# taz.de -- Das Trauma sichtbar machen | |
> Die Polizei in der Kunst (7): Andy Warhols duplizierte Kunst schärft den | |
> Blick auf rassistisch strukturierte US-Institutionen. Sein Gemälde „Race | |
> Riot“ zeigt, dass die Gewalt 1963 vom Staat ausging | |
Bild: Andy Warhols „Race Riot“ (Rassenunruhen) aus dem Jahr 1964 als Siebdr… | |
Von Sebastian Strenger | |
Der Pop-Art-Künstler Andy Warhol (1928–1987) produzierte das Gemälde „Race | |
Riot“ (Rassenunruhen) als Teil seiner zwischen 1962 und 1964 entstandenen | |
Werkserie „Death and Desaster“, die ursprünglich „Tod in Amerika“ hei�… | |
sollte. Auslöser der Serie war seine Lektüre des New York Mirror, wo er am | |
4. Juni 1962 von einem Flugzeugabsturz mit 129 Toten las. | |
Das hier vorliegende Gemälde zeigt den friedlichen Marsch der | |
US-Bürgerrechtsbewegung durch Birmingham, Alabama im Jahr 1963, bei dem die | |
Demonstranten, angeführt von Martin Luther King Jr., Ralph Abernathy, Fred | |
Shuttlesworth und Rosa Parks, von der Polizei gestört wurden. Dieses Werk | |
zählt neben Warhols Doppel-Elvis, seiner Brillo-Box und Porträts Marylin | |
Monroes zu seinen bekanntesten Gemälden. Obwohl es thematisch nicht | |
zwingend in die Serie über Tod und Katastrophen passt, bestand Andy Warhol | |
darauf, seine Bilder der „Rassenunruhen“ in diese Serie aufzunehmen, die | |
ansonsten von Autounfällen, Suizid oder dem Tod auf dem elektrischen Stuhl | |
handelt. | |
Am 10. Mai 1963 hatten sich in Birmingham prominente Bürgerrechtler mit der | |
Stadt auf einen Pakt geeinigt, der die Aufhebung aller Rassenschranken | |
vorsah. Ein Bombenanschlag auf ihr Hotel führte zu gewalttätigen | |
Ausschreitungen zunächst der Schwarzen und dann der weißen Bevölkerung. Am | |
11. Juni 1963 schließlich wandte sich John F. Kennedy in einer | |
Fernsehansprache an das amerikanische Volk und stellte sich hinter den | |
Kampf um Gleichberechtigung. 1964 wurde dann der Civil Rights Act | |
verabschiedet, der Diskriminierung aufgrund von „Rasse“, Hautfarbe, | |
Religion, Geschlecht oder nationaler Herkunft verbietet. Er gilt heute als | |
eines der bedeutendsten Gesetze zur rechtlichen Gleichstellung von | |
Afroamerikanern in den Vereinigten Staaten. | |
Der friedliche Marsch der Demonstranten während ihrer Birmingham-Kampagne | |
war schon vor den Bombenanschlägen von der weiß dominierten Polizei massiv | |
mit Löschwasser aus Feuerwehrautos und mit Polizeihunden gestört worden. | |
Die Fotos, die von diesen Übergriffen entstanden, brannten sich in das | |
kollektive Gedächtnis der Nation ein und übten einen starken Einfluss auf | |
den Erfolg der Bürgerrechtsbewegung aus. | |
Die Vorlage für Warhols Gemälde lieferte ein Originalfoto vom bekannten | |
amerikanischen Pressefotografen Charles Moore, der seit 1958 die | |
Aktivitäten der Bürgerrechtsbewegung dokumentierte. Am 3. Mai 1963 drückte | |
er auf den Kameraauslöser und dokumentierte so die Gewalt der mit Stöcken | |
und Hunden bewaffneten weißen Polizisten auf friedlich demonstrierende | |
Schwarze Bürgerrechtler in einem Park in Birmingham, Alabama. Das Life | |
Magazine druckte es, und Warhol nutzte diese Bildvorlage für sein Bild in | |
dem ihm eigenen, berühmt gewordenen repetitiven Stil. | |
Dabei setzte er dasselbe Motiv zahlreiche Male nebeneinander, wobei er | |
verschiedene Farbtöne und Bildausschnitte nutze. Indem Andy Warhol für den | |
Titel seines Siebdrucks den Begriff „Riot“ (Ausschreitung, Aufstand) wählt, | |
nutzt er einen mit Gewalt assoziierten Begriff zur Beschreibung der | |
Proteste und wiederholt als weißer Künstler eine Bezeichnung, die der | |
gewaltfreien Bürgerrechtsbewegung ein negatives bis illegitimes Image | |
verleiht. Letztlich lag die Gewalt jedoch aufseiten des US-amerikanischen | |
Staates und seiner rassistisch strukturierten Institutionen, und Warhol | |
machte durch Vervielfältigung im Bild das Trauma einer ganzen | |
US-Gesellschaft sichtbar. | |
Und dieses besteht ja nach Freud gerade darin, dass nicht die primäre | |
Erfahrung das eigentliche Problem ist, sondern die Verdrängung, die | |
stattfindet, wenn man mit dem Trauma explizit wieder konfrontiert wird. | |
Die nationale wie internationale Auseinandersetzung über Polizeigewalt und | |
wie diese Auseinandersetzung journalistisch zu führen ist, brachte unseren | |
Autor Sebastian Strenger auf die Idee, einmal nachzuschauen, wie die | |
Polizei Motiv der Kunst wird. Weitere Texte folgen. | |
17 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Strenger | |
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