# taz.de -- berliner szenen: Das Einfallstor nach Berlin | |
Heute habe ich einen Roman von Franz Hessel beendet. Erst war mir die | |
Hauptfigur suspekt, ein junger Mann aus Berlin, der in München studiert und | |
die Liebe sucht, sie aber nie erkennen würde, wenn sie ihm zufällig | |
begegnete – und sich stattdessen in Affären stürzt mit Frauen, für die er | |
zu jung, zu alt, zu flatterhaft, zu aufbrausend oder schlicht zu hässlich | |
ist. Doch irgendwann konnte ich das Buch nicht mehr weglegen. | |
Es gibt schöne, melancholische Stellen. Man kann Webern dazu hören, auch | |
Mahler. Und in anderen Zeiten schwelgen. Es ist ja doch erhellend, wie | |
bestimmte Szenen und die dazugehörigen Gefühlsbeschreibungen Erinnerungen | |
an Selbsterlebtes heraufbeschwören. Mein Therapeutenfreund würde sagen | |
„triggern“. | |
Gestern kam ich an einem Pizza-Stand in der Nähe der Gervinusstraße vorbei, | |
der, als ich hier noch nicht wohnte, mein Einfallstor nach Berlin war. | |
Nicht am Grenzübergang Dreilinden, am Bahnhof Zoo oder in Tegel, in | |
Charlottenburg schlug ich regelmäßig auf, weil mein späterer | |
Therapeutenfreund schon dort studierte. Auf diesem kurzen Weg vom Bahnhof | |
Charlottenburg zu seiner Wohnung stellte sich bei mir das Gefühl von | |
Ankommen ein. Es war ja oft dunkel und kalt in diesen Wintern, in denen ich | |
zu ihm fuhr. Und der Stopp nach langer Zugfahrt an diesem Mini-Pizza-Stand | |
mit seinem Knoblauch-Chilli-Öl wurde zu einem Ritual. | |
Doch gestern war er geschlossen! Ein weiteres Corona-Opfer? Oder erfindet | |
er sich gerade neu als Eisdiele, wo es so unmögliche Sorten gibt wie | |
Spinat-Minze-Buttermilch, Cashewtella oder Rot-grün-gelbes-Pumuckl-Eis? | |
(Der Produzent des ersten „Pumuckl“-Films übrigens wählte diese Farben f�… | |
den Kobold als Hommage an Brasilien, wo er aufgewachsen war, weil seine | |
jüdische Familie in der Nazi-Zeit fliehen musste.) Timo Berger | |
29 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Timo Berger | |
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