| # taz.de -- Die mongolischen Schwestern Wessi und Ossi | |
| > Emanzipatorisches Kino über das Instinktive, das Intuitive und das | |
| > Sinnliche: Auch in dem Film „Schwarze Milch“ bleibt Uisenma Borchu ihrem | |
| > Thema treu | |
| Bild: Wessi (Uisenma Borchu) trifft auf Ossi (Gunsmaa Tsogzol) in einer Jurte i… | |
| Von Dennis Vetter | |
| Dreimal zeigt Uisenma Borchu in ihrem neuen Film exakt dasselbe Bild einer | |
| Frau, die frontal in die Kamera blickt, als würde sich gerade ein Gespräch | |
| mit ihr abspielen. Nicht immer wird in diesen Schlüsselmomenten des Films | |
| überhaupt gesprochen. Und in allen Fällen verweigert die Frau die Aussage. | |
| Der Blick der Schweigenden ist souverän und fragend, mit einem Hauch von | |
| Skepsis. Wer versucht, in ihrem Gesicht zu lesen, wird noch andere und | |
| immer neue Eigenschaften finden. Wessen Blick die Kamera dabei jedoch | |
| einnimmt, das bleibt unscharf. | |
| „Schwarze Milch“ heißt der Film und verweist wortwörtlich auf Milch – | |
| genauer gesagt die Milch, die sich noch im weiblichen Körper befindet. Sie | |
| ist schwarz, denn was unter der Haut und hinter Muskeln pulsiert, bleibt | |
| vor dem Licht verborgen, liegt augenscheinlich im Dunkeln. Eine Analogie, | |
| nicht zuletzt auf das Kino selbst – einen Erfahrungsraum, der Filme im | |
| Dunkeln pulsieren und das Innenleben des Publikums in Wallung bringen | |
| lässt. | |
| Borchus Kino scheint auf Ideen des Inneren und Verinnerlichten abzuzielen – | |
| im geistigen wie physischen Sinn. Körperlichkeit nimmt im Film eine | |
| wesentliche Funktion ein, etwa wenn Hände vor der Kamera in lebende Ziegen | |
| eindringen und im Brustkorb deren Zwerchfell durchtrennen. Der Film | |
| versichert sich immer wieder seiner Realität und nimmt dafür die Tötung | |
| von Tieren in Kauf. | |
| ## Zu weiblich und zu freizügig | |
| Borchu verließ als Kind mit ihren Eltern die Mongolei und lebte seit der | |
| Wende in Berlin, erlebte dort den Nachklang der DDR und wechselte | |
| anschließend nach München, wo sie nach ihrem Regiestudium keine | |
| Finanzierung für ihren Abschlussfilm finden konnte. Der war den | |
| Förderstellen interessanterweise „zu weiblich“ und zu freizügig. Die | |
| Abwehrreflexe von offizieller Seite thematisierte sie souverän und | |
| öffentlich, heute sieht sie sich in ihrer Filmsprache umso mehr bestärkt. | |
| Mit „Schwarze Milch“ hat Borchu erneut keinen Politfilm und keinen Film der | |
| teilnahmslosen Narrative gedreht, sondern verfolgt weiter ihre Motive und | |
| ergründet wie zuvor in „Schau mich nicht so an“ ein Kino, das seine | |
| emanzipatorische Kraft über das Instinktive, das Intuitive und das | |
| Sinnliche entwickeln soll. Direktheit geht hier vor Intellektualisierung, | |
| das Entfesselte überschattet das Erzählende. Borchu testet Grenzen aus. | |
| Die Frau, die genau dreimal dem Kamerablick begegnet, heißt übrigens Ossi, | |
| lebt in der Mongolei und steht gemeinsam mit ihrer Schwester Wessi im | |
| Zentrum der Geschichte, die sich außer bei der Namenswahl mit ironischen | |
| Spitzen zurückhält. Wessis altes Leben ist im Film nur ein Fetzen: Schon | |
| nach Minuten wendet sie sich von ihrem gedankenlosen Freund ab und verlässt | |
| Deutschland, um ihre Wurzeln und ihre Kraft in der mongolischen Wüste bei | |
| ihrer Schwester neu zu entdecken. Geklärt ist dadurch jedoch noch nichts, | |
| und bald brodeln erste Konflikte. | |
| Mit ihrem Film „Schwarze Milch“ ergründet die Regisseurin und | |
| Schauspielerin Identitätsfragen, die sie schon lange beschäftigen und die | |
| sich in ihrer Arbeit als Künstlerin heute kristallisieren – | |
| Geschlechterpolitik, Arroganz zwischen den Kulturen, persönlicher und | |
| systemischer Rassismus. Im Film spielt sie selbst die Wessi. Ossis Rolle | |
| übernahm ihre Cousine, die als Nomadin aufwuchs. So ist „Schwarze Milch“ | |
| verwirrend nah am Biografischen, was besonders in der zentralen Szene | |
| kompliziert wird. Da wird strukturelle Gewalt zur unmittelbaren und droht | |
| die Figuren zu zerstören. | |
| Im Exzess des Moments eignet sich Borchu das Kino als Raum der drastischen | |
| Selbstbestimmung und Selbstauslotung an. Welche Schwester recht hat, rückt | |
| ins Dunkle. In der Kunst zählt nur die gemeinsame Erfahrung, und die ist | |
| hier wörtlich Gold wert. | |
| „Schwarze Milch“. Regie: Uisenma Borchu. Mit Uisenma Borchu, Gunsmaa | |
| Tsogzol u. a. Deutschland 2020, 91 Min. | |
| 23 Jul 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Dennis Vetter | |
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