# taz.de -- Nach der Miet-Stundung drohen Schulden | |
> Die Corona-Schutzmaßnahmen für Mieter sehen im Norden viele Akteure | |
> positiv. SPD, Grüne, Linke und Mietervereine fordern aber eine | |
> Verlängerung des Mieten-Moratoriums | |
Bild: Mietenwahnsinn plus Corona wird manchen einfach zu viel | |
Von Sebastian Krüger | |
Kurzarbeitergeld, Jobverlust, Engpässe in der Kinderbetreuung – in Zeiten | |
steigender Mieten sind die finanziellen Auswirkungen der Coronapandemie für | |
prekarisierte Arbeitnehmer*innen besonders belastend. Im März haben | |
Bundestag und Bundesrat eine Reihe Ausnahmeregelungen beschlossen, die am | |
1. April in Kraft traten und die sozialen Folgen der Pandemie abzumildern | |
sollten. Wie bewerten Mieter*innen, Vermieter*innen und Parteien in | |
Norddeutschland diese Maßnahmen? | |
„Für ein Gesetzgebungsvorhaben lief es erfreulich schnell und | |
zielgerichtet“, sagt Siegmund Chychla, Vorsitzender des Mietervereins zu | |
Hamburg. Das Mieten-Moratorium etwa: Mieter*innen, die wegen der Pandemie | |
ihre Miete nicht bezahlen konnten, waren vom 1. April bis zum 30. Juni vor | |
einer Kündigung geschützt – normalerweise reichen zwei Monate | |
Zahlungsverzug für einen fristlosen Rauswurf. | |
Weitaus wichtiger aber sei Chychla zufolge der erleichterte Zugang zur | |
Übernahme der Wohnkosten durch Jobcenter und Ämter. „Die Maßnahmen des | |
Sozialschutzpakets fielen in der öffentlichen Diskussion völlig unter den | |
Tisch“, sagt er. Beantragen Mieter*innen eine Kostenübernahme, überprüfen | |
die Leistungsträger normalerweise, ob die Miete angemessen und die Wohnung | |
nicht zu groß ist. Dieser Schritt fällt seit dem 1. April weg. Schnell und | |
unkompliziert soll das Geld ab dem Antrag für sechs Monate kommen. | |
Das Moratorium wurde nicht verlängert, das Sozialpaket allerdings schon. | |
Bis zum 30. September können Mieter*innen mit Geldsorgen einen Antrag | |
stellen. Die Miete wird nicht rückwirkend bezahlt, sondern erst ab dem | |
Antrag. Wer seinen Antrag bis Ende September nicht stellt, verpasst zudem | |
die niedrigschwellige und unbürokratische Unterstützung für sechs Monate. | |
Und die gibt es nicht nur für Bedürftige: Wer weniger als 60.000 Euro | |
verfügbares Vermögen besitzt, hat Anspruch darauf. Pro Haushaltsmitglied | |
kommen 30.000 Euro hinzu. Daher sei das Moratorium in den meisten Fällen | |
gar nicht erst zum Einsatz gekommen, sagt Chychla. Warum mit dem Vermieter | |
streiten, wenn das Amt die Kosten übernimmt? Hinzu kommt, dass klamme | |
Mieter*innen die Mietrückstände trotz Moratorium nach zwei Jahren zahlen | |
müssen. Übernehmen die Leistungsträger die Kosten, entstehen keine | |
Schulden. Mieter*innen mit Geldsorgen empfiehlt Chychla, dem | |
Leistungsträger eine Direktzahlung der Miete auf das Vermieter*innenkonto | |
zu erlauben. Das schützt die Miete vor dem Zugriff möglicher Gläubiger. | |
Die Vermieter*innen hätten in den vergangenen Monaten seiner Wahrnehmung | |
nach zurückhaltend reagiert. „Gerade bei kleineren Vermietern haben wir ein | |
breites Verständnis beobachtet“, sagt er. Manche hätten auf Zahlungen | |
verzichtet, andere nur die halbe Miete eingefordert oder sich mit den | |
Betriebskosten zufrieden gegeben. Sogar der häufig kritisierte | |
Wohnungskonzern Vonovia, der in Hamburg rund 10.000 Wohnungen besitzt, hat | |
sich Chychla zufolge kompromissbereit gezeigt. Eine Verlängerung des | |
Moratoriums wäre gut gewesen, findet er. „Aber durch die Maßnahmen der | |
Sozialgesetzgebung wage ich die These, dass zwischen März und September | |
kein Mieter wegen der Pandemie seine Wohnung verlieren muss.“ | |
Auch die andere Seite bewertet die Maßnahmen positiv, jedenfalls zum Teil. | |
„In Hamburg hat das Sozialpaket offensichtlich sofort gegriffen“, sagt | |
Torsten Flomm, Vorsitzender des Grundeigentümer-Verbandes Hamburg. Die | |
Mietzahlungen für Wohnungen seien überwiegend pünktlich eingegangen, die | |
Ausfallquote habe unter einem Prozent gelegen. Das Moratorium dagegen sei | |
im Grunde überflüssig, sagt Flomm, und damit nicht genug: „Es gibt | |
zahlungsunwilligen Mietern eine weitere Ausrede und zwingt Vermieter, die | |
Richtigkeit dieser Ausrede zu prüfen.“ | |
Özlem Ünsal hingegen hält das Moratorium für wichtig und sinnvoll. Die | |
wohnungsbaupolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion in | |
Schleswig-Holstein fordert daher eine Verlängerung. Den gesetzliche | |
Kündigungsstopp und das Darlehensmoratorium müssten so lange weiter gelten, | |
wie die Krise anhält. Im nördlichsten Bundesland sei die Pandemie für | |
Mieter*innen bisher verhältnismäßig glimpflich abgelaufen, was Ünsal auf | |
die verabschiedeten Maßnahmen zurückführt. Dennoch seien die Mieten | |
besonders in den Städten und am Hamburger Stadtrand ausgereizt. Schon der | |
Verlust von zehn bis 20 Prozent des Haushaltseinkommens sei für Familien | |
kaum mehr zu bewältigen. | |
Zukünftige Mieterhöhungen würden wegen der Krise besonders drastische | |
Folgen haben: Leidtragende seien Menschen mit geringem Einkommen. Ihre | |
Chance auf eine bezahlbare Wohnung sinke, weil in Schleswig-Holstein | |
derzeit mehr Sozialwohnungen aus der Belegbindung fielen als neue | |
hinzukämen. „Die Mietstundung ist ein Ausnahmeinstrument in der Krise“, | |
sagt Ünsal. Eine Lösung für das grundsätzliche Problem hoher Mieten biete | |
es nicht. | |
„Das Mieten-Moratorium hat vielen Menschen in einer wirtschaftlichen Krise | |
die Angst um die Wohnung genommen“, sagt auch der wohnungspolitische | |
Sprecher der Bremer SPD-Bürgerschaftsfraktion, Falk Wagner. Er hält eine | |
Verlängerung des Moratoriums für sinnvoll. Auch wenn es nicht von der | |
Mietzahlung befreie, könne es doch Sicherheit schaffen, falls es bei der | |
Beantragung von Sozialleistungen zu Verzögerungen komme. | |
„Der Kündigungsschutz war ein wichtiges Instrument für Mieter*innen, ist | |
allerdings viel zu früh wieder aufgehoben worden“, bestätigt Ralf Schumann, | |
wohnungspolitischer Sprecher der Bremer Linksfraktion. Wenn zum Herbst und | |
Winter die Infektionen anstiegen und Einschränkungen drohten, sei zu | |
erwarten, dass noch mehr Menschen vor einem Wohnungsverlust geschützt | |
werden müssen. Der Zahlungsaufschub reiche aber nicht aus. Trotz teils | |
immenser Einkommensverluste müssten die Mieter*innen die Mieten mit | |
Verzugszinsen bis spätestens Mitte 2022 zahlen, beklagt er. Sie müssten ein | |
Recht darauf haben, die Mieten entsprechend zu kürzen. Damit | |
Vermieter*innen auf ihren Mietverlusten nicht sitzen bleiben, schlägt | |
Schumann einen staatlichen Hilfsfonds vor. | |
Christian Meyer, wohnungspolitischer Sprecher von Niedersachsens grüner | |
Landtagsfraktion, fordert ebenfalls eine Verlängerung des | |
Mieten-Moratoriums in Verbindung mit staatlichen Hilfen für bedürftige | |
Vermieter, die von den Einnahmen leben müssen. „Aufgrund von Corona dürfen | |
keine Eigenheimbesitzer*innen oder Kleinvermieter*innen den Kredit | |
verlieren, um eine weitere Konzentration der Eigentumsverhältnisse zu | |
verhindern.“ | |
Die Monate April bis Juni seien für viele Menschen eine Zeit großer | |
Unsicherheit gewesen, sagt Anke Frieling, stadtentwicklungspolitische | |
Sprecherin der Hamburger CDU-Bürgerschaftsfraktion. Die Maßnahmen seien aus | |
ihrer Sicht richtig gewesen, da sie die Ängste und Sorgen der Menschen | |
zumindest in einem Lebensbereich reduziert hätten. Eine Verlängerung des | |
Moratoriums halte sie jedoch für wenig sinnvoll. „Mittlerweile sehen die | |
Menschen die finanziellen Auswirkungen der Coronapandemie auf ihre eigene | |
Lebenssituation klarer und haben einen Plan, wie sie damit umgehen wollen.“ | |
12 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Krüger | |
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