht sie aus wie ein weißer | |
Klecks, 10.500 Quadratkilometer groß, inmitten von Gebirge. Nur am | |
südlichen Ende des Salar sind menschgemachte Strukturen zu erkennen: ein | |
Raster kleiner Rechtecke, daneben eine Handvoll Gebäude – wie hingewürfelt | |
sehen sie aus. | |
Dort steht am 3. Januar 2013 Boliviens damaliger Präsident Evo Morales und | |
eröffnet die erste Lithiumkarbonat-Fabrik des Landes. Schon im Folgejahr | |
sollen 30 Prozent des weltweiten Bedarfs an Lithiumkarbonat über diese | |
Anlage gedeckt werden, sagt Morales dem Fernsehsender Telesur. | |
Ein ambitioniertes Ziel – und dennoch nicht aus der Luft gegriffen: Mit 21 | |
Millionen Tonnen verfügt Bolivien über das größte Lithiumvorkommen der | |
Welt. So schätzt es die Behörde US Geological Survey. Die Sole, aus der das | |
Lithium gewonnen wird, liegt in einer Tiefe von 5 bis 50 Metern unterhalb | |
der Salzkruste. Sie wird in weitläufige Verdunstungsbecken gepumpt und | |
anschließend zu Lithiumkarbonat oder Lithiumhydroxid, das in modernen | |
Hochleistungsbatterien steckt, weiterverarbeitet. 2013 kostete eine Tonne | |
Lithiumkarbonat auf dem Weltmarkt durchschnittlich 6.889 US-Dollar. 2018 | |
waren es 16.812 Dollar – momentan ist der Lithiumpreis wieder gesunken. In | |
jedem Fall würde der Rohstoff aber Geld in die Kassen schwemmen, das | |
Bolivien dringend benötigt: um die Armut zu bekämpfen, Straßen | |
auszubessern, Schulen zu bauen. Lithium soll dem wirtschaftsschwachen Land | |
zu Wachstum verhelfen. „Das ist die Arbeit von Bolivianern“, ruft Morales | |
seinem Publikum 2013 zu. Es sei „ihrer Anstrengung, ihrer Expertise“ zu | |
verdanken und nicht der von irgendjemandem „von außen“. | |
An diesem Satz lässt sich einer der Grundsätze von Morales’ Politik | |
ablesen: In seiner Amtsantrittsrede im Jahr 2006 erinnert er daran, dass | |
die indigene Bevölkerung kolonialisiert, unterdrückt, die Reichtümer | |
ausgebeutet wurden. Morales verurteilt den Neoliberalismus und betont die | |
Bedeutung der Pachamama, Mutter Erde. Es ist die klare Kante, für die ihn | |
die Bevölkerung als ersten indigenen Präsidenten des Landes gewählt hatte. | |
Und Morales schafft Tatsachen: Erlöse aus der verstaatlichten Erdöl- und | |
Erdgasindustrie investiert er in Sozialprogramme. Armut und | |
Arbeitslosigkeit sinken. In einer neuen Verfassung wird das „Gesetz zum | |
Schutz der Erde“ erlassen. | |
Doch mit den Jahren weichen Wälder den Sojafeldern und Viehweiden, die | |
Investitionen ausländischer Firmen nehmen zu. Die indigene Bevölkerung hat | |
oft nur wenig davon. 2017 lässt Morales die Lithium-Industrialisierung | |
international ausschreiben – und lädt ein deutsches Unternehmen ein, sich | |
zu beteiligen: Advanced Clean Innovations Systems GmbH (ACI Systems), ein | |
Mittelständler aus Zimmern ob Rottweil am Rand des Schwarzwaldes. | |
Geschäftsführer des Unternehmens ist Wolfgang Schmutz. An einem | |
Donnerstagnachmittag Ende Juli empfängt Schmutz, Jahrgang 54, | |
hochgewachsen, volles graues Haar, im Konferenzraum seiner Firma in Zimmern | |
ob Rottweil. Ein gläserner Bau – wegen der Transparenz, so sagt er. Schmutz | |
hat lange geforscht, zu Halbleitertechnik, Photovoltaik. Sein Wissen nahm | |
er in mehrere Unternehmen mit – eines davon ACI Systems. Wenn er erzählt, | |
von sich, von seinen Plänen in Bolivien, muss ihn seine Pressesprecherin | |
manchmal bremsen. Zum Beispiel, wenn er die Politik dort mit einem | |
unvorhersehbaren „Hexenkessel“ vergleicht. „Ich bin kein Politiker, der | |
eine Stunde redet und nichts sagt. Das liegt mir nicht.“ Schmutz beschreibt | |
sich als Unternehmer, der anpackt. | |
Bereits vor Morales’ Ausschreibung war Schmutz öfter nach Bolivien gereist, | |
um sich nach geeigneten Flächen für den Bau von Photovoltaik-Anlagen | |
umzuschauen – das Hauptgeschäftsfeld von ACI Systems. Als der bolivianische | |
Plan zur Lithiumgewinnung konkreter wurde, kannte man sich bereits. Die | |
Bolivianerinnen und Bolivianer seien vom Auftreten und der Zuverlässigkeit | |
der deutschen Delegation so angetan gewesen, sagt Schmutz, dass sie ACI | |
Systems gerne beim Lithiumabbau an Bord haben wollten. Schnell hätte ACI | |
Systems ein Team aus Expertinnen und Experten aufgebaut und sah sich gut | |
gerüstet, den europäischen Markt mit Lithium zu beliefern. | |
## Ein Deal zur rechten Zeit | |
Die Ausschreibung kommt damals auch für die deutsche Politik zur rechten | |
Zeit: Im Frühjahr 2018 prüft das Bundesverwaltungsgericht Fahrverbote wegen | |
überhöhter Stickstoffdioxidwerte in mehreren Städten. Gleichzeitig | |
formiert sich eine fraktionsübergreifende Gruppe Abgeordneter, die den | |
stotternden Umstieg auf E-Mobilität vorantreiben will. Der Druck auf die | |
Bundesregierung wächst, die Verkehrswende entschlossener anzupacken. | |
Nachdem sich das neue Kabinett Merkel gebildet hat, telefoniert | |
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) im April 2018 mit Evo | |
Morales in Bolivien. Das geht aus einer [1][Antwort der Bundesregierung auf | |
eine Kleine Anfrage von Die Linke hervor]. Altmaier macht Morales deutlich, | |
wie groß das Interesse Deutschlands am Lithium ist. Wenig später schicken | |
Altmaier und Außenminister Heiko Maas ein gemeinsames | |
Unterstützungsschreiben für ACI Systems hinterher – so steht es in der | |
Antwort der Bundesregierung. | |
Am 20. April 2018 verkündet der Geschäftsführer des staatseigenen | |
Rohstoffunternehmens Yacimientos de Litio Bolivianos (YLB) in einer | |
Presseerklärung: ACI Systems habe sich im Auswahlverfahren gegen sieben | |
Mitbewerber aus Kanada, Russland und China durchgesetzt. | |
Etwas ist besonders an diesem Zuschlag: Verglichen mit den konkurrierenden | |
Unternehmen wirkt die ACI Group, zu der ACI Systems gehört, mit rund 25 | |
Millionen Euro Umsatz jährlich unscheinbar. „David gegen Goliath“, | |
beschreibt Schmutz den Gegensatz selbst. Die Bundestagsabgeordnete | |
Eva-Maria Schreiber (Die Linke) erkundigt sich deshalb schon im November | |
2018 in einer [2][Frage an die Bundesregierung] nach „Expertise und | |
Kapazität“ des Mittelständlers ACI Systems. Auch in Bolivien wird diese | |
Skepsis geteilt. Die Stiftung Solón – international gut vernetzt und im | |
Land bekannt – stellt von Beginn an die Eignung des deutschen | |
Mittelständlers für das Großprojekt infrage. Sozial- und Umweltstandards | |
könnten ins Hintertreffen geraten. Bedenken, die in den folgenden zwei | |
Jahren immer wieder geäußert werden. | |
Doch bei ACI Systems ist man vor allem stolz auf den Erfolg: „Wir haben | |
obsiegt, indem wir unsere Stärken und Tugenden herausgestellt haben“, sagt | |
Schmutz. Sie hätten angeboten, wonach die Bolivianer gesucht hätten: den | |
Aufbau einer eigenen Wertschöpfungskette. „Auf Augenhöhe.“ | |
Am 12. Dezember 2018 wird der Deal besiegelt: Wolfgang Schmutz, Peter | |
Altmaier, der damalige bolivianische Außenminister und der Energieminister | |
kommen zum Festakt in die baden-württembergische Landesvertretung in | |
Berlin. In ihren Reden sprechen die bolivianischen Vertreter von einem | |
„historischen Akt“ und „einer neuen Ära im Rohstoffabbau“. Wolfgang Sc… | |
und Juan Carlos Montenegro, der Geschäftsführer von YLB, unterschreiben das | |
Abkommen: 70 Jahre lang wollen sie gemeinsam Lithium aus dem Salar de Uyuni | |
gewinnen. Sie gründen ein Joint Venture, ACI Systems Alemania GmbH (Acisa), | |
an dem ACI Systems mit 49 Prozent beteiligt ist, YLB mit 51 Prozent. | |
Blitzlichtgewitter, Händeschütteln. Das Acisa-Firmenvideo der | |
Vertragsunterzeichnung endet mit Schmutz: „Füreinander, miteinander, für | |
den gemeinsamen Erfolg!“ | |
Ein Erfolg auch für Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Denn während | |
Fridays for Future und die Sorge vor einem erneuten „Dürresommer“ die | |
Schlagzeilen bestimmen, gilt es für Altmaier, Klimaschutz und Wachstum am | |
Industriestandort Deutschland zu vereinen. Er muss verhindern, dass die | |
Automobilindustrie den Anschluss verpasst: Käme die Batterie aus Asien und | |
die Software aus den USA, „hätten Deutschland und Europa mehr als 50 | |
Prozent der Wertschöpfung in diesem Bereich verloren“, schreibt Altmaier in | |
der [3][„Nationalen Industriestrategie 2030“], die er im Februar 2019 | |
vorstellt. Sie trägt den Titel: „Made in Germany“. | |
In die gleiche Richtung zielt das europäische Batterieprojekt, das | |
Deutschland und Frankreich kurz darauf ankündigen: 1,2 Milliarden Euro | |
Förderung sagen die Länder dafür zu. Mit dem Lithiumabkommen scheint die | |
Batterie-Autarkie realistisch – Rückenwind für Altmaiers Kurs. Im Frühjahr | |
2019 steht Deutschland im Rennen um das „weiße Gold“ in der Poleposition. | |
Ein Rennen, das Agapito Cabrera skeptisch stimmt. Anfang 2020 stapft der | |
hagere Agraringenieur über ein Quinoafeld am Rand von Colcha K. Das Dorf | |
liegt windgeschützt zwischen zwei Bergkämmen am südlichen Rand der | |
Salzfläche. Auf einer Mauer steht: „Hauptstadt des bolivianischen Lithiums | |
– weil wir unsere Entwicklung selbst in die Hand nehmen.“ Cabrera arbeitet | |
in der Landwirtschaftsabteilung der Stadtverwaltung. Neben ihm recken sich | |
die Pflanzen fast hüfthoch aus dem sandigen Boden, mit der Hand streicht er | |
über die Spitzen. Die Menschen hier im Andenhochland leben vor allem von | |
Quinoa und der Alpaka-Haltung. „Im Moment haben wir keine negativen | |
Auswirkungen. Aber sie könnten über die Zeit kommen.“ | |
Vor dem Dorf breitet sich der Salar de Uyuni bis zum Horizont aus. Bei | |
guter Sicht kann man die Anlage flimmern sehen, die Evo Morales 2013 | |
eröffnet hatte – etwa 30 Kilometer Luftlinie entfernt. Das | |
deutsch-bolivianische Joint Venture Acisa würde an den bestehenden Komplex | |
andocken – nach Aussage von Wolfgang Schmutz in einer Größe von etwa 300 | |
mal 400 Metern. Wenn Schmutz das erläutert, klingt ein „nur“ mit. Doch | |
zusammen mit den bereits bestehenden Gebäuden und Verdunstungsbecken würde | |
der Komplex etwa zwei Prozent des Salar ausmachen – das entspricht 200 | |
Quadratkilometern. Für Ortsansässige wie Agapito Cabrera hängt daran ein | |
ganzes Ökosystem. | |
„Staub kann die Pflanze in ihrem Ertrag beeinflussen“, erklärt Cabrera. | |
Lkw-Kolonnen, die Baumaterial bringen und das Lithium abtransportieren, | |
könnten ebenjene Staubwolken aufwirbeln – so die Befürchtung. Außerdem habe | |
sich an der bestehenden Anlage die Flora und Fauna bereits verändert: | |
„Andenflamingos sind vorher bis dorthin gekommen, die haben sich aber | |
zurückgezogen.“ | |
## Umweltschäden befürchtet | |
Es sind Auswirkungen, vor denen die politische Opposition schon zum | |
Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung im Dezember 2018 gewarnt hatte: Uwe | |
Kekeritz, entwicklungspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, weist | |
damals [4][in einer Stellungnahme] auf die „enormen Risiken für Mensch und | |
Umwelt“ hin: „Insbesondere die lokalen Gemeinden leiden unter | |
Wasserknappheit und Umweltzerstörung, ohne von den Profiten aus dem | |
Rohstoffabbau zu profitieren.“ Untermauert wird diese Warnung von Studien | |
zur Lithiumgewinnung in den Nachbarländern Argentinien und Chile. Weil die | |
Sole aus dem Untergrund in große Becken gepumpt und dabei zusätzlich | |
Süßwasser benötigt wird, würden natürliche Wasserstellen verunreinigt oder | |
trockneten aus, Wasser fehle auch für den Ackerbau. Zudem würden | |
Chemikalien nicht richtig gelagert, Müll nicht richtig entsorgt, so die | |
Studien. Doch lassen sich die Erfahrungen aus Chile und Argentinien auf | |
Bolivien übertragen? | |
Steht man auf dem Quinoafeld in Colcha K, ist es schwer vorstellbar, dass | |
die 30 Kilometer entfernte Anlage dem Feld schaden könnte. Dass hier das | |
Wasser knapp werden könnte. „Quinoa ist vom Regen abhängig“, erklärt | |
Agapito Cabrera. Am Salar de Uyuni ist die jährliche Niederschlagsmenge | |
etwa drei bis viermal so hoch wie am benachbarten Salar de Atacama in | |
Chile. Und das Wasser für Mensch und Vieh rinnt zumindest in Colcha K aus | |
den dahinter liegenden Bergen. | |
Und Unternehmer Wolfgang Schmutz verweist auf die umweltfreundliche | |
Technologie: „Wir wurden ja ausgewählt, weil wir – anders als die anderen | |
Wettbewerber – einen ganzheitlichen Ansatz haben.“ Ihr Verfahren könne rund | |
30 Prozent der Energie über Solarpaneele aus der Sonne ziehen. Abwasser | |
werde gereinigt und wieder nutzbar gemacht. Und das Lithiumhydroxid werde | |
aus der Restsole gewonnen – die als Abfallprodukt in der bestehenden Anlage | |
anfällt. Unterm Strich sei die Technologie sogar „wasserpositiv“, sagt | |
Schmutz. „Wir können Wasser an die Landwirtschaft oder Bevölkerung | |
abgeben.“ | |
Letztlich können nur wissenschaftliche Studien zum Salar de Uyuni den | |
Ortsansässigen helfen, diese Versprechen zu beurteilen. Das staatliche | |
Lithiumunternehmen YLB hat nach eigenen Aussagen sogar eine derartige | |
Studie zur bestehenden Anlage angefertigt. Veröffentlicht worden ist sie | |
jedoch nicht. Auch die mehrmalige Anfrage der taz bleibt unbeantwortet. ACI | |
Systems liegt die Studie nach eigener Aussage zumindest in Teilen vor. Aber | |
Geschäftsführer Schmutz verweist auf die Geheimhaltungspflicht, die sie | |
gegenüber ihrem Geschäftspartner YLB hätten. | |
Auch die Bundesregierung hatte zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung | |
Ende 2018 keinen Einblick in Umweltgutachten – wie aus einer schriftlichen | |
Anfrage des Grünen-Abgeordneten Kekeritz hervorgeht. Diese würden erst | |
eingefordert, wenn ACI Systems Außenwirtschaftsförderung beantrage. Und | |
eigene Kontrollen der ökologischen Standards könne das | |
Bundeswirtschaftsministerium nicht durchführen, teilt es auf Anfrage der | |
taz mit. „Dies ist die Aufgabe der zuständigen Behörden vor Ort.“ | |
Das führt zu einem brisanten Widerspruch: Einerseits „flankiert“ die | |
Bundesregierung die Lithiumgewinnung „politisch“, wie es offiziell heißt, | |
ohne zuvor zu überprüfen, inwieweit sie der Region schaden könnte. | |
Andererseits will sie den Rohstoff dafür nutzen, Umwelt und Klima zu | |
schützen. Doch würde das bolivianische Ökosystem geschädigt, hätte man das | |
Problem nur verschoben. | |
Die Lokalbevölkerung interessiert aber vor allem eines: Wohin fließen die | |
Gewinne? Agapito Cabrera, der Agraringenieur aus Colcha K, sieht im Lithium | |
nämlich vor allem eine Chance. Der Rohstoffabbau sei schon immer eine | |
wichtige Einnahmequelle für die Region gewesen, sagt er. Doch die | |
Bedingungen müssten stimmen: „Wir wollen angemessen an den Gewinnen | |
beteiligt werden.“ Mit ihnen könne man die Kosten für etwaige Umweltschäden | |
begleichen und den Lebensstandard erhöhen. | |
In seinen Augen kommt die Region um die Salzfläche jedoch zu kurz: 3 | |
Prozent des Brutto-Produktionswertes aus der Lithiumgewinnung sollen im | |
Bezirk Potosí bleiben, der Großteil in staatliche Kassen abfließen. Uyuni, | |
Colcha K und andere angrenzende Städte fordern aber 10 bis 15 Prozent. | |
Aber: „Wo sind die Auswirkungen?“, fragt Cabrera rhetorisch und blickt auf | |
die Salzfläche: „Hier! Wir wollen deshalb, dass die Gewinne uns | |
zugutekommen.“ | |
Und noch etwas hat die Menschen um den Salzsee wütend gemacht. Zwei Tage | |
nach der Bürgerversammlung im Stadion von Uyuni steht Luís Machaca vor dem | |
Rathaus ein paar Straßen weiter. Immer wieder wird der Vorsteher der | |
Bürgerbewegung auf den Lithiumvertrag angesprochen, ständig ist er in | |
Diskussionen verwickelt. „ACI Systems hätte herkommen müssen, mit den | |
Verantwortlichen sprechen, sich mit der Bevölkerung bekannt machen. | |
Erklären, was sie tun werden, wie viel Geld sie einbringen, welche | |
Technologie sie nutzen“, kritisiert Machaca. „Doch das ist nie passiert.“ | |
Stattdessen müssten sich die Menschen die Vertragsdetails mühsam im | |
Internet zusammensuchen. Details, die nach Einschätzung einiger | |
Rohstoffexperten für den deutschen Partner ungewöhnlich gut ausfallen: 70 | |
Jahre beträgt die Laufzeit des Vertrags. Nach einer Studie der Stiftung | |
Solón gelten die Verträge im Nachbarland Chile nur für Zeiträume zwischen | |
27 und 39 Jahren. Laut Abkommen sollen in Bolivien jährlich mindestens | |
30.000 Tonnen Lithiumhydroxid gewonnen werden. Davon sollen 5.200 Tonnen | |
zur Weiterverarbeitung vor Ort bleiben – ausreichend für den Betrieb einer | |
großen Batteriefabrik. Der Rest würde in Deutschland und Europa verkauft, | |
die Gewinne entsprechend der Anteile am Joint Venture Acisa verteilt. Auch | |
das kritisiert die Stiftung Solón. Denn am meisten Geld lässt sich | |
verdienen, indem man das Lithium direkt weiterverarbeitet und anschließend | |
die fertigen Akkus verkauft. Warum sollte Bolivien also auf den größten | |
Teil der Wertschöpfungskette zugunsten einer europäischen | |
Batterieproduktion verzichten? | |
Es sind Details wie diese, die seit der Vertragsunterzeichnung immer wieder | |
für Proteste in Bolivien sorgen. Einige behaupten sogar, das | |
Lithiumabkommen habe zur Staatskrise beigetragen. Als Evo Morales am 20. | |
Oktober 2019 mit knapper Mehrheit erneut zum Präsidenten gewählt wird, | |
wirft die Gegenseite ihm Wahlbetrug vor. Oppositionelle gehen mit | |
Dachlatten und Stangen auf Morales’ Anhängerinnen und Anhänger los, das | |
Land bebt unter den gewaltsamen Ausschreitungen. Am 3. November, eine Woche | |
nach der Vereidigung, annulliert Morales per Dekret das Abkommen mit ACI | |
Systems. Es wirkt wie ein Akt der Verzweiflung, sein Amt behalten zu | |
können. Vergeblich, wenige Tage später flieht er ins mexikanische Exil. | |
Bis heute ist unklar, was genau in jenen Wochen geschehen ist und welchen | |
Anteil das Lithiumabkommen am politischen Umbruch hatte – auch für Wolfgang | |
Schmutz. Dass Bolivien den Vertrag annulliert, erfährt er aus dem Radio, | |
morgens um 6 Uhr im Badezimmer. „Ich habe gedacht: Was ist jetzt los, ich | |
höre nicht richtig?!“, erinnert er sich. Auch die Bundesregierung ist zu | |
dieser Zeit ratlos, bittet Bolivien um Aufklärung. | |
Dass auch nach dem Regierungswechsel die Proteste gegen das Abkommen in | |
der Region anhalten, erklärt Schmutz so: „Es wurden von bestimmten | |
Gruppierungen mit politischen Interessen Halbwahrheiten mitgeteilt. Das hat | |
dazu geführt, dass die lokale Bevölkerung Dinge gefordert hat, die nicht | |
rational begründbar sind.“ | |
Deshalb werde man nun direkt in die Dörfer gehen und mit den Menschen | |
sprechen, ihnen mit einfachen Botschaften und anschaulichen Comics | |
erklären, worum es geht. „Unter Evo Morales war das nur bedingt möglich. | |
Die Information des Volkes erfolgte fast ausschließlich durch ihn und seine | |
Regierung“, sagt Schmutz. „Wir wären keine Schwaben, wenn wir vor Problemen | |
wegliefen.“ | |
Es ist ein Satz, der viel darüber aussagt, wie Schmutz das Projekt angeht: | |
mit hochgekrempelten Ärmeln. Man nimmt ihm den guten Willen ab, wenn er | |
sagt: „Wir wollen den Rohstoff Lithium auf eine nachhaltige und faire Weise | |
fördern.“ Doch die Proteste in Uyuni und Potosí sind ein Hinweis darauf, | |
dass Teile der Bevölkerung sich eben nicht „auf Augenhöhe“ angesprochen | |
gefühlt haben – ein Finger in der Wunde kolonialer Erfahrung. Besonders in | |
Potosí sind sie präsent: Kolonialmächte beuteten jahrhundertelang die | |
Silberminen der Region aus. Hinzu kommt die Wut über Korruption und | |
Misswirtschaft im Land. Damit treffen sich mehrere Konfliktlinien in der | |
Lithiumgewinnung. Und es gibt Hinweise, dass sie vorhersehbar waren. | |
[5][Eine Adelphi-Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes] warnte bereits | |
2010: „Die Geschichte der Ressourcenkonflikte in Bolivien legt nahe, dass | |
sich hier ein großes Konfliktpotential versteckt.“ Werde die Bevölkerung | |
nicht beteiligt und darüber informiert, wie Gewinne verwendet und verteilt | |
würden, könnten sich die „Risiken in Form von Korruption und | |
Verteilungskonflikten verstärken“. Die Autorin und der Autor der Studie | |
leiten daraus eine klare Handlungsempfehlung ab: „Ein besonders | |
konfliktsensitives Vorgehen“ sei erforderlich. | |
Hätte zumindest die Bundesregierung dieses Konfliktpotenzial vorhersehen | |
müssen? Schließlich ist es auch das Bundeswirtschaftsministerium, das die | |
Verkehrswende und den Umschwung auf Elektromobilität vorantreibt. Es wirkt | |
jedoch so, als hätte man sich dort nur einseitig mit den Vorteilen des | |
Lithiumabkommens beschäftigt. Bundeswirtschaftsminister Altmaier möchte | |
dazu nicht persönlich Stellung nehmen. Stattdessen teilt das Ministerium | |
mit, dass mehrere Stellen ACI Systems auch bei „entwicklungs- und | |
außenpolitischen Fragen“ zur Seite gestanden hätten. Seitdem hat sich das | |
Ringen um den exklusiven Zugang zu Lithium längst zu einer Blaupause | |
entwickelt: für Rohstoffabkommen, internationalen Klimaschutz und globale | |
Verantwortung. | |
Luís Machaca und die Bürgerbewegung in Uyuni wollen nicht, dass der Vertrag | |
nicht zustande kommt. Sie wollen, dass er nach den Wahlen neu verhandelt | |
wird, auf Augenhöhe, mit allen notwendigen Informationen und Studien. Seit | |
Beginn der Coronapandemie lädt Machaca Videos auf Facebook hoch, schreibt | |
Briefe an die Übergangsregierung. „Die Antworten der Regierung, des | |
Vizeministers für Technologie, des Energieministers sind nicht | |
zufriedenstellend“, sagt er in einem Video im Juni. | |
Bei ACI Systems schaue man sich indes nach einem Plan B um, sagt Wolfgang | |
Schmutz. „Wir fühlen uns im Rahmen des europäischen Batterieprojektes | |
verantwortlich, das Lithium zu beschaffen.“ Und den Investorinnen und | |
Investoren sei letztlich egal, woher es komme. Bolivien als | |
Lithiumlieferant – für Deutschland austauschbar wie ein Akku. | |
Nora Belghaus, 32, ist taz-Redakteurin. | |
Fabian Franke, 30, ist freier Reporter. | |
Die Recherche wurde unterstützt durch ein Stipendium von Oxfam Deutschland. | |
Oxfam hat keinen Einfluss auf die Ergebnisse genommen. | |
Ein Multimedia-Projekt zum Thema finden Sie auf taz.de/lithium. | |
12 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/168/1916877.pdf | |
[2] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Parlamentarische-Anfragen/2018/11-385.pdf?… | |
[3] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Industrie/nationale-industri… | |
[4] https://www.gruene-bundestag.de/presse/pressestatements/uwe-kekeritz-zu-lit… | |
[5] https://www.adelphi.de/en/system/files/mediathek/bilder/rohkon_bericht_3-3_… | |
## AUTOREN | |
Nora Belghaus | |
Fabian Franke | |
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