Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Intrigen und Inkompetenz
> Als Fan und Blogger begleitet Ulrich Hetsch den HSV seit Jahren. Er bekam
> Einblicke, die ihn desillusioniert zurückließen. Jetzt hat er seine
> Erfahrungen in einem Buch verarbeitet
Bild: Scheint beim HSV eines der kleineren Probleme zu sein: Pyrotechnik, hier …
Von Daniel Jovanov
Im Sommer 2013 schließt Ulrich Hetsch eine Bekanntschaft, die sein Leben
als Fußballfan nachhaltig verändern wird. Hetsch, Jahrgang 1964, ist
glühender Anhänger des Hamburger Sport-Vereins. Auf einer
Mitgliederversammlung spricht ihn einer der damaligen Aufsichtsräte an und
bittet um ein Gespräch. Er erfährt aus erster Hand, welche Abgründe sich im
Inneren seines Vereins auftun und für den schleichenden Niedergang vom
europäischen Spitzenteam bis hin zur Zweitklassigkeit verantwortlich sind.
Dass sich hochrangige Funktionäre des Klubs mit einem vermeintlich
einfachen Fan zu einem informellen Treffen verabreden, hat einen besonderen
Grund: Hetsch betreibt einen eigenen Blog, der im Umfeld des HSV stetig
wachsende Leserzahlen erreicht. Unter dem Pseudonym „Gravesen“, in
Anlehnung an den beinharten dänischen Nationalspieler Thomas Gravesen, der
von 1997 bis 2000 das Trikot des HSV trug, steht Hetsch als Autor seinem
sportlichen Idol in nichts nach.
Mit seinen Kommentaren über den Zustand seines Klubs trifft Hetsch den Nerv
der Zeit wie Gravesen die Knochen seiner Gegenspieler. Der Ton ist
rustikal, manchem zu rau, aber wirkungsvoll. Hetschs scharfe Kritik an
Spielern, Trainern und Vorständen verschafft ihm einen Zugang zum Verein,
der einen Einblick hinter die Kulissen ermöglicht und nach und nach dafür
sorgt, dass aus einer heißblütigen Leidenschaft nur noch Desillusion übrig
bleibt.
Denn was seine zahlreichen Gesprächspartner ihm über die Jahre anvertrauen,
weil sie wollen, dass es in aller Deutlichkeit und ungeschönt einem größer
werdenden Publikum bereitgestellt wird, sorgt für Ernüchterung: Intrigen,
Mauscheleien, Bestechlichkeit und unvorstellbare Inkompetenz haben seinen
Verein durchseucht wie ein Virus. Egal, wer an der Seitenlinie die
Mannschaften coacht oder in der Führungsetage Transfers zu verantworten hat
– besser geworden ist durch die vielen personellen Wechsel gar nichts.
Hetsch hat all seine Erfahrungen von den Anfängen des Blogs, über
Einladungen von Vereinsoffiziellen bis hin zu persönlichen Anfeindungen in
einem Buch verarbeitet. In „Alles andere ist Propaganda“, so der provokante
Titel, reflektiert er vor allem, wie es Funktionären mithilfe einfacher
Methoden der Public Relations gelingt, die riesengroße Anhängerschaft bei
Laune zu halten, immer wieder neue Hoffnungen zu schüren, obwohl von den
hehren Zielen, die sich die Rothosen vor jeder Saison setzen, kaum etwas
umgesetzt wird.
„Was einem Verantwortliche in Hintergrundgesprächen erzählen, unterscheidet
sich zum Teil gravierend von dem, was sie öffentlich äußern und was die
Masse dann zu lesen oder hören bekommt. Es ist manchmal sogar das genaue
Gegenteil“, kritisiert der Autor.
Als einer der wenigen Schreiber über den HSV greift er frühzeitig
kontroverse Thesen auf und beschreibt durch Anekdoten und messerscharfe
Analysen Gründe für den Niedergang: Sowohl Figuren wie Investor
Klaus-Michael Kühne als auch die für sein Empfinden zu enge Verzahnung
zwischen Teilen der Boulevard-Medien („Die Rolle der BILD-Zeitung ist ein
Problem für den Verein“) und Amtsinhabern tragen auf ganz spezielle Art und
Weise dazu bei, dass der HSV aus den Strukturen, die um ihn herum gewachsen
sind, nicht ausbrechen kann.
Doch „Alles andere ist Propaganda“ ist mehr als nur eine einfältige
Abrechnung eines ehemaligen Fans mit seinem Verein, der ihn über Jahre
hinweg enttäuscht hat. Es zeigt Defizite des kommerziellen
Profifußball-Geschäfts auf und beschreibt mit sehr persönlichen Eindrücken
einen Prozess der Entfremdung. Genau das macht das Buch nicht nur für
Anhänger des HSV lesenswert.
„Alles andere ist Propaganda“, 240 Seiten, 18 Euro
27 Jul 2020
## AUTOREN
Daniel Jovanov
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.