Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Seuchen-Insel
> Auf der abgesperrten Insel Riems wird unter höchsten Sicherheitsmaßnahmen
> über Infektionen geforscht
Stählern glitzert das Wasser im Greifswalder Bodden, Möwen machen sich
bereit für einen Beuteflug, und das Schilf zu beiden Seiten des Damms, der
durch vorpommersche Weiten hinaus nach Riems führt, macht das trügerische
Bild eines vermeintlichen Ferienidylls perfekt. Doch wer unterwegs ist nach
Riems, dieser nur 1.250 Meter langen und 300 Meter breiten Insel, gelegen
im Bodden zwischen Greifswald und Rügen, den erwartet keine Sommerfrische.
Riems, das ist das Reich der Seuchen, vielfach beschworen als die
gefährlichste Insel Deutschlands, aber tatsächlich vielleicht seine
sicherste: Immerhin sind Ebola-, Krim-Kongo Hämorrhagisches Fieber- und die
anderen hochansteckenden Erreger, mit denen Virologen und Bakteriologen
hier an Tieren experimentieren, um Menschen wie Tiere vor
Infektionskrankheiten zu schützen, in Forschungslaboren der weltweit
höchsten Sicherheitsstufe S4 eingesperrt.
Im Jahr 1810 zog Friedrich Loeffler (1852–1915), ein Schüler Robert Kochs,
hierher aus, um in isolierter Lage an winzigen Erregern zu forschen, die
damals bei Rindern und Schweinen der Landwirte in der Umgebung die Maul-
und Klauenseuche auslösten. Loeffler gelang es als erstem Wissenschaftler,
die winzigen Erreger als eine ganz neue Gruppe zu identifizieren: Viren.
Bis dahin hatte man gedacht, Infektionen würden einzig durch Bakterien
ausgelöst. Sein Virusforschungsinstitut überdauerte Kaiserreich und
Weimarer Republik, Nationalsozialismus und DDR; geforscht an Tieren und
Seuchen wurde immer auf Riems, und heute ist das nach seinem Gründer
benannte Institut eines von vier Bundesforschungsinstituten im
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.
Zugang zur Insel haben ausschließlich seine rund 450 Beschäftigten – zwei
Drittel von ihnen arbeiten als Tierpfleger, Verwaltungsangestellte und
Techniker, ein Drittel sind Wissenschaftler. Für alle anderen Menschen
endet die Fahrt auf einem Parkplatz, dahinter: Stacheldraht,
Überwachungskameras, hohe Zäune, ein Rolltor, ein Pförtnerhaus. Und Kristin
Schalkowski, die Pressesprecherin, die den Besuchern mit Sondererlaubnis
die Barrieren überwinden hilft und diejenigen Teile der Insel zeigt, die
trotz strengster Sicherheitsauflagen und der Coronapandemie zumindest von
außen besichtigt werden dürfen: Ställe, eine Kläranlage, ein alter hoher
Schornstein, Tierquarantänehäuser und schließlich eine Reihe moderner,
architektonisch nüchterner, dreistöckiger roter Klinkergebäude, miteinander
verbunden über Tunnel und Schleusen: In ihrem Innern befinden sich die
Labore der höchsten Sicherheitsstufen S3 und S4 und die inseleigene
Tierkörperbeseitigungsanlage.
Drinnen wird in Vollschutzanzügen gearbeitet, deren Ästhetik Outfits aus
der bemannten Raumfahrt ähnelt, und in die über einen Schlauch gefilterte
Luft einströmt. Die Anzüge werden immer etwas stärker als der Raumdruck
aufgeblasen, sodass selbst dann keine gefährlichen Erreger eindringen
können, sollten sie einmal undicht sein. Das gesamte Gebäude steht zudem
unter Unterdruck. So kann Luft einströmen und über
Hochleistungs-Schwebfilter nach außen gelangen; Zu- und Abluft werden
doppelt gefiltert. Im S4-Bereich ist jeder Mitarbeiter mit einem Backup
über Funk verbunden, der sich außerhalb der Labore aufhält. Bevor sie den
Hochsicherheitstrakt verlassen, müssen die Wissenschaftler ihre Anzüge in
einer Chemiedusche desinfizieren. Heike Haarhoff
8 Sep 2020
## AUTOREN
Heike Haarhoff
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.