# taz.de -- Autoritär konserviertes Klima erstickt künstlerische Freiheit | |
> Die Polizei in der Kunst (8): Günter Brus fordert die Staatsmacht durch | |
> seinen Spaziergang durch Wien heraus und wird verhaftet | |
Bild: Günter Brus, „Wiener Spaziergang“, 1965/1989. Eine von 16 Schwarz-We… | |
Von Sebastian Strenger | |
Am 6. Juli 1965 verlässt Günter Brus die Galerie Junge Generation in Wien | |
und geht mit der Aktion „Wiener Spaziergang“ als lebendiges Gemälde in die | |
städtische Öffentlichkeit. Er trifft auf ein noch rückwärtsgewandtes Wien, | |
das nicht auf die performative Kunst und die Aktionen der Wiener | |
Aktionisten vorbereitet ist, mit denen Hermann Nitsch, Otto Muehl, Rudolf | |
Schwarzkogler oder Günter Bruss Zeichen eines radikalen Aufbegehrens gegen | |
die bürgerlichen Konventionen setzen und die staatlichen Institutionen in | |
Aufruhr versetzen wollen. | |
Zu dieser Zeit erhielt der an der klassischen Moderne orientierte Künstler | |
Walter Eckert den Preis für Malerei der Stadt Wien. In Simmering eröffnete | |
ein Heimatmuseum und der Volks- und Filmschauspieler Hans Moser wurde mit | |
einer Gedenktafel bedacht. Die österreichische Hauptstadt schmückte sich | |
zudem mit ihrer ersten „Wolfsschanzengasse“ (nach einen Befestigungswerk am | |
linken Donauufer) im Stadtteil Floridsdorf. | |
„Die Vorbereitung dieser Aktion“, erinnerte Brus 1989 die Planung seines | |
Spaziergangs, „war freilich von einer mehr oder minder großen Nervosität | |
begleitet. Otto Muehl half mir beim Einfärben meiner Gestalt. Ludwig | |
Hoffenreich sagte zwischendurch seufzend:,Kinder, Kinder, das gibt entweder | |
Irrenhaus oder Gefängnis!' Ich gebe zu, daß ich von seinen Visionen nicht | |
ganz frei war.“ | |
Ludwig Hoffenreich war der Fotograf, der die Aktion dokumentierte. 1989 | |
brachten er und Günter Brus mithilfe der Galerien Krinzinger und Heike | |
Curtze eine Mappen-Edition des Wiener Spaziergangs heraus: 16 | |
Schwarz-Weiß-Fotografien im Format 39 x 39 cm, die Auflage von 35 | |
Exemplaren befindet sich heute überwiegend in internationalen Museen. Die | |
Fotos zeigen den Ablauf des Spaziergangs. Auf unserem | |
Bromsilber-Gelatineabzug trifft der Künstler an der Ecke | |
Bräunerstraße/Stallburggasse auf einen Polizisten und wird festgenommen. | |
Der Grund der Festnahme lässt sich anhand des Fotos eigentlich nicht | |
erklären. Zu sehen ist ein vollkommen weiß angemalter junger Mann im Anzug, | |
selbst Gesicht und Haare sind weiß eingefärbt. In seiner Körpermitte | |
allerdings verläuft vom Scheitel bis zur Sohle eine zackig schwarze Linie. | |
Reißverschluss – Stacheldraht – eine Wunde? Die Leute, die auf den weiteren | |
Bildern zu sehen sind, schauen belustigt oder auch verstört bis | |
verschreckt. Nach der Festnahme des Künstlers bringt man ihn zur | |
nächstgelegenen Wachstube. Die Personalien werden festgestellt und man | |
setzt ihn in ein Taxi, um weiteres Aufsehen zu vermeiden. | |
Dazu meint der heute 81-Jährige, „dass das Wien zu dieser Zeit einfach | |
jeden Menschen, der irgendwie anders kostümiert war, als nicht zumutbar | |
empfunden hat. Außer Rauchfangkehrer (Schornsteinfeger), die es vielleicht | |
noch gab, oder Bäckermeister, die in Weiß um die Ecke kamen, oder ein Koch. | |
Aber alles, was über diese Art der herkömmlichen Kostümierung ging, war | |
einfach verdächtig.“ | |
Das autoritäre Klima der Zeit machte dem sonst unauffälligen bis | |
schüchternen Wiener Kunststudenten zu schaffen, provozierte ihn aber auch, | |
die Grenzen der Malerei auszuloten. Sein „Wiener Spaziergang“ ist der recht | |
harmlose Auftakt zu folgenschwereren Aktionen. Brus begann seinen Körper | |
zur Skulptur zu machen. Er konzentrierte sich auf alle möglichen | |
Körperfunktionen und -ausscheidungen, was ihn 1968 in einer Aktion an der | |
Wiener Universität dazu verleitete, auf das Rednerpult zu klettern, auf die | |
Bundesfahne zu urinieren, sich umzudrehen, zu defäkieren und dazu die | |
Bundeshymne zu singen. Damit erreichte der Skandal um Brus eine neue | |
Qualität. Er wurde angeklagt und verurteilt, flüchtete vor Polizei und | |
Justiz aus Wien und ging nach Westberlin ins Exil. | |
An die Stelle der „Selbstbemalung“ trat nun die „Selbstverletzung“, wie | |
seine Aktion 1970 in München demonstrierte, wo er sich mit einer | |
Rasierklinge in Kopf, Brust und Beine schnitt, sich dann mit seinem Blut | |
bemalte und sich in aller Öffentlichkeit wieder zusammennähte. Diese | |
„Zerreißprobe“ war dann auch der Schlusspunkt seiner Aktionskunst. 1979 | |
durfte er zurück nach Österreich. Nicht ganz 20 Jahre später wurde ihm der | |
Große Staatspreis (1997) verliehen und 2011 eröffnete in Graz sein eigenes | |
Museum – das Bruseum. | |
Die nationale wie internationale Auseinandersetzung über Polizeigewalt und | |
wie diese Auseinandersetzung journalistisch zu führen ist, brachte unseren | |
Autor Sebastian Strenger auf die Idee, einmal nachzuschauen, wie die | |
Polizei Motiv der Kunst wird. Es folgt noch ein weiterer Text. | |
24 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Strenger | |
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