# taz.de -- Gewaltandrohung schützt vor Diskussionskultur | |
> Die Polizei in der Kunst (9): Barbara Klemm hält mit der Kamera fest, wie | |
> protestierende Studenten und Polizisten 1969 in Frankfurt | |
> aufeinandertreffen | |
Bild: Verhärtete Fronten: Studentenproteste in Frankfurt im Jahr 1969. | |
Von Sebastian Strenger | |
Schwarz-weiß, analog und ohne Retuschen. So sehen die Fotografien Barbara | |
Klemms (*1939) von jeher aus. Kein bisschen inszeniert sind sie, vielmehr | |
erzählen ihre Bilder die Wahrheit so wie sie ihr vor Augen liegt. Wie auf | |
diesem Vintage-Print aus dem Jahr 1969: Es stehen sich unversöhnlich zwei | |
geschlossene Fronten gegenüber. Im oberen Bildfeld sind es die | |
demonstrierenden Studenten, die ihr Gegenüber lautstark ihre Parolen wissen | |
lassen. Dazwischen sieht man Absperrgitter, auf der anderen Seite steht | |
eine Reihe Polizisten. Während die Studenten in ihrer Kleidung die | |
Zivilgesellschaft repräsentieren, erinnert die Rückenansicht der Polizisten | |
in formtreuen Uniformmänteln mit weißen Schutzhelmen an moderne | |
Gladiatoren. | |
Die Studenten sind als Indivuen zu erkennen – lässig und das Gesicht mit | |
all seinen Emotionen zeigend – die Reihe der Polizisten bleibt hingegen | |
gesichtslos. Ihre Helme strahlen kühle Überlegenheit aus. Der Blick auf die | |
Schlagstöcke lässt ihre Haltung erkennen. | |
Das Menschsein scheint den Polizisten entzogen, der Griff ihrer Arme | |
rücklings an die Schlagstöcke wirkt wie das Klammern an ein Instrument, das | |
unter Einsatz roher Gewalt die Situation beherrschbar machen soll. Der | |
Diskussionskultur, wie sie die Studentenschaft hier einfordert, wird | |
staatlich unverhältnismäßig mit Gewaltandrohung begegnet. Für Klemm ein | |
Schlüsselmoment, den sie für die Betrachter*innen des Bilds durchschaubar | |
macht. | |
Ihr Blick auf das Besondere einer Situation war bereits durch ihr | |
Elternhaus geschult. Ihr Vater, der überwiegend konzeptuell arbeitende | |
Fritz Klemm, und ihre Mutter, Antonia Gräfin von Westphalen, waren beide | |
Maler. Mitte der 1950er Jahre begann Klemm in einem Karlsruher | |
Porträtfotoatelier eine Lehre und entwickelte dort ihre ersten Bilder. | |
1959 zog sie dann vom beschaulichen Karlsruhe in die damalige Hochburg | |
eines aufkeimenden Anarchismus, nach Frankfurt am Main. Sie fing bei der | |
Frankfurter Allgemeinen Zeitung als Fotolaborantin an, wechselte dann in | |
die „Druckvorstufe“. In ihrer Freizeit ging sie mit der Kamera in die Stadt | |
hinaus, um so die Chronistin ihrer Zeit zu werden. | |
In freier Mitarbeit belieferte sie wenig später bereits die Redaktion mit | |
ihren Bildern. Ihr Blick durch die Linse war ein anderer als der ihrer | |
männlichen Kollegen und die Zeit sowieso geprägt von gesellschaftlichen | |
Umbrüchen. Es waren die Jahre 1968/69, auch die Main-Metropole stand noch | |
unter dem Eindruck der Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg durch einen | |
Polizisten am Rande der Demonstration gegen den Besuch des Schahs von | |
Persien in Berlin im Jahr zuvor. | |
Der Tod Ohnesorgs wurde zum Fanal der sich ausbreitenden Studentenproteste, | |
die sich in den Universitätsstädten Westdeutschlands schlagartig | |
radikalisierten. Die Lage in Frankfurt eskalierte binnen kürzester Zeit. | |
Bereits am 2. April 1968 brannten zwei Kaufhäuser. Die Mitbegründer der | |
Rote-Armee-Fraktion (RAF), Andreas Baader und Gudrun Ensslin, wurden später | |
wegen ihrer Beteiligung an diesen Brandstiftungen verurteilt. | |
Klemm war mit knapp dreißig Jahren in ein Frankfurt hineingeraten, das sich | |
durch den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und die sich neu | |
formierende Außerparlamentarische Opposition (Apo) aufmachte, Hochburg | |
einer Revolte gegen die bürgerliche Gesellschaft dieser Tage zu werden. An | |
dem Frühjahrstag, an dem das Foto entstand, befand sie sich an der | |
Goethe-Universität auf dem ehemaligen Campus im Frankfurter Stadtteil | |
Bockenheim und brachte als stille Beobachterin ihre Kamera im 2. OG eines | |
Uni-Gebäudes in Stellung. | |
Die Universität hatte dem persischen Studenten Ahmad Taheri die | |
Einschreibung verweigert, da er abgeschoben werden sollte. Als die | |
Studenten, die sich mit ihm solidarisierten, dem Block der Polizisten | |
gegenüberstehen, wird die knisternde Anspannung sichtbar. | |
Barbara Klemm gelang das Einfrieren eines Moments kurz vor seiner | |
physischen Entladung. Aus der Phalanx der Studenten kamen wenig später | |
Steinwürfe, auf die die Polizei mit Wasserwerfern reagierte. Das schwere | |
Gerät der Exekutive brachte nicht den gewünschten Erfolg; Taheri durfte | |
letztlich in Deutschland bleiben. Wenige Monate später belieferte Klemm als | |
festangestellte Fotografin für Politik und Feuilleton die FAZ-Redaktion. | |
2005 ging sie in Rente, und seither konzentriert sie sich ganz auf ihre | |
Kunst. | |
Die nationale wie internationale Auseinandersetzung über Polizeigewalt und | |
wie diese Auseinandersetzung journalistisch zu führen ist, brachte unseren | |
Autor Sebastian Strenger auf die Idee, einmal nachzuschauen, wie die | |
Polizei Motiv der Kunst wird. Dies ist der letzte Text der Reihe. | |
31 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Strenger | |
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