# taz.de -- Deutschland bringt den Müll raus | |
> Deutscher Plastikmüll landet an asiatischen Stränden, das haben | |
> Greenpeace und andere Organisationen wiederholt dokumentiert. Doch die | |
> Wege des Mülls sind verschlungen. Und die Entsorger wollen sich nicht in | |
> die Karten schauen lassen | |
Bild: Womöglich giftig: Straßenkinder in Malaysia sortieren Müll | |
Von Yevgeniya Shcherbakova | |
Die Frage nach der Verantwortung für unkontrollierte Mülldeponien in Asien | |
hat auch einen Schatten auf Bremen geworfen, wie die Zahlen über den Export | |
von Kunststoffabfällen zeigen. Knapp 42.000 von 80.000 Tonnen deutschen | |
Plastikmülls werden pro Jahr nach Informationen des Nabu von Bremen aus ins | |
Ausland verschifft, das ist knapp mehr als die Hälfte. | |
Doch je länger der Transportweg, desto undurchsichtiger scheinen die | |
Vorgänge beim Import von Kunststoffabfällen in jene südostasiatische Länder | |
zu sein, die wie Malaysia oder Indonesien die Hauptabnehmer sind – noch: | |
Malaysia schickte im Januar schon einmal 150 Container mit illegalem Müll | |
in einer öffentlichkeitswirksamen Aktion an die Absenderstaaten zurück. | |
Wie aber kommt es zu den malaysischen Mülllandschaften, deren Fotos NGOs | |
wie Greenpeace auch dieses Jahr wieder veröffentlicht haben? Bei | |
Stichproben an malaysischen Stränden fand die Organisation auch | |
Kunststoffabfälle aus deutscher Produktion. Die traurige Wahrheit ist | |
zunächst einmal: Der Export ist legal. Damit lassen sich malaysische, | |
indonesische oder pakistanische Zustände aber noch lange nicht | |
rechtfertigen oder gar verstehen. „Während häuslicher Abfall im Inland | |
recycelt oder verbrannt wird, wird gewerblicher Abfall ins Ausland an | |
asiatische Unternehmen verkauft“, sagt der Hamburger Pressesprecher des | |
Entsorgungsunternehmens Veolia, Andreas Jensvold. In Asien angekommen, wird | |
der Abfall zu Dumpinglöhnen und unter teils gesundheitsgefährdenden | |
Standards von Einheimischen nach möglichst sortenreinen Kunststoffen | |
durchsucht, um diese für den Verkauf zu recyceln. Erst im Mai berichtete | |
Greenpeace, dass das, was nicht recycelt werden kann, auf illegalen | |
Deponien landet oder unter Austritt von giftigen Gasen verbrannt wird. | |
„Es braucht ein Gesetz dafür, dass Verpackungen bereits in der Produktion | |
so hergestellt werden, dass sie leichter zu recyceln sind oder der Einsatz | |
von recycelten Produkten vorgeschrieben wird“, fordert der Sprecher des | |
Recyclingunternehmens Remondis, Michael Schneider. Sein Unternehmen | |
recycelt Kunststoffabfälle und verkauft das Granulat in die Niederlande. | |
Wenn es nach ihm ginge, sollten die Gesetze möglichst auf EU-Ebene | |
durchgesetzt werden, um Wettbewerbsvorteile anderer Länder zu unterbinden – | |
Produkte aus Recyclingverfahren sind bisher doppelt so teuer wie die | |
Produktion von neuem Kunststoff aus Erdöl. „Das ist auch ein Knackpunkt, an | |
dem wir uns als Recyclingbranche die Zähne ausbeißen.“ | |
Für ihn ist klar: Schuld an den Müllfunden an malaysischen Stränden ist | |
China. Nachdem das Land strengere Vorschriften zur Sortenreinheit von | |
Kunststoffabfall erlassen hatte und damit als Hauptabnehmer für die meisten | |
Exporteure ausschied, dirigierte es die Fracht nach Malaysia um. Schneider: | |
„Da kann ich sie beruhigen. Das war die Schuld von China.“ | |
Das Problem ist: „Aus je mehr Kunststoffsorten eine Verpackung besteht, | |
desto komplizierter und teurer ist das Recyclingverfahren“, sagt der | |
Sprecher des deutschen Entsorgungsverbandes BDE, Bernhard Schodrowski. | |
Solange sich daran nichts ändert, scheint es bequemer, asiatische | |
Abnehmer*innen für den Kunststoffabfall zu finden. Das Resultat: Eine | |
Win-win-Situation: Deutschland wird seinen Müll los und asiatische | |
Unternehmen fahren Profite mit Recycling ein – auf Kosten der dortigen | |
Umwelt und Gesundheit der Zivilbevölkerung. | |
Deutschland belegt hinter Japan und den USA den dritten Platz beim Export | |
von Plastikmüll. 2018 waren das 700.000 Tonnen. Wie ist es möglich, eine | |
solche Menge, verpackt in Containern, auf den Inhalt zu kontrollieren? Gar | |
nicht, meint Schneider vom Recyclingunternehmen Remondis. „Die Kontrollen | |
können bei solchen Mengen nur stichpunktartig durch den Zoll erfolgen.“ | |
Zwar gelten strenge Regularien für die Qualität der Ausfuhren, jedoch ist | |
nicht klar, was das jeweilige Käuferland mit dem Exportgut anstellt: Ob | |
dieses tatsächlich zu 100 Prozent recycelt und dem Kreislauf wieder zuführt | |
wird oder ob der Müll sich in Teilen an den Stränden von Malaysia | |
wiederfindet – darauf legen sich die Recyclingunternehmen nicht fest. | |
Auf Nachfragen verweisen sie auf die Regularien und Gesetze, die bei der | |
Ausfuhr aus Deutschland beachtet werden müssen. Ihre Aussagen werden vage, | |
sobald es darum geht, was passiert, wenn ein Abfallfrachter den Bremer oder | |
Hamburger Hafen verlassen hat. Verlassen sich die deutschen Versorger etwa | |
darauf, dass sich asiatische Unternehmen ordnungsgemäß um deutschen Abfall | |
kümmern? | |
Diese Vermutung bestätigt Michael Jedelhauser, Referent für | |
Kreislaufwirtschaft der Umweltorganisation Nabu. „Wirklich kontrolliert, | |
was da ankommt, wird in Malaysia nur stichprobenartig. Mehr geht bei den | |
Mengen wahrscheinlich auch gar nicht. Das importierende Unternehmen | |
unterschreibt ein Dokument über den Erhalt der Ware, ansonsten wird das | |
Importland sich selbst überlassen und das Exportland ist fein raus.“ | |
Oftmals werde erst zu spät festgestellt, dass die Lieferungen auch unreine | |
Ware enthalten. „Kunststoffabfälle sind eine Ware wie jede andere auch“, | |
bestätigt BDE-Sprecher Schodrowski. „Wenn eine Privatperson beispielsweise | |
ein Auto verkauft, ist sie auch nicht dafür verantwortlich, wenn der Käufer | |
einen Unfall damit baut.“ | |
Nach dieser Logik liegt die Verantwortung für die Umweltverschmutzung nicht | |
bei Bundesländern wie Bremen oder Hamburg, über deren Häfen der Abfall | |
verschifft und dabei nur stichprobenartig überprüft wird. Sie liegt auch | |
nicht bei Deutschland oder Europa, die maßgeblich an der Gesetzgebung von | |
Abfallexporten beteiligt sind. Die asiatischen Länder selbst sind es, die | |
dafür sorgen, dass ihre Strände wie Mülldeponien aussehen. | |
Wie der Prozess der Einfuhren nach Asien im Detail verläuft, können weder | |
die Versorgungsunternehmen noch die Nabu sagen. Zu undurchsichtig erscheint | |
das Kontrollnetz, von dem Recyclingfirmen wie Veolia behaupten, es sei so | |
engmaschig, dass der Müll an malaysischen Stränden unmöglich direkt aus | |
Deutschland kommen könne. Denkbar seien allerdings illegale Transporte über | |
östliche Nachbarländer. | |
Der Entsorgerverband BDE behauptet sogar, dass die von Greenpeace | |
verbreiteten Fotos zu Unrecht suggerierten, dass das dreckige Strandgut | |
direkt aus Deutschland stammt. Schließlich exportiere Deutschland verpackte | |
Produkte wie Lebensmittel auch in andere Länder, etwa nach Osteuropa. Diese | |
Verpackungen gelangten anschließend in den Müll und würden schlussendlich | |
unsortiert nach Asien verfrachtet. | |
„Diese Branche ist eine der wenigen, die eher nach mehr Gesetzen schreit | |
als nach weniger“, sagt der Sprecher der Recyclingfirma Remondis, Michael | |
Schneider. Gesetze zu erlassen sei aber die Aufgabe der Regierungen in | |
Berlin und Brüssel: „Wir müssen zu einem ökologischen Produktdesign kommen, | |
um die Rohstoffe zu 100 Prozent wieder recyceln zu können.“ Das sei | |
natürlich eine Idealvorstellung. „Aber wir müssen irgendwo angefangen.“ | |
„Wieso müssen Äpfel in Plastik eingeschweißt werden?“, pflichtet | |
Verbandssprecher Schodrowski bei, „Wir haben kluge Köpfe hier, die an | |
ökologischem Produktdesign arbeiten.“ Durch diese Umstellung würden nicht | |
nur asiatische Länder entlastet, sondern auch der CO2-Ausstoß um Tonnen | |
verringert. | |
Ein Anfang wäre es, die Recyclingsysteme in Asien selbst auszubauen. | |
Zuletzt stellte die Wirtschaftsförderung Bremen WfB auf ihrer Internetseite | |
den Recycling-Unternehmer Salam Farooqi vor, der bereits Kunststoffabfälle | |
zum Recycling nach Pakistan exportiere. Auch aufgrund der niedrigen Löhne, | |
wie er gegenüber dem WfB sagte. Auf Nachfrage bei der WfB, ob Farooqi für | |
ein Interview bereitstehe, meldete dieser zurück, dass er nicht mit der | |
Presse sprechen wolle. Derzeitig befinde er sich in Pakistan, wo er bereits | |
drei Recyclingunternehmen führe. Aufgrund der Coronapandemie verzögere sich | |
der Unternehmensaufbau in Deutschland. | |
15 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Yevgeniya Shcherbakova | |
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