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# taz.de -- Flucht von Tunesien nach Lampedusa: Hunderte jeden Tag
> Italiens Insel Lampedusa ist Hauptziel der neuen Migrationsbewegung aus
> Tunesien. Die lokalen Behörden nennen die Situation „unkontrollierbar“.
Bild: Lampedusa am 24. Juli: ein Flüchtlingsboot kommt im Hafen an
Berlin taz | Im Juli sind fast so viele Flüchtlinge und MigrantInnen
[1][auf Lampedusa angekommen] wie im ganzen ersten Halbjahr. Nach Zahlen
der Vereinten Nationen erreichten in den vergangenen vier Wochen 5.067
Menschen über das Meer Italien, die meisten gingen auf Lampedusa an Land.
In den gesamten sechs Monaten zuvor waren insgesamt 6.653 Menschen nach
Italien gelangt.
Lampedusas Bürgermeister Totò Martello nannte die Situation
„unkontrollierbar“. Wenn die Regierung es nicht tue, werde er den
Ausnahmezustand ausrufen. Auf der 20 Quadratkilometer großen Insel befanden
sich am Wochenende mehr als 1.000 MigrantInnen, es gibt dort nur ein
einziges Aufnahmelager mit Platz für 95 Menschen.
Bei den Ankommenden handelt es sich in der Regel nicht um Flüchtlinge, die
an der libyschen Küste in See gestochen sind. Es sind vielmehr Boote, die
von verschiedenen Orten Tunesiens aus auf die nur 140 Kilometer entfernte
Insel Lampedusa übersetzen. Sie kommen auf Holzbooten, die vergleichsweise
seetüchtig sind und auf denen in der Regel zwischen 20 und 40 Menschen
Platz haben.
Das bedeutet allerdings nicht, dass es keine Unglücke gibt: Die Initiative
Alarm Phone hat allein in den letzten Tagen drei bis vier Unfälle zwischen
Tunesien und Lampedusa gezählt. Wie viele Menschen dabei ums Leben gekommen
sind, ist unklar.
## Küstenwache hielt an einem einzigen Tag 17 Boote auf
In den Booten nach Lampedusa sitzen viele tunesische MigrantInnen, die
sogenannten Harraga. Laut dem italienischen Innenministerium machten
tunesische Staatsangehörige in diesem Jahr rund 39 Prozent aller über das
Meer Ankommenden in Italien aus. Sie waren damit die mit Abstand größte
Gruppe, gefolgt von Bengalen (14 Prozent) und Ivorern (6 Prozent).
Ein Teil der aus Tunesien kommenden Boote wird nach Beobachtung des Alarm
Phone und der NGO Sea-Watch von der tunesischen Küstenwache abgefangen und
zurück nach Tunesien geschleppt. Im ersten Halbjahr könnten etwa genauso
viele Menschen auf diese Weise nach Tunesien zurückgebracht worden sein,
wie in Italien angekommen sind, schätzt Alarm Phone.
Die Besatzung des von Sea-Watch betriebenen Aufklärungsflugzeugs „Moonbird“
hatte am 16. Juni eine solche Aktion mit Fotos aus der Luft dokumentiert.
An diesem Tag wurden die Insassen eines Bootes nach vier Tagen auf See von
der tunesischen Küstenwache zurück in den Hafen von Zarzis gebracht –
obwohl es bereits in europäischen Gewässern war. Nach Angaben von Sea-Watch
waren die italienische Küstenwache und Frontex an der Aktion beteiligt.
Im Juni hatte die tunesische Küstenwache nach UNHCR-Angaben an einem
einzigen Tag 17 Boote aufgehalten, die versuchten, nach Italien zu
gelangen, und Hunderte der Insassen verhaftet.
## Von Lampedusa nach Catania
Tunesien ist eines der Länder, die seit langer Zeit eng mit Italien in
Sachen Grenzschutz kooperieren. Seit der Herrschaft des 2011 gestürzten
Diktators Ben Ali sind Gesetze in Kraft, auf deren Grundlage subsaharische
MigrantInnen in Haft genommen werden können, um eine Überfahrt nach Italien
zu verhindern.
Auch tunesischen StaatsbürgerInnen ist die Ausreise nach Italien ohne
Papiere untersagt. Die Rechtsgrundlage für die Beziehungen zwischen der EU
und Tunesien ist bis heute das 1998 in Kraft getretene
Assoziierungsabkommen, in dem der Kampf gegen „illegale“ Migration und eine
Ausweitung der Rückführungen von Tunesier*innen bereits explizit vorgesehen
sind.
Italien bringt die Ankommenden derzeit unter anderem nach Catania auf
Sizilien, von wo aus sie im Land weiter verteilt werden. Die EU-Kommission
habe von Italien ein Gesuch erhalten, bei dem es um eine Umverteilung in
andere EU-Länder gehe, sagte ein EU-Sprecher am Dienstag in Brüssel. Die
Kommission sei nun in Kontakt mit den anderen Mitgliedstaaten.
## Salvini spricht von „organisierter Invasion“
Ida Carmina von der mitregierenden Fünf-Sterne-Bewegung sprach sich für
Luftbrücken aus, die Menschen von Lampedusa in andere Gebiete bringen
könnten. Ein vor Sizilien „vor Anker gehendes [2][Quarantäne-Schiff] mit
1.000 Plätzen“ lehnte sie hingegen ab. Das berge Risiken für den Tourismus.
Das Innenministerium will mit einem solchen Schiff die Aufnahmezentren in
Süditalien entlasten.
„Wir müssen die Mechanismen für die Rückführung nach Tunesien sofort wied…
aktivieren“, sagte Außenminister Luigi Di Magio. Er spricht sich damit für
eine schnellere Abschiebung nach Tunesien aus – die entsprechenden
Vereinbarungen waren nie ausgesetzt worden.
Wenig originell nannte Italiens früherer Innenminister und Chef der extrem
rechten Lega [3][Matteo Salvini] die Ankünfte auf Lampedusa eine
„organisierten Invasion“. Er dürfte darauf spekulieren, dass ihm die
Situation bei seinem anstehenden Prozess hilft. Am Donnerstag stimmt der
Senat darüber ab, ob Salvinis Immunität aufgehoben wird. Die
Staatsanwaltschaft will ihm den Prozess machen, weil er im August 2019 als
Innenminister fast drei Wochen lang dem Rettungsschiff „Open Arms“, das 150
Flüchtlinge an Bord hatte, die Einfahrt in einen italienischen Hafen
verweigerte.
30 Jul 2020
## LINKS
[1] /Seenotrettung-im-Mittelmeer/!5695369
[2] /Aufnahme-von-Gefluechteten-in-Italien/!5693898
[3] /Italiens-Migrationspolitik-unter-Salvini/!5699437
## AUTOREN
Christian Jakob
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