# taz.de -- debatte: Als Bettvorleger gelandet | |
> Die Initiative für eine Enteignung renditegetriebener Immobilienkonzerne | |
> in Berlin startete vielversprechend. Jetzt droht die Kampagne | |
> aufzuweichen | |
Die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen hat ein wichtiges Etappenziel | |
fast erreicht. Nach einer über ein Jahr währenden „Prüfung“ gab die damit | |
betraute Senatsinnenverwaltung Anfang August grünes Licht für das | |
angestrebte Volksbegehren, bei dem knapp 180.000 gültige | |
Unterstützerunterschriften binnen vier Monaten gesammelt werden müssen. | |
Zwar führt der überraschende Rücktritt von Berlins | |
Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) zu einer weiteren | |
Verzögerung, da ihr Ressort vor einem entsprechenden Senatsbeschluss zur | |
Zulassung noch eine Stellungnahme abgeben muss. Doch den Zeitplan wird das | |
wohl nicht mehr gefährden. Nach Ablauf weiterer formaler Fristen könnte die | |
Unterschriftensammlung frühestens im November und spätestens Anfang Februar | |
2021 beginnen. Verläuft die erfolgreich, stünde einem Volksentscheid im | |
nächsten Herbst nichts mehr entgegen. | |
Allerdings hat die Initiative nach der langen Zeit in der Warteschleife | |
einiges an Strahlkraft verloren. Als sie sich im April 2018 erstmals mit | |
ihrer Enteignungsforderung in der Öffentlichkeit präsentierte, sorgte das | |
für Euphorie auf der einen und für Schnappatmung auf der anderen Seite des | |
politischen Spektrums. Die bürgerlichen Oppositionsparteien CDU und FDP | |
reagierten mit Empörung und Kalter-Kriegs-Rhetorik, von „DDR 2.0“ war die | |
Rede, beschworen wurde die Rückkehr zu einer „sozialistischen Diktatur“. | |
Auch Wirtschaftsverbände prophezeiten den drohenden Kollaps der gesamten | |
Berliner Wirtschaft, wenn derartige „sozialistische Experimente“ auf die | |
Tagesordnung kämen. | |
Angesichts rasant steigender Mieten und der ruppigen Verdrängungspraxis der | |
großen Immobilienkonzerne hatte die Initiative jedoch einen Nerv getroffen. | |
Erste Umfragen kamen zu dem Ergebnis, dass die Forderung von einer Mehrheit | |
der Berliner Bevölkerung unterstützt wurde. Die erste Stufe des | |
Volksbegehrens wurde im Juni 2019 mit fast 60.000 statt der benötigten | |
20.000 gültigen Unterschriften nahezu mühelos überwunden. | |
Doch mittlerweile dominieren andere Fragen den politischen Diskurs in der | |
Hauptstadt. Im Mittelpunkt steht dabei der Mietendeckel, den die | |
rot-rot-grüne Regierung im vergangenen Jahr beschlossen hatte, um | |
Bestandsmieten für fünf Jahre einzufrieren und für Neuvermietungen | |
Mietobergrenzen einzuführen. Voraussichtlich im kommenden Jahr wird das | |
Bundesverfassungsgericht über den Bestand des Mietendeckelgesetzes | |
entscheiden, nachdem CDU und FDP entsprechende Kontrollklagen eingereicht | |
haben. Und natürlich beherrschen derzeit auch die Coronapandemie und ihre | |
Folgen für die weitere wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Stadt | |
die Auseinandersetzung. Das Thema Eigentumsverhältnisse auf dem | |
Wohnungsmarkt und deren Regulierung durch Vergesellschaftung ist dadurch | |
aber keineswegs obsolet geworden, zumal Artikel 15 des Grundgesetzes einen | |
derartigen Eingriff in die Eigentumsrechte ausdrücklich vorsieht. | |
Auf einhellige Unterstützung der Berliner Regierung kann die Initiative | |
dabei nicht bauen. Die SPD hat sich nach einer kurzen Phase des Lavierens | |
im Oktober 2019 mit einem Parteitagsbeschluss auf die Ablehnung des | |
Volksbegehrens festgelegt. Auch die Grünen halten die angestrebte | |
Enteignung der Konzerne keineswegs für erstrebenswert, sondern sehen die | |
Initiative eher als „Weckruf“ für die Branche, um gemeinsam andere Lösung… | |
zu finden. Selbst bei den Linken gab es bereits erste Absetzbewegungen. So | |
brachte Lompscher weitreichende, verpflichtende Kooperationsvereinbarungen | |
zum Mieterschutz mit den Konzernen ins Spiel, die eine Enteignung quasi | |
überflüssig machen würden. | |
Bei Deutsche Wohnen & Co enteignen hat diese politische Konstellation, aber | |
vor allem die Zermürbungstaktik des Senats bei der „Prüfung“ deutliche | |
Spuren hinterlassen. In dem von der Innenverwaltung quasi diktierten | |
Beschlusstext für das Volksbegehren wird der Senat nur noch aufgefordert, | |
„alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien sowie Grund | |
und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung erforderlich | |
sind.“ Die ursprüngliche Forderung an den Senat, ein Gesetz für die | |
Enteignung auf den Weg zu bringen, wurde komplett gestrichen. Für die | |
„Maßnahmen“ gibt es weder eine Definition noch eine Frist. Es werden auch | |
keine im Visier stehenden Unternehmen, wie etwas die Deutsche Wohnen oder | |
Vonovia, mehr benannt. Vielmehr ist allgemein von Wohnungsbeständen die | |
Rede, die „vergesellschaftungsreif“ seien. | |
Das furios gestartete Volksbegehren zur Enteignung großer | |
Immobilienkonzerne ist geschrumpft zu einer rechtlich unverbindlichen | |
Aufforderung, der Senat möge irgendwann irgendetwas unternehmen. Politisch | |
ist das fatal, denn der erstmals in dieser Breite und Schärfe geführten | |
Auseinandersetzung über die Macht privater, renditeteorientierter | |
Eigentümer in einem zentralen Sektor der sozialen Daseinsvorsorge wurde | |
damit jegliche Zuspitzung genommen. Einige Protagonisten von Deutsche | |
Wohnen & Co enteignen klammern sich jetzt an die Hoffnung, die Linke könne | |
auf Basis eines erfolgreichen Volksentscheids ein Enteignungsgesetz zur | |
unverhandelbaren Bedingung für die Neuauflage der rot-rot-grünen Koalition | |
nach der Abgeordnetenhauswahl im September 2021 machen. Das ist angesichts | |
aller Erfahrungen mit dieser Partei bei Regierungsbildungen, nicht nur in | |
Berlin, bestenfalls naiv. Und die Vorstellung, dass sich unbeugsame Linke | |
trotzig den beiden Enteignungsgegnerinnen Franziska Giffey und Ramona Pop | |
entgegenstellen, die dann voraussichtlich als Frontfrauen von SPD und | |
Grünen in den Koalitionsverhandlungen agieren werden, hat schon was | |
Erheiterndes. Die Enteignungskampagne war eine gute, spannende Idee. Doch | |
jetzt ist sie auf dem Weg, sich selbst zu erledigen. | |
14 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Rainer Balcerowiak | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |