# taz.de -- heute in hamburg: „Die deutschen Verbrechen relativiert“ | |
Interview Laura Strübbe | |
taz: Herr Blechschmidt, wie antifaschistisch ist die westdeutsche | |
Literaturszene der Nachkriegszeit? | |
Andreas Blechschmidt: Die Deutsche Literatur hat sich seit 1945 immer | |
wieder mit der Shoah auseinander gesetzt. Ein Teil der prominenten | |
Autor*innen hat jedoch die deutschen Verbrechen relativiert und damit eine | |
Form von Schuldabwehr betrieben. Das Ausmaß der deutschen Verbrechen | |
wollten sie nicht wahrhaben, trotz kritischen Selbstbilds. | |
Wie ordnet sich die „Gruppe 47“ dabei ein? | |
Die Gruppe um Heinrich Böll, Günther Grass, Alfred Andersch und Ingeborg | |
Bachmann nimmt eine umstrittene Position ein – sie war die meinungsführende | |
literarische Institution in Westdeutschland. Es gibt Vorwürfe, dass es sich | |
bei der Gruppe, in Bezug auf die Männer, um eine Ansammlung von | |
Wehrmachtssoldaten handelt. Hans Werner Richter steht in jedem Fall für die | |
angesprochene Relativierung der deutschen Schuld. Die Gruppe ging auch mit | |
jüdischen Autor*innen wie Herman Kesten und Paul Celan nicht sehr | |
solidarisch um. Wie antisemitisch die Gruppe insgesamt war, damit sollte | |
man sich heute noch auseinandersetzen. | |
Was trägt Literatur heute zur Erinnerungspolitik bei? | |
Auch in der Gegenwart werden die Nachwirkungen der nationalsozialistischen | |
Verbrechen in der Literatur diskutiert und auch heute tragen Literat*innen | |
wieder zur Relativierung der Gräultaten bei. Ein 2016 auf der Buchmesse in | |
Leipzig ausgezeichneter Roman – „Frohburg“ – ist beispielhaft dafür. | |
Guntram Vesper zeigt in seinem Roman mehr Teilnahme an den sogenannten | |
Verbrechen an den Deutschen, die Rede ist von der Einäscherung Chemnitz | |
durch die Alliierten, als an dem Ausmaß der deutschen Verbrechen. | |
Können Autor*innen für die Wirkung ihrer Werke in der Gesellschaft | |
verantwortlich gemacht werden? | |
Autor*in und Werk müssen zusammen gedacht werden. Literatur funktioniert | |
immer in alle Richtungen. Es ist eine Selbstvergewisserung des | |
Schreibenden, Literatur kommuniziert gleichzeitig aber auch in den | |
gesellschaftlichen Raum und hat eine politische Funktion. Jede*r Autor*in | |
trägt somit auch eine gewisse Verantwortung. | |
Was muss sich im Literaturbetrieb verändern? | |
Im Literaturbetrieb wurde nie zu wenig über die NS-Verbrechen reflektiert. | |
Schriftsteller*innen wie Grete Weil, Peter Weiß stehen für Kontinuitäten in | |
der kritischen Auseinandersetzung. Diese Auseinandersetzungen müssen auch | |
künftig mit der gleichen Intensität und politischen Leidenschaft | |
weitergeführt werden. | |
29 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Laura Strübbe | |
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