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# taz.de -- „Ich sehe Beirut von Berlin aus viel schärfer“
> Said Baalbaki lebt in Berlin und Beirut und sucht in seiner Kunst nach
> einem Begriff von Heimat. In der Stipendiatenausstellung „In weiter Ferne
> so nah“ im Haus am Lützowplatz ist sie zu sehen
Bild: Said Baalbaki: „La ikraha fi Eddin“ (Kein Zwang im Glauben/Sure 2:256…
Interview Sebastian Strenger
Vor 20 Jahren machte sich Said Baalbaki aus Beirut auf, in Berlin Malerei
zu studieren, entsprechend dem Rat des syrischen Malers und späteren
Professors der Universität der Künste in Berlin, Marwan Kassab-Bachi.
Seither sucht Baakbaki in seiner Kunst nach einem Begriff von Heimat
zwischen den Kulturen. Derzeit ist die Arbeit des 1974 in Beirut geborenen
Künstlers in der Stipendiatenausstellung des Auswärtigen Amtes im Haus am
Lützowplatz zu sehen; „In weiter Ferne so nah“ ist der Titel der Schau. Ein
Gespräch über Baalbakis Heimatstadt Beirut, seine künstlerische Entwicklung
und die Betroffenheit nach der Explosionskatastrophe Anfang August in
Beirut.
taz: Herr Baalbaki, was zeigt die Ausstellung von Ihnen?
Said Baalbaki: Es ist eine Gürtelschrift, die in Bronze gegossen auf dem
Boden liegt und das arabische Wort für „Lies“ (Ikraa) wiedergibt – das
erste Wort im Koran. Ein Hinweis auf Missinterpretationen religiöser
Texte, denn mich lassen die Isis-Geschichten und ihre Gewalt nicht los. Am
Koran haben mich vor allem aber die kulturellen Aspekte immer interessiert.
Gibt es eine weitere Arbeit zu sehen?
Ja, „Mit einer Hand fällt es schwer zu klatschen“. Das ist der Bronzearm,
der der Statue auf dem Märtyrerplatz in Beirut bereits seit Langem fehlt.
Ich habe ihn als Einzelobjekt rekonstruiert. Das hat mit dem Platz zu tun,
an dem die Türken 1916 Libanesen aufgehängt haben – ein Platz mit
Symbolkraft für Demonstranten und ihre Proteste. Mit der Arbeit bin ich der
Frage nach der Unterschiedlichkeit von Märtyrern auf den Grund gegangen.
Denn was für den einen ein Märtyrer ist, kann für den anderen ein Terrorist
sein.
Seit wann haben Sie sich künstlerisch mit Beirut auseinandergesetzt?
Immer schon. Mein Vater und Onkel waren meine ersten Lehrer. Ich war in
Beirut an der Uni genauso wie in Berlin. Ich komme aus einer
Künstlerfamilie mit acht Malern und bin mit Terpentingeruch und Bildern
groß geworden. Und alle hatten diese Disziplin und Struktur, die man auch
braucht, um Kunst zu machen. 2000 habe ich damit begonnen, mich
künstlerisch dem Wiederaufbau der Stadt Beirut zu widmen. Gerade jetzt
wollte ich diesen Themenblock abschließen, da passierte diese Explosion in
Beirut.
Welche unmittelbaren Auswirkungen hatte das Unglück für Sie?
Mein Bruder wurde leicht verletzt. Mein Elternhaus ist durch die Detonation
zertrümmert worden. Es ist eine verfluchte Stadt. Erst der Bürgerkrieg von
1975 bis 1989/90, dann der israelisch-libanesische Konflikt 1993, 1996 und
2006! Das war fast Alltag, auch die Autobomben. Und der Coronalockdown
gerade hat mich wieder an diese Zeit erinnert, da wir damals das Haus auch
nicht verlassen durften und immer in unserem Zimmer spielen mussten.
Wie wirkte sich das für die Kunstszene aus?
Die größte Kunstszene gab es in den 1960er Jahren, als Beirut als westliche
Perle des Nahen Ostens galt – eine liberal offene Hafenstadt. Ab der
Jahrtausendwende entwickelte sich die Szene mit heute etwa 25
Kunstgalerien, einem staatlichen Museum und mehreren Privatmuseen. Vor
allem durch Sammler aus den Golfstaaten ist libanesische Kunst
international salonfähig geworden. Das Sursock-Museum lag nur zwei
Kilometer von der Bombe entfernt und wurde sehr in Mitleidenschaft gezogen.
Die Galeristin von Tanit aus München, Naila Kettaneh, wurde schwer
verletzt, und ein Mitarbeiter meiner Galerie Salah Barakat ist durch die
Detonation ums Leben gekommen.
Welche Stadt – Beirut oder Berlin – betrachten Sie heute als Ihre Heimat?
Ich sehe Beirut von Berlin aus viel schärfer und viel schöner, als dort
drin zu leben. Diese Stadt kommt nicht zur Ruhe. Denn die Libanesen nutzen
nicht immer ihre Freiheit im positiven Sinne. Freiheit heißt nicht, dass du
dich nicht an die Gesetze halten musst. Daher bin ich auch 2015 deutscher
Staatsbürger geworden. Bei der Einbürgerung hat man mich dann darauf
hingewiesen, wenn ich im Libanon negativ auffalle, bin ich gleich wieder
Libanese. Aber im Libanon fühle ich mich nach wie vor als Libanese!
Was war Ihr letztes Projekt?
Gerade habe ich eine Ausstellung in Celle mit meinem Forschungsprojekt zu
Jussuf Abbo präsentiert. Ein Palästinenser, der zu Beginn des vergangenen
Jahrhunderts in Berlin eine große Bildhauerkarriere hatte und als jüdischer
Araber 1935 wegen der Nazis Berlin verlassen musste. Anhand dieses Projekts
kann ich durch Geschichte meiner Fragestellung nachgehen.
Wie das?
In sechs Jahren habe ich 100 seiner Arbeiten gekauft und sein Leben
erforscht. Und die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Er überlebte die
spanische Grippe; ich hoffentlich Corona. Und ich hoffe, dass trotz aller
rechten Tendenzen es sich mit dem Nationalsozialismus nicht wiederholt.
Aber sein Werk ist auch ein Stück Heimat, da er aus der Nähe meines
Heimatortes kam. Und in dieser Tradition verbindet uns eines – nämlich
Kunst in Berlin zu machen. Das ist Heimat.
„In weiter Ferne so nah“, Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9. Di.–So. 1…
Uhr, bis 8. Nov.
5 Sep 2020
## AUTOREN
Sebastian Strenger
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